Das Gemeinsame ist keine Eigentumswohnung

Ein einsamer Vogel dreht seine Runden ueber dem Berliner Alexanderplatz. Es ist Winter, die Stadt ist grau. >Die grosse Stadt ist die, die die groessten Maenner und Frauen hat.<, erklaert eine tiefe Stimme aus dem Off des Films >Noerdliche Laenge, oestliche Breite<, den der Stadtaktivist Ben Pohl um die Jahrtausendwende ueber die Subkultur in Berlin-Mitte drehte.

Mehr als 70 Maenner und Frauen draengten sich an diesem Donnerstagabend in den Raeumen von General Public, um sich nach einem Ausschnitt aus Pohls Film zusammen mit den Podiumsgaesten von >Unser Berlin< auf die Suche nach dem Sitz des Gemeinsamen zu begeben. Kein leichtes Unter- fangen, wie sich herausstellte. [Bilder des Abends hier.]

Bernd Bess sprach ueber die veraenderten Arbeitsbedin- gungen fuer Architekten. Der oekonomischen Krise konnte er durchaus positive Seiten abgewinnen: >Im Vergleich zu den 90ern gibt es in der Architektur viel mehr Kreativitaet und Diskurs.< Christopher Uhe und Anette Maechtel vom KFBA stellten ihre Plaene fuer das Haus Ungarn vor, ein Ort mit vielen >gemeinschaftlichen Raeumen<, wie Uhe betonte, um deutlich zu machen, dass die Immobilie an kommerzielle Kunden schwer zu vermieten, aber ideal fuer Kultur sei. Elisabeth Enke von der Initiative >Cluster< forderte, dass >Schluss sein muss mit dem Gejammer<. Statt Foerderung vom Staat, wolle sie sich >endlich selbst foerdern.< Immer wieder forderte das Publikum die Podiumsgaeste dazu auf, das Gemeinsame zu definieren und schluepfte im Zuge dessen selbst in eine aktive Rolle, Kriterien und Probleme artikulierend. Die Diskussion war fahrig und emotional, fast jeder hatte eine Erfahrung, eine Meinung mitzuteilen. Eines wurde spuerbar: Wenn das Gemeinsame einen Sitz hat, dann bekommt man dafuer keinen Schluessel wie zu einer Eigen- tumswohnung, aber es ist ein Raum, den man besetzen kann. Wie gestern bei General Public. Und am kommenden Montag im Radialsystem, wo der Rat fuer die Kuenste neu gewaehlt wird? Er sei eine bestehende Struktur, wie es aus dem Publi- kum hiess, die man fuer >unsere Interessen< hacken koenne.

9 Kommentare zu “Das Gemeinsame ist keine Eigentumswohnung

  1. die Stimmung gestern war inspirierend! ich hatte auch das gefühl, dass das Gemeinsame im Raum stand bzw. dass wir gestern einen gemeinsamen Raum geteilt haben.

  2. Für mich bestand die Erkenntnis des Abends darin, dass Kulturschaffende zwar kein Ausnahmeschicksal teilen, sondern so prekär wie viele andere Berufsgruppen auch arbeiten, wie Christopher Uhe richtig sagte, dass Kulturschaffende aber eine Ausnahmeposition deshalb einnehmen, weil sie ihre Erfahrung auf besondere Weise reflektieren und kommunizieren / mit-teilen können.

    Arbeiten am Rande der Wirtschaftlichkeit, etc. — diese Erfahrung schärft eine besondere Perspektive und vor diesem Hintergrund gilt es die Aufgabe und den Beitrag der Kultur innerhalb der Gesellschaft immer wieder neu auf die Höhe der Zeit zu denken (dass Probleme nicht ahistorisch sind, wurde gestern auch sehr schön deutlich, etwa in der Gegenüberstellung der Ben Pohl-Dokumentation über den Alex und der KFBA-Präsentation (fast 10 Jahre dazwischen) oder als Bernd Bess die Architekturentwicklung seit 1989 skizziert hat und damit die unterschiedlichen kulturpolitischen Verschiebungen, die die letzten zwei Dekaden mit sich gebracht haben).

