Täglich Tigerbalsam

Seit ich in Hongkong war, ertappe ich mich dabei, immer und überall den Klodeckel zu schließen. Damit – so sagt es die Lehre des Feng Shui – mich das Geld, das ich verdiene, nicht gleich wieder durch diesen Ausgang verlässt.

Doch Feng Shui spielt nicht nur in Geldfragen eine wichtige Rolle, wie ich in meiner Zeit in Hongkong erfahren konnte. Beim Bau von Wohnhäusern zum Beispiel ist diese Lehre noch wichtiger als das Katasteramt oder die Baugenehmigung. Um dem Feng Shui-Geist nicht die Sicht auf das Meer zu verdecken, baut man eben ein Hochhaus mit einem großen Loch.

Im hypermodernen Hongkong stehen vor den minimalistischen Designer-Shops aus Edelstahl und Glas kleine rote Altäre und räuchern vor sich hin, während laute Technomusik nach draußen schallt. Auch bei der Terminplanung, ob es nun um Geschäfte, Hochzeiten und andere wichtige Angelegenheiten geht, wird zunächst der Rat des Feng-Shui-Meisters eingeholt.

Mit Aberglaube zum Erfolg

Doch zurück zu mir: Ich habe die Bewohner Hongkongs zuerst belächelt – ich bin ja nicht abergläubig. Aber das Geld fand irgendwie keinen Weg zu mir. Also begann ich, wo ich nur konnte, den Klodeckel zu schließen. In meiner Wohnung in Hongkong stellte ich heimlich ein Silberschiffchen auf meinen Nachttisch oder hing mal ein buntes Wipfelchen mit einer kleinen Glocke auf, damit der Flurgeist sich durch das Glockenspiel besser fühlt. Sicherheitshalber mal hier ein Orangenbäumchen hingestellt, da einen Spiegel umgehängt und zwischendurch den kleinen roten Altar unauffällig in die Wohnung importiert.

Schließlich habe ich den Altar sogar gefüllt, wenn auch nur mit Plastik-Erdbeeren in goldenem Plastik-Schälchen statt Räucherstäbchen und frischen Orangen. Noch ein paar Buddhas und chinesische Gottheiten dazu – dann konnte also nichts mehr schief gehen. Zurück in Deutschland: Hier habe ich mit den Flurgeistern in meiner Friedrichshainer Wohnung noch ein paar Kommunikationsschwierigkeiten. Das wirkt sich leider auch monetär aus. Ich arbeite daran. Das Glockenspiel scheint nicht so ihr Geschmack zu sein. Das Orangenbäumchen überlebte nicht mal eine Saison, und der Altar staubt so vor sich hin, denn die goldenen chinesischen Zeichen kann keiner der Geister hier lesen.

2010 im Tiger-Baby-Boom

Nur das mit dem Zumachen des Klodeckels, das habe ich verinnerlicht. Ansonsten praktiziere ich gerade meine eigene Bankrotterklärung – zumindest aus Feng Shui-Sicht. Aber ich bleibe entspannt, denn gerade bricht eine große Ära des Erfolgs an: Das neue Chinesische Jahr, nämlich das Jahr des Tigers hat begonnen. In China sind Millionen von Menschen quer durch das ganze Land gefahren, um gemeinsam mit ihren Familien das Chinesische Neujahr zu feiern.

Anschließend werden Millionen von Menschen versuchen, ein kleines Tiger-Baby zu produzieren – der Garant für ein erfolgreiches Leben. Ich habe zwar ein Kind, aber es ist nur ein Pferd. Ich kann aber laut Feng Shui einfach ein paar mehr Orangenbäumchen im Ost-West-Winkel meines Wohnzimmers aufstellen und damit alles kompensieren. Das ist wie täglicher Tigerbalsam fürs Leben und wirkt hundertprozentig. HAPPY NEW YEAR!

7 Kommentare zu “Täglich Tigerbalsam

  1. @Dre: Wieso “geworden”? Soweit ich weiß beruht Feng Shui auf einer Jahrhunderte alten Tradition. Dann müssten die Chinesen schon damals ein sehr sinnloses und leeres Leben gehabt haben, weil sie nach Feng Shui lebten. Es geht ja auch nicht um einen Sinn oder ein erfolgreiches Leben, sondern auch um Harmonie und Gesundheit. Feng Shui beruht übrigens, genauso wie die chinesische Medizin (http://de.wikipedia.org/wiki/Chinesische_Medizin), auf dem Fluss des sogenannten Qi, einer unsichtbaren Lebensenergie. Und ich habe schon oft gehört, dass die TCM für viele, die mit der Schulmedizin nicht weiterkamen, eine echte Alternative darstellt.

  2. Ich muss Sarah recht geben. Fengshui ist sehr hilfreich. Warum ist das Leben leer? Es geht gerade darum, dass man es durch Feng Shui an den richtigen stellen aufräumt. Wir alle können davon profitieren!!!

  3. Feng Shui kommt mir wie die Designer Droge fuer Menschen vor, die Anschluss verloren haben — an Religionen und was es da auf dem Markt so an Ersatz gibt.

  4. Es gibt halt Feng Shui und Feng Shui…das eine ist traditionell und umfassend, man sollte dem aber auch zugetan sein und dran glauben, ähnlich der Kabbala. Dann gibt es das andere aus der BRIGITTE, das ist Feng Shui für Billy Regal Umräumer, oder gar Rolf Benz Sofa Verrücker in sanierten Potsdamer Villen. Also eine Art Menopausen Willkommensprogramm für saturierte, leere Gehirne.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.