Wie eine junge Irakerin die digitale “Revolution gegen eine patriarchalische Gesellschaft” anführt

Eine junge Frau aus Bagdad hat einen Plan: Sie will sich für die Rechte irakischer Frauen einsetzen und startet eine Facebook-Kampagne. Schon nach vier Monaten unterstützen über 10.000 Menschen ihre Facebook-Seite “Revolution gegen eine patriarchalische Gesellschaft”. Munaf al-Saedi, Journalist aus Bagdad, hat sie interviewt.

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Sie ist noch keine 20 Jahre alt, aber Ruqaya Abdul-Ali, Studentin aus Bagdad, möchte irakische Frauen über ihre Rechte aufklären – um sexueller Belästigung in der irakischen Gesellschaft ein Ende zu bereiten und einige der diskriminierendsten Gesetze des Landes zu ändern. Im Interview erzählt Ruqaya Abdul-Ali, wie sie das erreichen will. Die öffentliche Aufmerksamkeit hat sie schon sicher: Ihre erst vier Monate alte Facebook-Seite Revolution gegen eine patriarchalische Gesellschaft verzeichnet bereits über 10.000 Unterstützer.

Munaf al-Saedi: Können Sie uns erklären, was genau Sie mit “Revolution gegen eine patriarchalische Gesellschaft” meinen?

Abdul-Ali: Es ist eine Revolution gegen patriarchalische Normen in unserem Land und die Traditionen, die Frauen ihre grundlegenden Rechte aberkennen. Traditionen, die sie veranlassen, wie Maschinen zu leben, deren einzige Funktion es ist, zu gebären und den Haushalt zu machen. Es ist eine Revolution, die Frauen aufmerksam machen soll auf ihre Rechte und die ihnen hilft, sich zu informieren. Die Kampagne soll Frauen ermutigen, zu lesen und sich selbst etwas beizubringen.

Munaf al-Saedi: Warum tun Sie das?

Abdul-Ali: Ich startete diese Facebook-Kampagne wegen der Unterdrückung, der Frauen ausgesetzt sind seit die Stammestraditionen im Irak wiederbelebt wurden [nachdem die US-Invasion 2003 das Regime des damaligen Präsidenten Saddam Hussein beendete]. Auch die Ausmaße von Gewalt, Diskriminierung sowie verbaler und sexueller Belästigung haben sich verschlimmert.

Das Phänomen der frühen Vermählung von Minderjährigen scheint sich auch immer weiter zu verbreiten. Das hält Frauen davon ab, sich weiterzubilden – nicht zu vergessen die gesellschaftlichen Auswirkungen, die das auf geschiedene und verwitwete Frauen hat.

Und ich habe Facebook als Plattform gewählt, weil ich die irakischen Frauen an ihre Rechte erinnern will. Viele Frauen in und außerhalb Iraks unterstützen die Facebook-Seite, die Zahl liegt schon über 10.000. Viele von ihnen sind auch MenschenrechtaktivistInnen.

Munaf al-Saedi: Planen Sie schon Aktionen außerhalb von Social Media?

Abdul-Ali: Noch nicht. Ich möchte eine starke Gruppe an Unterstützern aufbauen, die an ihre eigenen Rechte glaubt und die weiß, dass ihr diese Rechte nicht genommen werden dürfen. Aber es sollte auch mehr aktive Teilhabe geben. Ich versuche auch mit ortsansässigen Organisationen zu kooperieren, die sich für Frauenrechte und Soziales engagieren.

Munaf al-Saedi: Sie sprachen von sexueller Belästigung im Irak?

Abdul-Ali: Frauen in unserer Gesellschaft leiden immer mehr unter Belästigungen. Aber unsere Gesellschaft duldet keine Frauen, die sich dagegen wehren. Sie erwartet von ihnen, eine Auge zuzudrücken.

Wenn die Frau aggressiv reagiert, kann die Gesellschaft das nicht nachvollziehen. Diese Frauen werden als “zu maskulin” empfunden, nur weil sich sich selbst zur Wehr setzen.

Munaf al-Saedi: Warum konfrontiert man die Behörden nicht mit solchen Problemen?

