Das Facebook-Profil ist ein zeitintensives Spielzeug. Aus dem Spiel kann schnell eine Lebensaufgabe werden. Für manche ein Fulltime-Job, speziell im Fall von multiplen Identitäten. Von Poeten wie Fernando Pessoa können wir lernen, das kreative Potenzial der “Persönlichkeitspflege” auszuloteten. Denn das Spiel mit Identitäten ist nicht erst in sozialen Netzwerken wie Facebook erfunden worden.
Während ich mich – aus langer Weile oder zwanghafter Neugier – durch die Profile meiner “Freunde” in einem sozialen Netzwerk klicke, treffe ich unter anderem auf Annika. In der Uni wechsle ich höchstens zwei Worte pro Woche mit ihr. Online erfahre ich nun, dass sie mit ihrem “Schatziii super glücklich” sei und sich gerade eben die Hand beim Volleyball verstaucht hat.
Bezüglich der (angeblich) intakten Beziehung stelle ich mir die Frage, warum sie dieses Detail preisgibt. Möchte sie schlicht ihr Glück in die Welt hinausposaunen oder versucht sie auf diese Weise künstlich etwas zu be- oder erzeugen, was gar nicht vorhanden ist?
Profilspiele gestern und heute
Mit seiner öffentlichen Identität zu spielen, ist kein neues Phänomen des Web 2.0. Fernando Pessoa etwa schuf Anfang des 20. Jahrhunderts fiktive Autorenpersönlichkeiten. Pessoa ordnete ihnen jeweils Motive, Schreibstile und sogar eigene Biografien zu. Wesentliche Teile seines Werks, darunter Gedichte und poetische Prosatexte, entstanden unter so genannten Heteronymen – im Kontrast zu gewöhnlichen Pseudonymen stellen Heteronyme komplette Identitäten dar!
Was den 1888 in Lissabon geborenen Avantgardisten dazu bewegte, offenbart sich im Briefwechsel mit einem seiner Kollegen. Seine Motivation sei vor allem durch Eines geprägt: die rege Fantasie. Diese kreative Fähigkeit verleitet mich dazu, die Idee der fiktiven Identitäten gedanklich immer weiter zu spinnen.
Meine Gedankenfolge bricht jedoch abrupt ab, als ich auf eine Studie von Psychologen der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz stoße, die hier von einem Vorurteil sprechen: Profile in sozialen Netzwerken stellen demnach die wirklichen Personen dar und keine idealisierte virtuelle Identität.
Die Wissenschaftler fanden eine überraschende Übereinstimmung heraus: Spontane Eindrücke, die fremde Beurteiler durch Betrachten eines Profils hatten, stimmten mit den tatsächlichen Eigenschaften der Profilbesitzer überein. Wenn ich mir die Facebook-Profile meiner “Freunde” so anschaue, finde ich das nicht wirklich überzeugend.
Also ich kann das voll verstehen. Eine Freundin von mir, die hat das so weit getrieben, dass sie eine Verlobung, eine Hochzeit und ein Kind auf Facebook “gestaged” hat. Alles mit einem Typen namens Samuel von Hochsohn (der war dann ihr Verlobter etc.), den es gar nicht gab und den sie quasie selbst gespielt hat. Alle sind darauf reingefallen (inklusive mir selbst) und waren total sauer, dass wir nicht zur Hochzeit eingeladen waren etc. Also kreativ oder gemein das Ganze???
ich habe noch kein facebook Profil, ich weiss, manchen Leuten kommt es vor, als hätte ich gar kein Profil, aber vielleicht ist das ja auch eine Art von Spiel mit Identität?
Niemals, werte Silvia…sie hatten nur noch keine Zeit für soziale Netzwerke, das ihre Tochter ja morgen heiratet, das verstehen wir sehr gut!
@Joshua: Nun ja, ob es gemein ist, keine Ahnung, verboten ist es jedenfalls nicht, eine zweite Identität vorzutäuschen.
Worauf ich eigentlich hinaus wollte in meinem Artikel war, was bewegt uns eigentlich dazu, uns auf diese Weise zu präsentieren (egal ob real oder eben gefaked)?
@Silvia: Profil und Profil, das sind offensichtlich zwei paar Schuhe ^^ Ja und man kann die Ablehnung einer “sozialnetzwerklichen Anteilnahme” auch als Spiel bezeichnen. Ich bewundere es, wenn man sich dem Ganzen wirklich entziehen kann, obwohl es viele vermutlich aber eher verurteilen…
Immer mehr Franzosen verlassen Facebook, weil das Onlinenetzwerk nicht mehr genügend Freiheit bietet, meint die Tageszeitung Libération: “Das Geheimnis von Facebook und anderen Plattformen wie MySpace liegt darin, dass es ihnen gelungen ist, einen Raum für den Austausch von persönlichen und beruflichen Informationen zu schaffen. Dieser ist sofort für alle zugänglich, und seine Mitglieder haben das Gefühl, einem ausgewählten und gleichzeitig populären Club anzugehören. Aber das Problem von Facebook ist, dass es sich nicht entwickelt hat. … Sein Gründer Mark Zuckerberg hat die Polemiken über die kommerzielle Verwertung von Milliarden privater Daten nicht kommen sehen. Indem er eine Gemeinschaft, die ein Raum der Freiheit war, zu sehr kontrollieren und benutzen wollte, hat er eine Widerstandsbewegung heraufbeschworen. Noch ist dies zwar nur eine Minderheit, sie aber ist entschlossen.”
Libération – Frankreich | Mittwoch, 9. Juni 2010
Französische Facebook-Dissidenten
Das Problem mit dem Weiterentwickeln hat vermutlich jedes soziale Netzwerk. Wie fast alles im Web 2.0 sind sie doch meistens zeitlich begrenzt, zumindest im Bezug auf Erfolg sprich Mitgliederzahlen.Wer ist denn heute noch bei Lokalisten oder wohin ist eigentlich die Community von haefft.de verschwunden? Es gibt so viele Plattformen die so schnell wieder verschwinden wie sie gekommen sind. Ich denke auch bei studivz und facebook ist es nur eine Frage der Zeit…