Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #57

Globalisierung und Globalgeschichte sind nicht das gleiche. Die Globalisierung aber lenkte unser Augenmerk auf die wirtschaftlichen und sozialen Interaktionen, Verflechtungen und Verdichtungen solcher Interaktionen in der Vergangenheit. Die grossen Themen der Globalgeschichte sind Handel, Migration, inter- sowie transkulturelle Kommunikation. Globalgeschichte schreibt die Geschichte jener Menschen, die Teile ihre Lebens oder ihr ganzes Leben lang unterwegs waren: aus freien Stuecken oder unter Zwang, in Gruppen oder auch alleine. Wir betonen nicht die Bodenstaendigkeit – ein Relikt des Nationalismus – sondern die Mobilitaet der Menschen.

Im Zuge dessen stellen wir fest: zu allen Zeiten haben Menschen die Welt mit einem Spinnennetz an Verbindungen, Erfahrungen, Leistungen und so manch schaendlicher Tat ueberzogen. Menschen haben ihre Wurzeln gelockert und sind ausgebrochen aus den konkreten und den geistig abstrakten Kerkern. Davon zeugen Dokumente en masse. Fest steht: Interaktionen hat es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben. Seit der europaeischen Neuzeit aber praegen sie ueberall auf der Welt den Lauf der Geschichte, wirken im globalen Massstab. Betrachten wir zum Beispiel die Bedeutung des columbian exchange, und in diesem Zusammenhang den Transfer von Lebensmitteln aus der Neuen in die Alte Welt und umgekehrt.

Was stellen wir fest? Der columbian exchange liesse sich durchaus als wichtiger Bestandteil der kolonialen Aneignung durch europaeische Herrschaft schreiben. Eine globalgeschichtliche Perspektive hebt diesen Vorgang der materiellen inter- und transkulturellen Kommunikation aus dem Schoss klassischer, nationaler Geschichtsschreibung. Die Globalgeschichte bringt zum Beispiel ans Licht, wie der Chili mit portugiesischen Seefahrern an die Kuesten des indischen Goa gelangte und von dort ueber die klassischen Handelsrouten der Araber und der Chinesen gleichermassen in den eurasischen Osten und den eurasischen Westen gebracht wurde.

Der Chili ersetzte in vielen Regionen die heimische Pfefferstaude und wurde zu einem der wichtigsten Gewuerze in den Kuechen Asiens, veraenderte die Geschichte des Gemueseanbaus und der Kochkunst. Auf den Tellern der Spanier und Portugiesen, in den Mutterlaender der ersten und eigentlichen Protagonisten des columbian exchange, ist der Chili bis heute nicht zu finden. Deshalb war dieses globalhistorisch brisante Produkt fuer die Europaeer als Gegenstand der Geschichte der materiellen Kultur nicht interessant.

Das, was wir das Globale zu nennen gelernt haben, ist selbst historisch. Das Gleiche gilt fuer das so genannte Lokale und ebenso die daraus resultierende Spannung. Wenn ich, zurueckkommend auf die globale Ernaehrungsgeschichte, behaupte, dass noch bis ins spaete 18. Jahrhundert 99 Prozent aller Nahrungsmittel der Welt in einem Umkreis erzeugt wurden, den die Verbraucherinnen und Verbraucher von ihrem Kirchturm oder Minarett her ueberblicken konnten, spreche ich von einem lokalen Verstaendnis, das in dieser Form mit der zunehmenden Urbanisierung und Industrialisierung immer weniger existierte. Genauso wenig hatten die Menschen vor der ersten grossen Globalisierungswelle im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einen Begriff vom globalen Handel mit Nahrungsmittel. Dass Kaffeetrinken in Amerika zur taeglichen Routine wurde, hat historische Gruende. Das gleiche gilt fuer den Umstand, dass importierte Bananen inzwischen ueberall auf der Welt zum dauerverfuegbaren Standardobst avancierten.

Spannungen zwischen dem Lokalen und dem Globalen muessen immer lokal erforscht werden. Das Studium der Globalgeschichte auf unseren Tellern zwingt, das jeweilige Forschungsinteresse in Ort und Zeit zu verankern; es ein Stueck weit zu lokalisieren, um globalhistorische Vergleiche anzustellen und globalhistorisch relevante Schluesse daraus zu ziehen. Sei es, dass wir im lokalen Kontext der ProduzentInnen in den Plantagen und Monokulturen forschen oder uns das Schicksal der Konsumentinnen und Konsumenten in einer Stadt oder einer Region interessiert, wo im Notfall auch Getreidespeicher gepluendert wurden und Hungeraufstaende ausbrachen.

