Jedes Kind kennt Karl May [1842-1912]. Der Schriftsteller erschuf den Wilden Westen und den fernen Orient – farbenpraechtig, informativ und lebensnah. Ohne jemals selbst dortgewesen zu sein, auch das weiss so gut wie jedes Kind. Karl May verstand es zu recherchieren und er hatte eine bluehende Fantasie. Gleichzeitig – und das bleibt haeufig aussen vor – lebte er in einer Zeit, da der deutsche Kolonialismus seine kurze intensive Bluete erlebte. In einer Zeit also, in der das Bild von der Fremde, vornehmlich des im Suedosten gelegenen Auslands, gesellschaftlich unvorstellbar hoch im Kurs stand. Expansive Vorhaben im Nahen Osten und in Afrika waren an der Tagesordnung – aber vieles davon ist heute vergessen. Afrika, ja, da war doch was. Aber der Nahe Osten? Da waren doch die Englaender >aktiv<. Wie hiess er doch gleich? Lawrence von Arabien... Malte Fuhrmann erinnert in seinem Buch >Der Traum vom deutschen Orient< indirekt daran, dass die Figuren des Karl May – Kara Ben Nemsi und sein Freund Hadschi Halef Omar etwa – nicht ausschliesslich literarische Hinrgespinste waren, sondern ihre Vorbilder in der deutschen Kolonialkultur hatten. Wer vielleicht mal von der Bagdad-Bahn gehoert hat als dem Traum von der schnellsten Verbindung zwischen Berlin und dem Indischen Ozean, wird hier seinen Horizont um ein Vielfaches erweitern koennen. Fuhrmann schaut sich >moralische Eroberungszuege<, >Evangelisierungsversuche<, >reale Siedlungsbewegungen< sowie >zwei deutsche Kolonien< im Osamnischen Reich an und unterzieht sie einer post-kolonialen Anaylse. Einen Slogan der Eroberer aufgreifend [>Im Morgenlande eine deutsche Haeuslichkeit schaffen<] betrachtet der Historiker und Balkanologe nicht zuletzt auch Ehe und Kindererziehung in der >Orientkolonie<. Fuer alle, die Karl May in ihrer Kindheit oder Jugend verschlungen haben oder zumindest den Verfilmungen seiner Stoffe ausgesetzt waren, eine zu empfehlende Lektuere, bei der neben der besagten Horizionterweiterung auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Sozialisation in Aussicht gestellt werden kann. Fuer die Leser der Berliner Gazette aber auch deshalb interessant: Die McDeutsch-Beitraege aus dem >Orient< lassen sich nochmal neu lesen. Farid C. Majari, Ehssan Varshowkar, Saleh Srouji, Anja Wollenberg und Handan Konak erzaehlen alle auf die eine oder andere Art von den Nachwirkungen der deutschen Expansion im Orient. Konak etwa macht deutlich, dass die >Eroberer< heute in einem neuen Gewand unterwegs sind - als Touristen.