Schnee zwischen den Fronten

“Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen”. Was mag Goethe damit wohl gemeint haben? Vielleicht das: Wir gewinnen erst dann ein Bewusstsein über unsere Muttersprache, wenn wir andere Sprachen zum Vergleich heranziehen. Doch hat Mehrsprachigkeit tatsächlich nur Vorteile?

Im Augenblick der Geburt sind unsere Sinne noch “unfertig”. Unsere intellektuelle Entwicklung beruht auf Anlagen, die von außen, also durch andere Menschen, erst angeregt werden müssen. Am deutlichsten ist das bei der Sprache festzustellen, wie Johann G. Herder in seinem Werk Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit untersucht hat.

Die “Sprechwerkzeuge” sind vorhanden, aber das Erlernen von Kommunikationsmöglichkeiten ist ein komplexer Prozess. Während diese Schwierigkeit beim Erlernen der Muttersprache im Kindesalter überwunden wird, tritt mit dem Erwerb von Fremdsprachen eine neue auf.

Übersetzung? Ein Problem

Wir lernen einen neuen Wortschatz und eine neue Grammatik kennen und vielleicht sogar fließend sprechen. Probleme kann es bei der direkten Übersetzung geben. Ein Beispiel: Wieviel Wörter gibt es in der Fremdsprache für, sagen wir, Schnee?

Zwar ist die Vorstellung, dass die „Sprache der Eskimo“ (in Wirklichkeit gibt es viele davon) eine im Vergleich zu anderen Sprachen extrem hohe Anzahl an Wörtern für Schnee habe, ein verbreiteter Irrtum. Doch immerhin es gibt mehr als eine und selbst im Spanischen gibt es zwei. In der deutschen Sprache gibt es jedoch nur eins. Doch worauf will ich hinaus?

Die Soziolinguistik hat uns eines gelehrt: Sprache formt das menschliche Denken! Unsere Vorstellungskraft ist durch unsere Muttersprache beeinflusst. Im Falle der Kommunikation im interkulturellen Bereich, also im Bezug auf unterschiedliche sprachliche Hintergründe, kann das jedoch zu Verständigungsschwierigkeiten führen.

Ich spreche, also bin ich

Der Grund: Das Verständnis für die andere Kultur entsteht nicht allein durch die gelernte Fremdsprache. Solange klar ist, dass beide Kommunikationspartner aus unterschiedlichen Ländern stammen, berücksichtigen wir diesen Punkt jedoch meistens und zum Teil sogar unbewusst.

Da wir jedoch in einer Welt leben, in der kulturelle Unterschiede zunehmend verschwimmen und ein großer Teil der Weltbevölkerung in zwei- oder mehrsprachigen Ländern aufwächst, muss man beachten, mit welchen Schwierigkeiten Menschen in solchen Situationen konfrontiert sein können.

Häufig kommt es zu einem “Zusammenstoß” zweier Sprachen. Der Vorteil hier: Der sprachliche und möglicherweise auch kulturelle Erfahrungsschatz. Der Nachteil: Problematisch kann es werden, wenn unterschiedliche Wertesysteme und Normen aufeinander prallen.

Identität im kulturellen Schmelztiegel

Solche widersprüchlichen Situationen können dazu führen, dass wir automatisch versuchen, uns an eine der zwei Sprachgruppen beziehungsweise Kulturen anzupassen. So geraten wir in einen inneren Konflikt und neigen dazu, die andere der zwei Sprachgruppen (nämlich die gesellschaftlich weniger akzeptierte) zu verleugnen.

Zu solchen Konflikten kommt es besonders häufig in Ländern, in denen Minderheitensprachen wenig akzeptiert oder nur geduldet sind. Hier sind handfeste Identitätsprobleme im Busch. Denn mit unserer Sprache identifizieren wir uns – und definieren uns und unsere Identität auch über sie. Mehr noch: Unsere Sprache prägt unser kulturelles Verständnis.

Doch einmal abgesehen von Minderheitensprachen in so genannten fernen Ländern – gibt es dieses Problem nicht auch in Deutschland? Seien es Einwanderungssprachen wie Russisch, Polnisch oder Türkisch, aber auch Minderheitensprachen wie Sorbisch oder Romani: Ist schon der sprachliche Unterschied die Grenze, die kulturelle Räume innerhalb eines Staates voneinander trennt?

5 Kommentare zu “Schnee zwischen den Fronten

  1. Die Frage, ob Sprache das Denken beeinflusst oder nicht, ist bis heute nicht endgültig geklärt – da sollte man Sätze wie “Die Soziolinguistik hat uns eines gelehrt: Sprache formt das menschliche Denken! ” lieber vermeiden…

  2. Ja, dass ich vielleicht zu hochtrabend formuliert habe, das habe ich auch schon vermutet. Das weiß ich fürs nächste mal besser… Aber ich wollte druch meine Fragen und Thesen auch ein bisschen provozieren, also, nur weil das die eine Wissenschaft so sieht, kann das jeder ja anders betrachten.
    Allerdings habe ich den Artikel aus eigenem Interesse an dem Thema verfasst und nicht wegen einer Hausarbeit für die Uni. Und ja, ich über noch im journalistischen Kontext, also bin ich gerne für Kritik offen ^^

  3. Sprache ist Beginn von Denken und Menschsein. Damit hat Sprache eine elementare Funktion. In diesen Bereichen sind auch meine Sprachexperimente angesiedelt. Ich finde den Beitrag keineswegs kopflastig. Es ist wichtig, auf solche Unterschiede unseres Bewusstseins und Denkens hinzuweisen. Eine “Klärung” kann erst durch entsprechende Diskurse erfolgen. Dazu kann ein Beitrag wie dieser durchaus dienen.

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