    Was ist Kultur? Ja, was ist sie heute, wenn nicht ein Feld, in dem die Logik des Ökonomischen herausgefordert und in Frage gestellt wird. Und zwar so, dass sich diese alles vereinnahmende Logik und somit nicht zuletzt der Wirtschaftsinteressen unterworfene Blick auf die Kultur verschiebt. Vor diesem Hintergrund und vor keinem anderen muss die Kultur jenes Selbstverständnis entwickeln, dass immer wieder von ihr eingefordert wird: nicht im eigenen Saft zu schmoren, über den eigenen Tellerand hinaus wirksam zu werden. (Klar, das Potenzial zur Mit-Teilung müsste auch mit Blick auf andere Berufsgruppen ausgeschöpft werden, die einen Erfahrungshorizont mit Kulturschaffenden teilen.)

    Mir scheint: In Berlin ist das eine besonders große Herausforderung deshalb, weil die Stadt als Kulturmetrople angesehen wird, von Leuten drinnen und draußen. Hier schmort man von vornherein und nachhaltig im eigenen Saft.- Die Suche nach dem Gemeinsamen könnte also auch bedeuten, dass man versucht, eine gemeinsame Ebene zu finden, die Kultur jenseits der Kultur zu denken, zu praktizieren und zu leben erlaubt. Kultur jenseits des Kulturmetropolen-Berlin-Paradigmas zumindest.

    Man müsste die Berliner Kulturszene verpflanzen in ein augenscheinlich kulturfernes Gebiet, in eine Stadt wie das Los Angeles der 80er, das Tokio der 70er Jahre oder das Palma de Mallorca der Gegenwart!

  3. Der Titel “Unser Berlin” und die “Suche nach dem Gemeinsamen” hat zwar ein für General Public verhältnismäßig großes Publikum zum Kommen verführt, aber auch ein wenig in die Irre geführt: Vorgestellt wurden Initiativen, die im Entstehen und Wachsen begriffen sind, sich aber auf konkrete Räume in Berlin beziehen und das Gemeinsame nur insofern einschließen, als sie mit Problemen zu kämpfen haben, die freie Kulturgeschaffende gemeinsam betreffen. Einerseits können konkrete Kulturräume (wie das Haus Ungarn oder Cluster) die Voraussetzung für einen Austausch und eine Stärkung gemeinsamer Interessen schaffen, andererseits werden die Kräfte für die Realisierung und den Erhalt des eigenen Ortes gebündelt und nicht unbedingt für eine Struktur, die tatsächlich zu einem Austausch und einer gemeinsamen Artikulation von Interessen und Bedürfnissen dient. Wo ist die Verbindung zwischen konkreter Schaffung und Nutzung alternativer Kulturräume und einer Struktur des Gemeinsamen? Ob der Rat für die Künste tatsächlich ein Medium für freie Kulturschaffende ist, die ebenso wie andere Berufsgruppen in Prekariat leben und schaffen, bezweifle ich, nachdem ich die Liste der Kandidaten und den Forderungskatalog durchgegangen bin. Da geht es um eine nicht zuletzt Stärkung der institutionellen Einrichtungen, die aber nicht wirklich freie Kulturschaffende vertreten. Wie oft habe ich als freie Künstlerin und Dramaturgin schon die Einladung von einer Institution erhalten, umsonst zu arbeiten, auf das schale Versprechen späteren Ruhms hin. Deswegen meine Frage, die in der Verstaltung kaum Raum hatte: Wie und wo könnte ein Verband der Prekären entstehen, der Grundforderungen aller vertritt und nicht nur der institutionell gesetzten?
    PS Als ich in der Schweiz als “Gastarbeiterin” gekäst habe, konnte ich mich auf Lohnabmachungen zwischen Bauern und Älplern berufen. Warum gelingt mir das in der Kultur nicht?