Abdul-Ali: Die Gesetze werden nicht richtig ausgeführt, weil die Obrigkeit kein Interesse an solchen Problemen hat. Und tatsächlich sind es oft Sicherheitspersonen, die Frauen schikanieren. Deshalb vertrauen Frauen nicht mehr der Armee und den Sicherheitskräften. Statt für Sicherheit zu sorgen, sind sie zu einer Ursache der Probleme geworden.

Munaf al-Saedi: Welche Lösungen schlagen Sie demnach vor für Probleme dieser Art?

Abdul-Ali: Auf der Facebook-Seite diskutieren wir viele Ideen und überlegen, wie wir die Sichtweisen der Menschen und die Art, wie Frauen im Irak behandelt werden, verändern könnten. Die irakische Gesellschaft glaubt, dass Frauen nur da sind, um die sexuellen Bedürfnisse der Männer zu befriedigen. Aus diesem Grund riefen wir bei einer unserer ersten Kampagne Mütter dazu auf, ihre Töchter nicht heiraten zu lassen, bevor sie alt genug sind. Wir arbeiten auch daran, einige hiesige Gesetze abzuändern, die den Status und die Würde von Frauen herabsetzen.

Munaf al-Saedi: Welche sind im Bezug darauf die wichtigsten Gesetze, die sie ändern möchten?

Abdul-Ali: Als Menschenrechtsaktivistin wäre das erste Gesetz, das ich ändern würde, der Artikel 409 des Irakischen Strafgesetzbuches. Er bezieht sich auf Ehrenmorde, wenn ein Mann seine Frau oder Freundin im Bett mit einem anderen Mann findet zum Beispiel.

Das zweite Gesetz, das ich ändern möchte, ist Artikel 9 des Familiengesetzes. Er erlaubt einem Vater, Bruder oder Onkel, weibliche Verwandte zu verkaufen als Abgeltung eines Verbrechens. Und es ermächtigt einen männlichen Verwandten eine weibliche Verwandte gegen eine andere Frau einzutauschen [zum Beispiel, wenn der Mann die Schwester eines anderen Mannes heiraten will, kann er seine Schwester zwingen, den anderen Mann zu heiraten, damit der Deal perfekt ist].

Es gibt auch Gesetze, die Ehemännern erlauben, ihre Frauen ohne Entschädigung zu verlassen. Und solche, die es jedem vorsitzenden Richter ermöglichen, die Klage einer Frau einfach zu ignorieren, wenn ihr Mann sie nach kurzer Zeit ohne Begründung verlassen hat.

Dann gibt es ein Polygamie-Gesetz, das besagt, dass ein Mann mehr als eine Frau heiraten darf, wenn er für beide Partnerinnen sorgen kann. Das Gesetz findet aber keine Anwendung bei Witwen.

Es gibt auch innerhalb der Landespolitik Diskriminierung. Eine Vorgabe besagt, es sollten 25 Prozent Frauen im Irakischen Parlament sitzen. Doch diese Vorgabe schränkt die Partizipation von Frauen ein.

Munaf al-Saedi: Die irakische Gesellschaft ist teilweise sehr streng und konservativ – glauben Sie, irgendwelche ihrer Ziele zu erreichen?

Abdul-Ali: Ich werde mein bestes versuchen. Ich wollte das machen, seit ich klein bin und will versuchen, es zu schaffen, indem ich eine Institution erschaffe, die sich in dieser männerdominierten Gesellschaft für Frauenrechte einsetzt. Ich werde bei irakischen Parlamentsmitgliedern Petitionen einreichen, die die Abänderung von diskriminierenden Gesetzen fordern. Und ich werde versuchen, so viel öffentliche Unterstützung wie möglich zu erhalten.

Anm.d.Red.: Das Foto oben zeigt Ruqaya Abdul-Ali. Das Interview erschien in englischer Sprache auf niqash.org.

5 Kommentare zu “Wie eine junge Irakerin die digitale “Revolution gegen eine patriarchalische Gesellschaft” anführt

  1. mal eine Frage: ist es nicht gefährlich so offen aufzutreten bei so einer konservativen Gesellschaft?

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