Jede soziale Bewegung erarbeitet sich, sobald sie eine Identitaet entwickelt, eine >organische Ideologie< oder >spontane Philosophie<, die sie mit dem zur Selbstvergewisserung notwendigen konzeptuellen und kategorialen Instrumentarium versorgt. Diese >organische Ideologie<, so unheimlich und in sich widerspruechlich sie im jeweiligen Fall sein mag, ermoeglicht Antworten auf grundlegende Fragen, die sich jeder Protestformation stellen: Was ist der Erwartungshorizont, vor dem ich handle? Wie konzipiere ich ueberhaupt mein eigenes Handeln? Welcher Moeglichkeitsraum ist diesem Handeln gesteckt? Solche Fragen koennen legitimerweise als >philosophisch< bezeichnet werden.
Sie sind es selbst dort, wo sie im politischen Alltagsdiskurs verhandelt werden, da mit ihnen implizit immer auch die Frage nach der >Natur< - oder den Bedingungen der Moeglichkeit politischen Handelns schlechthin thematisiert wird. Zugleich rufen sie die weitergehende Frage nach dem Subjekt des Handelns und damit nach den Subjektivierungsformen der Bewegung auf. Diese diskursiven Formen der Selbst-Subjektivierung von Protestakteuren sind fixer Bestandteil jeder politischen Mobilisierung. Ohne jene Diskurse, die den Akteuren in ihren Handlungen ein Gefuehl ihrer selbst vermitteln d.h. ihre Handlungen wie ihre eigene Identitaet mit Sinn ausstatten -, kaeme keine Aktion jemals zustande. Die >spontane Philosophie< einer Bewegung laesst sich also auf ihre jeweils politisch in Anschlag gebrachten Handlungs- und Subjektivitaetsvorstellungen analsysieren. In letzter Zeit ist nun mehrfach bemerkt worden, dass seltsamerweise besonders solche >Philosophien< in der globalisierungskritischen Bewegung Anklang finden, die eine ausgesprochen passivistische Handlungs- und Subjektkonzeption vertreten. Die deterministische Eschatologie, die etwa in Hardt und Negris Konzept der >multitude< angelegt ist, wurde u.a. von Chantal Mouffe kritisiert. [ ] Die multitude-Theorie empfiehlt letztlich den Exodus aus dem Politischen selbst. [Anm.d.Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Philosoph an der Universitaet Luzern.]