  4. Ich fand es beeindruckend, wie die Berliner Gazette es geschafft hat, einmal mehr eine Diskussion anzuregen, bei der der Redeanteil von Podium und Publikum 50 zu 50 ausfällt. Vielleicht ist es die Kultur des Internet, die hier im nicht-virtuellen Projektraum sich entfaltet. Ich habe so etwas andernorts noch nicht erlebt. Jeder, der kommt, trägt etwas zur Diskussion bei, wird Panelgast. Jeder, der die Frage nach dem Ergebnis stellt, weiss (oder sollte zumindest wissen), dass er oder sie diese Frage am besten beantworten kann. Jeder nimmt etwas mit. An dieser Stelle bietet sich die Gelegenheit, dieses “etwas” in Worte zu kleiden. Dafür bin ich, auch wenn es mir schwer fällt ein Fazit zu formulieren, dankbar: Man muss alle Gemeinplätze in Frage stellen (z.B. die Kundenhaltung des Publikums, das bei einer Podiumsdiskussion ein Produkt erwartet) und vielleicht kommt man am Ende zu dem Schluss, dass man das Rad nicht noch einmal neu erfinden muss, sondern die bestehenden Strukturen mit einem neuen Bewusstsein nutzt. Vielleicht ist die Veränderung bereits im Raum von General Public eingeleitet worden. Dort, wo eine stinknormale Podiumsdiskussion unvermittelt zu einem basisdemokratischen Workshop wurde. Oder soetwas in der Art. Eine gute Erfahrung,

  5. Die Diskussion war für mich von der Beteiligung her ein voller Erfolg. Vom Inhalt her ging sie für mich jedoch am eingentlichen Thema vorbei. Es wurde viel mehr Bezug auf die einzelnen Projekte genommen und erst zum Ende der Diskussion erkannte man aus welchem Grund man eigentlich da war. Es sollte eine Diskussion über “das Gemeinsame” werden und nicht über Projekte und Erfahrungen, die der ein oder andere mit Vereinsarbeit gemacht hat. Für mich ist “das Gemeinsame” ein viel zu abstrakter Begriff der sich nicht definieren lässt, was sich auf der Veranstaltung schon darin gezeigt hat das man sich innerhalb des Publikums nicht einmal darüber einig war über was überhaupt diskutiert wird.

  6. Dass das Gemeinsame seinen Sitz nicht an einem physischen Ort hat oder jemals haben koennte, wurde an diesem Abend mehr als deutlich. Vielmehr ist das Gemeinsame etwas, was unter Beruecksichtigung verschiedener sozialer und lokaler Positionen und Bedingungen permanent zu entwickeln ist. Die Dringlichkeit der Frage nach „differential spaces“ des Gemeinsamen und der Moeglichkeit wahrer Demokratie offenbart sich in gesamtgesellschaftlicher und globaler Hinsicht, treffend formuliert in Fredric Jameson’s These, dass die Gesellschaft in der Postmoderne nicht mehr ueber Kategorien der Zeit, sondern vielmehr ueber Kategorien des Raums beherrscht wird (hier sehen wir eine klare Linie: von den z.B. vor unserer Haustuer in Berlin sichtbaren Fragen der nach-oeffentlichen Raeume wie dem Sony Center, der fortschreitenden Gentrifizierung und der von der Wachstumskoalition aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Privatleuten, Tourismus- und Kulturbranche betriebenen Umgestaltung der Stadt in einen festivalisierten Raum fuer eine durch den entsprechenden sozialen Status qualifizierte Oeffentlichkeit, ueber die vor den Grenzen Europas ertrinkenden Fluechtlinge und die Mobilitaetsbeschraenkungen von Asylbewerben in den Auffanglagern, zu exterritorialen Ausnahmezustaenden, die an Orten wie den Abschiebegefaengnissen internationaler Flughaefen und Gefangenenlagern wie in Guantanamo zu beobachten sind).

