Muesste ich mein Interesse an der Globalisierung in einigen wenigen Saetzen zusammenfassen, wuerden mir spontan drei Phaenomene einfallen, die einerseits die historische Dimension der Globalisierung zeigen, andererseits auf aktuelle Problemfelder verweisen. Das erste waere die Hajj, die muslimische Pilgerfahrt nach Mekka, welche seit der Verbreitung des Islam Muslime aus aller Welt jaehrlich in Mekka zusammenfuehrt. Das zweite Phaenomen betrifft die Entstehung und Entwicklung islamischer Netzwerke im Indischen Ozean zwischen dem 10. und 19. Jahrhundert, die eine wirtschaftliche und politische Verflechtung Asiens und Afrikas bewirkten, welche lange vor der durch Europa ausgeloesten Globalisierung begann.
Und endlich denke ich in Bezug auf aktuelle Entwicklungen an die hohe mobilisierende Wirkung von lokalen Ereignissen auf nahezu globalem Niveau. Beispiele hierfuer waeren die Rushdie-Affaere, die Auseinandersetzung um die daenischen Karrikaturen oder auch die ungebrochene Wirkung des Palaestinakonflikts, die Muslime weltweit mobilisieren koennen.
Inwieweit mein analytisch-wissenschaftlicher Blick von der Spannung zwischen lokalen und globalen Perspektiven lebt? Beide Perspektiven muessen kombiniert werden. Weder ist eine Globalgeschichte vorstellbar, die ohne Lokalitaeten bzw. konkrete Personen, die Lokalitaeten bevoelkern und durch eigene Bewegung oder den Transfer von Waren und Vorstellungen miteinander in Beziehung setzen, vorstellbar.
Noch gab bzw. gibt es viele Lokalitaeten, die gewissermassen als unberuehrte Inseln in einem Vakuum existieren.Viele Phaenomene, die als ausgesprochen lokal gelten, sind in Wirklichkeit Ergebnisse internationaler Austauschprozesse, dies gilt fuer Muster von Kleiderstoffen ebenso wie fuer Rituale, mit denen Reisende verabschiedet oder empfangen werden. Dennoch haben globalisierende Prozesse nicht zu allen Zeiten und Orten gleichermassen gewirkt. Ein zentrales Thema historischer wie aktueller Analysen muss deshalb sein, die jeweiligen Reichweiten translokaler Prozesse zu erfassen. Auch darf eine Betonung globalisierender Perspektiven keinesfalls die oft gewaltsamen Phaenomene von Abgrenzung und Konflikt ausblenden, welche untrennbar mit ihnen verbunden sind.
Interessanterweise beruecksichtigt die neue Globalgeschichte meist eher die gegenwaertigen Gewinner der Globalisierung, d.h. Ost- und Suedasien, als die muslimisch gepraegten Gesellschaften. Dies mag ein Resultat unterschiedlicher Wissenschaftskulturen sein, nicht nur zwischen den Regionen, sondern auch zwischen verschiedenen Regionalwissenschaften in Europa selbst. Umso wichtiger ist es, die orientalische Geschichte in den globalhistorischen Kontext zu stellen: Nur damit kann man sie als Teil weltweiter Entwicklungen deutlich machen und verhindern, dass kulturelle Stereotypisierungen eine Art islamischer Sonderwegsdebatte noch weiter befoerdern.
Viele strukturelle Probleme orientalischer Staaten, etwa im Bereich der autoritaeren Herrschaft, finden sich beispielsweise auch in Lateinamerika oder im subsaharischen Afrika, werden aber oft als >typisch islamisch< gebrandmarkt und damit als regional bzw. religioes bedingte Eigenart deklariert. Nur durch ein solches Vorgehen kann auch ein Gespuer fuer tatsaechliche kulturelle Besonderheiten geweckt werden, welche verschiedene Regionen voneinander unterscheiden. [Anm.d.Red.: Die Verfasserin des Beitrags ist Direktorin des Zentrum Moderner Orient.]