Es koennte der Eindruck entstehen, dass die Globalgeschichte lediglich den neuen Herren dient, also eine engstirnige Gloablisierungseuphorie mit Jubelgeschichten bedient. Das Gegenteil ist der Fall. Die meisten Themen der Globalisierungskritik sind die eigentliche Herausforderung fuer die neue Globalgeschichte. Es erstaunt nur auf den ersten Blick, dass die meisten Globalhistoriker Linke sind und klassisch >linke Themen< bearbeiten. Das hat sicher auch damit zu tun, dass – oft Kontinente uebergreifend, vergleichend angelegte – globalhistorische Fragen mit strukturalistischen Methoden eher zu bewerkstelligen sind. Beispiele dafuer gibt es in allen geschichtswissenschaftlichen Themenfeldern, besonders aber in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Wenn zum Beispiel behauptet wird, dass es immer und ueberall Hungersnoete verherenden Ausmasses gab, ist die Globalgeschichte in der Lage, diese Binsenweisheit auf Argumente zu stellen. Sie kann an mehr als einem Beispiel nachweisen, dass Hunger kein Schicksal ist. Dass Hungersnoete immer dann zu dramatischen Krisenerfahrungen wurden, wenn aus politischen oder oekonomischen Gruenden, die Grundnahrungsmittel am Weltmarkt absichtlich verknappt wurden. Wenn davor auch noch die lokale Existenzsicherung zerstoert wurde, zeigt sich ueberall dasselbe Phaenomen: ueberregionale Abhaengigkeitsverhaeltnisse. Ohne globalhistorischen Vergleich haetten sie partikularisiert oder gar unter den Tisch gekehrt werden koennen. Die politische Rethorik von den korrupten Regierungen, den unfaehigen Militaerjuntas, dem ungeregelten Bevoelkerungswachstum, den unterentwickelten Verteilungsstrukturen und so fort, zieht nicht, sobald belegt wird, dass unabhaengig von den Regierungsformen, den wirtschaftlichen oder geographischen Verhaeltnissen das Phaenomen des Massenelends auf der Welt dem Kapitalismus innewohnt und durch die Globalisierung desselben das Elend ueberall auf der Welt zunimmt. Es ist mir ein Anliegen den globalisierungskritischen Kraeften auf allen Kontinenten historisch fundierte Argumente an die Hand zu geben. Ich selbst engagiere mich fuer Via Campesina. Das heisst, ich versorge die regionalen ErzeugerInnen von Lebensmitteln, wenn sie gegen die globale Ausrottung der autonomen Primaergueterproduktion auf die Barikaden steigen, mit historischen Beispielen. Fuer die Anliegen von Via Campesina erarbeite ich Argumente, welche agrarpolitische Massnahmen betreffen, die ueberall auf der Welt und unter den verschiedensten politischen Regimen durchgesetzt wurden. Globalisierung ist das Stichwort fuer juengere historische Prozesse dieser Art. Mit der globalhistorischen Lupe aber untersuche ich auch transnationale Prozesse, zum Beispiel die Entwicklungspolitik, und finde Erstaunliches: der Wegbereiter des modernisierten Nahrungsmittelhilfsgesetzes der USA [PL 480] und spaetere Wirtschaftsnobelpreistraeger Theodore W. Schultz deklarierte in den 1940er Jahren die Marschrichtung fuer die globale Entwicklung der Agrarpolitik. Sie lautete: Ausrottung jeder Art von Subsistenzwirtschaft, sowohl als nationale als auch als individuelle Selbstversorgung verstanden. Die Bauern ueberall auf der Welt wurden angeleitet, Produkte anzubauen, die kostenguenstig produziert und am Weltmarkt optimal umgesetzt werden koennten. Vom Erloes ihrer Produktion sollten sie ihr Essen kaufen und damit ihr Grundbeduerfnis nach Ernaehrung befriedigen. Jede nicht marktkonforme Lebensweise wurde zum Tode verurteilt, weil Leben in Subsistenz als Anachronismus, Rueckstaendigkeit und traditionelle Isolation bezeichnet, nicht verwaltbar war und nicht manipulierbar ist. Die Konsequenzen einer derartigen Politik beschrieb Schultz unverbluemt: >Wer einmal in diese Netze des Handels und der Monetarisierung eingetreten ist, kann nicht mehr ausbrechen – ausser er nimmt eine Katastrophe, das heisst eine Hungersnot, in Kauf.< [Schultz zitiert nach Imfeld, Al: Hunger und Hilfe. Provokationen. Zuerich 21986: 135/36] Das globalhistorische Gedaechtnis solcher Art muss in der Welt erhalten werden. Es ist wichtig, weil die Menschen wieder Hunger leiden, diesmal, damit die KFZ-Tanks mit Biosprit voll werden. Oft sind es die historischen Argumente, die lebendig machen und eine befreiende Wirkung zeigen. Sich globalhistorische Argumente im Hinblick auf den G-8-Gipfel in Japan zurecht zu legen, kann jenes Tor oeffnen, das aus dem Gefaengnis landlaeufiger, unfruchtbarer und vor gefasster Vorstellungen ueber die Moeglichkeiten und Grenzen der Globalisierung hinaus fuehrt. [Anm.d.Red.: Die Verfasserin dieses Beitrags lehrt am Institut fuer Geschichte der Universitaet Wien.]

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.