    Vor diesem Hintergrund ist es klar, dass eine Podiumsdiskussion wie „Unser Berlin“ in erster Linie Fragen aufwerfen muss. Und diese Fragen duerfen sich meiner Ansicht nach nicht allein auf die prekaeren Produktionsbedingungen von Kulturschaffenden beziehen, welche in diesem Zusammenhang lediglich als (allerdings sehr potente) Beispiele funktionieren koennen. Das Gemeinsame kann sich nur als Gegenstand emanzipatorischer Projekte konstituieren; das Gemeinsame ist de facto das, was der herrschenden Politik der „ausschließenden Einschließung“ antagonistisch entgegen steht. Womit klar ist, dass es sich bei einem Ort des Gemeinsamen nicht um einen Raum handeln kann, dessen Funktions- und Gebrauchslogik diejenige des Kapitals ist.

    Raeume, die eine kritische Distanz zum gesellschaftlichen Geschehen ermoeglichen und die Bedingungen bieten, Transformationen vom „ich“ zum „wir“ zuzulassen sowie wirkungsvolle lokale Zusammenhaenge zu schaffen, koennen vielerlei Natur sein. Sprache, Cyberspace, erkaempfte Differenzraeume, oeffentlicher Raum ohne oekonomische oder symbolische Schwellen, und – nicht zuletzt – die Liebe bieten hier Chancen, von denen der (unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten) bestorganisierte kulturelle Raum nur traeumen kann. Elisabeth Enke vom Cluster-Projekt stellte an diesem Abend eine zentrale Frage in den Raum: Wie wollen wir leben?

    Wenn wir uns dem radikalen Kern dieser Frage stellen wollen, muessen uns die Probleme des „Ueberlebens“ in einer durchoekonomisierten Welt zu einer Auseinandersetzung mit den Grundbedingungen unseres gesellschaftlichen Lebens fuehren, um darauf zu bestehen, dass historischer Fortschritt moeglich und notwendig ist. Sich nicht als individualisierte BefehlsempfaengerInnen selbst verwirklichen zu muessen, sondern als Zusammenschluss freier Subjekte an einer Gestaltung des Gemeinsamen teilhaben zu koennen: dies ist eines der zentralen Ziele, die es bei der Entwicklung kommender gesellschaftlicher Zusammenhaenge zu beruecksichtigen gilt.

  7. Stichworte:
    Thema spannend, Diskussion notwendig, Publikumsresonanz gross, Atmosphäre dicht, Schwerpunkt KFBA zu gewichtig, deshalb Missverständnisse, Vorschlag:
    eine weitere Originalfassung nur mit Vertreter von Kulturinitiativen, Thema: Über das Gemeinsame – Kulturinitiativen in Berlin
    eine weitere Originalfassung mit 4 Kulturschaffenden (z.B. Architekt, Künstler, Musiker, Schrifsteller) Thema: Über das Gemeinsame – Arbeitsbedingungen von Kulturschaffenden in Berlin
    besser strukturiert. weniger Chaos.
    less is more!

  8. War leider nicht dabei.
    Aber wenn es um das (im weiteren Sinne) politische von Gemeinschaften (wie lose auch immer) geht, fällt mir Organisation ein. Das hat ein Dirk Baecker mal schön auf den Punkt gebracht:
    “Was gesellschaftlich möglich und nicht möglich ist, wird auf dem Feld der Organisation mit entschieden. .. Was hier nicht entschieden werden kann, wird nirgendwo entschieden. Und was hier nicht ausprobiert werden kann, hat dann nur noch die Möglichkeit, im folgenlosen Gespräch als bloße Möglichkeit beschworen zu werden.”
    Hiesse dann auch: Die Mühe muss man sich schon machen, wenn es nicht bei dem “folgenlosen Gespräch” bleiben solle.

  9. Ich empfand den Abend als Erfolg! Sehr viele Leute waren gekommen und die Diskussion war angeregter, als ich sie auf anderen Veranstaltungen erlebt habe. Sicher hat Michael recht, dass die Diskussion teilweise am Thema vorbei ging…aber das Anliegen, “das Gemeinsame” zu definieren, ist auch schwer für alle befriedigen zu erfüllen. Ich für meinen Teil habe viel gelernt und mich über das rege Interesse gefreut!

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.