Krieg, Zeitungen und Internet: Was bleibt von der vierten Gewalt im Ausnahmezustand übrig?

Fuer sein Buch “Krieg und Internet” hat der Medienwissenschaftler Stefan Krempl die Berichterstattung in Kriegszeiten untersucht. Sprich: einen Ausnahmezustand der Information, in dem Propaganda und Zensur Hoehepunkte erreichen und die Kritik- und Kontrollfunktion der (vierten Gewalt namens) Medien eigentlich am gefragtesten ist.

Das Internet gilt als Hort der Meinungsfreiheit und als Versinnbildlichung eines >emanzipativen< Mediums im Sinne Enzensbergers. Es lebt davon, dass jeder Empfaenger ein potenzieller Sender ist und eigene Inhalte online produzieren kann, sowie von den Interaktionen der Nutzer. Die Einbahnstrasse der alten Medien wird, so die Theorie von der >Kontroll-Revolution<, auf >Netzdialoge< im Sinne Flussers umgestellt, die >auf authentische Weise demokratisch sind<. Mich interessierte, ob diese Ansprueche im vernetzten Alltag verwirklicht werden und ob sich in der Stimmenvielfalt, die Onlineforen wie Mailinglisten oder Weblogs zulassen, ein diskursiver Mehrwert gegenueber den traditionellen Massenmedien einstellt. Denn diesen wird von der Forschung vorgeworfen, ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit zu zeichnen und den Diskurs der Maechtigen ohne Ruecksicht auf real existierende Gegenoeffentlichkeiten widerzugeben. Fuer die meinem Buch >Krieg und Internet< zu Grunde liegende Untersuchung schienen mir Kriegszeiten am besten geeignet, da sie einen Ausnahmezustand der Information beschreiben, in ihnen Propaganda und Zensur Hoehepunkte erreichen und die Kritik- und Kontrollfunktion der Medien eigentlich am gefragtesten ist. Meine Wahl fiel auf den Kosovo-Krieg, weil dieser als erste grosse militaerische Auseinandersetzung im Internet-Zeitalter beschrieben wurde, sowie auf den juengsten Irak-Krieg. Zum einen aus Aktualitaetsgruenden, zum anderen aber auch, weil die Massenmedien im Fruehjahr 2003 erstmals dem Netzphaenomen der Warblogs groessere Aufmerksamkeit schenkten. Konkret verglich ich die Berichterstattung in der >New York Times< und der >Sueddeutschen Zeitung< auf der einen sowie die Diskussionen auf der >Intellektuellen-Mailingliste< nettime sowie die Eintraege in viel besuchten Weblogs auf der anderen Seite. Dazu gehoerten neben dem Tagebuch des beruehmten Bagdad-Bloggers Salam Pax vor allem amerikanische Warblogs wie das des konservativen Rechtsprofessors Glenn Reynolds alias >InstaPundit< oder seines linken Kontrahenten >DailyKos<. Meine wichtigste Erkenntnis ist, dass sich die im Netz bildende Infosphaere auf einer uebergeordneten Ebene als eine Art Gegengift zur Propaganda sehen lassen kann. Waehrend einzelne Beitraege durchaus Verschwoerungstheorien Nahrung geben oder einseitig und subjektiv sein koennen, wird es jedem, der sich nur halbwegs auf das vernetzte Informations- und Kommunikationsmedium einlaesst und sich nicht nur von einer Quelle fuettern laesst, schwer fallen, den Verlautbarungen der Kriegsfuehrer Glauben zu schenken. Das sich im Internet bildende >Reality Web< lebt von Stimmen, die eine persoenliche Sicht auf die Dinge liefern. Gezeigt oder beschrieben werden auch die haesslichen Seiten von Ereignissen, die Toten des Krieges und das Eindringen von sonst immer weiter weg erscheinenden Konflikten in verstaendliche Kontexte und begreifbare Lebenswelten. >Offizielle< Nachrichten werden von den politisch wachen vernetzen Geistern gegen den Strich gebuerstet und auf Fehler hin untersucht. Die Warblogger etwa lassen sich in ihrer Gesamtheit als exakte Gegenspieler zu den >embedded journalists< ansehen. Sie sind im Gegensatz zu diesen nur ihrer eigenen Zensurschere unterworfen und berichten aus der Froschperspektive statt aus der Weitsicht der mit Videokamera bestueckten >smarten< Bombe. Wie sich aber gerade im Kosovo-Krieg herausstellte, ist der Netzdiskurs keineswegs per se egalitaer. So waren die Stimmen der Kosovo-Albaner weitgehend absent, weil ihnen der Zugang zu den Basisinfrastrukturen des Internet fehlte. Zudem zeigte die Drohung der Clinton-Administration, die fuer das jugoslawische Netz elementaren und von den USA ausgehenden Satellitenverbindungen zu kappen, dass auch der virtuelle Raum physikalische Grundlagen hat und damit Angriffsflaechen fuer Zensur bietet. Frei von Fronten war der >Netwar< auch im Irak-Krieg nicht. So entspann sich zwischen rechten und linken Warbloggern ein regelrechter >Infowar< um die Interpretationsueberlegenheit der ueber Agenturen verbreiteten Nachrichten. Ein allgemein wirkendes und leicht dosierbares Serum gegen Propaganda und Zensur bietet das Netz somit noch nicht. Ob das Internet und die Informations- und Kommunikationstechnologien in Zukunft mittelfristig die Demokratie im Raum Irak foerdern koennen? Die Bloggerszene im Mittleren Osten waechst und gedeiht momentan. So haben sich dem voruebergehend aus Bagdad davongezwitscherten Salam Pax laengst weibliche Bloggerinen wie Zainab oder >Rivers Bend< angeschlossen. Maennliche Nachahmer hat er beispielsweise mit >The Mesopotamian< oder >Healing Iraq< gefunden. Sie verstehen sich gut aufs Geschaeft, praegen Ausdruecke wie die >Mutter aller Tage< nach der Ergreifung Saddam Husseins oder zeigen die Kunst der Photoshop-Montage am Bildnis ihres Ex-Diktators. Selbst einen irakischen Blog-Award gibt es bereits. Insofern schlaegt sich hier die freie Meinungsaeusserung Bahn. Bedenklich ist, dass die irakischen Infrastrukturen fuer das Fest- und Mobilnetz im Zuge der Rekolonialisierung des Landes durch die amerikanische Politik und Wirtschaft zwischen einer Handvoll US-Konzernen aufgeteilt werden. Bei der weiteren Computerisierung ist das aehnlich: Microsoft sponsert wichtige Konferenzen, die sich mit dem Wiederaufbau im Irak beschaeftigen.Es ist zu befuerchten, dass die Monopolisierung und Kommerzialisierung des Internet und seiner grundlegenden Benutzeroberflaechen und Systemwelten im Zweistromland rasch fortschreitet und in diesem Zug der Vereinnahmung nur altbekannte wirtschaftliche und kulturindustrielle Machtverhaeltnisse reproduziert werden.

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