Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #47

Der Begriff Globalisierung ist zu einer Mischung aus Reizwort und magischem Schluessel fuer das Verstaendnis der Welt geworden. Dies hat berechtigter Weise heftige Kritik ausgeloest, vor allem, wo es darum geht, dem Begriff noch eine wissenschaftlich sinnvolle Bedeutung zu geben. Die menschlichen Angelegenheiten gehen auch heute nicht restlos in Globalisierung auf. Und ebenso sicher ist, dass nicht alles Schlechte in der Welt mit dem Verweis auf Globalisierung erklaert werden kann. Auf welche konkreten Phaenomene koennen wir den Begriff noch eindeutig beziehen? Ich wuerde die Frage anders formulieren: Welche kulturelle Funktion erfuellt der Begriff? Warum ist er uns so wichtig geworden?

In einem interessanten Buch hat der Anthropologe Nestor Garcia Canclini den Vorschlag gemacht, Globalisierung als >nicht-definiertes kulturelles Objekt< zu verstehen. Ich glaube, dass gerade seine Unbestimmtheit den Begriff so reizvoll macht. Sie erlaubt es, ihn ueberall dort einzusetzen, wo wir das Konkrete – und das bedeutet auch: das Nahe – aus den Augen verlieren. Sollen wir ihn deshalb aus unserem Vokabular streichen? Ich glaube nicht, denn er scheint ein Versprechen einzuloesen, mit dem die Moderne vor einigen Jahrhunderten angetreten ist: Verweltlichung. Globalisierung setzt an die Stelle der Religion die Welt und zwar in ihrer raeumlich, physisch konkreten Natur. Wir beziehen uns mit diesem Begriff wieder auf unsere Erde. Darin sehe ich eine grosse Chance fuer unsere Kultur[en]: Wir beginnen endlich zu begreifen, wie sehr wir unsere Beziehung zur Erde unterschaetzt haben. In diesem Zusammenhang wuerde ich auch das Wahrnehmen des Klimawandels sehen. Es bestaetigt die Rueckkehr der Kultur zur Erde. Ein weiterer Aspekt, in diesem Zusammenhang ist die Notwendigkeit, den Menschen wieder eindeutiger in den Mittelpunkt unserer Welt zu stellen. Die Sprache, der wir uns in Theorie und politischer Praxis bedienen, zieht es vor, von >Kultur<, >System<, >Vernunft< usw. zu reden, verliert den Menschen dabei aber aus den Augen. Den Menschen in der Welt wiederzuentdecken, bedeutet dabei auch, ihn mit seiner Verantwortung der Erde gegenueber zu konfrontieren. Globalisierung muss dieser Zentralitaet des Menschen Rechung tragen: Sie darf nicht, wie dies leider in vielen Theorien geschieht, als anonyme, vom Menschen nicht regulierbare Dynamik verstanden werden, die den Menschen ueberfaellt, wie eine Naturkatastrophe. Eine Globalisierungstheorie, die sich als effiziente Kritik an den negativen Konsequenzen der Globalsierung verstehen will, ist eine solche, die den Faktor >Mensch< und damit den der Verantwortung eindeutig in den Mittelpunkt stellt! Die Rueckbesinnung auf den Menschen steht im Zeichen einer universalistischen normativen Orientierung. Sie will den kreativen Aspekt menschlichen Handelns und damit die Vielfaeltigkeit menschlicher Kulturen und Lebensformen nicht unterschlagen. Das Spannungsgefuege zwischen lokalen Erfahrungen und globalen Anspruechen laesst sich in diesem Zusammenhang auch als Katalysator menschlicher Kreativitaet verstehen, die fuer die Erzeugung alternativer Moeglichkeiten des Umgangs mit anderen Menschen und mit der Erde ueberlebenswichtig ist. In diesem Zusammenhang halte ich die Initiative von NGOs, die der Fragen nach alternativen Formen der Globalisierung nachgehen und sich dabei ganz eindeutig an einem neuen Erdbewusstsein orientieren, fuer ausgesprochen wichtig. [Anm.d.Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist an der Philosophischen Fakultaet des Instituto de Investigaciones Filosoficas >Luis Villoro Toranzo< der Universitaet Michoacana de San Nicolas de Hidalgo taetig.]

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