Gejobbt, geschuftet und gechillt

Es ist kurz nach 21 Uhr und ich fahre den Computer runter, schalte die Videokamera zur Ueberwachung der Aussenfassade ein, die Sicherungen aus und gehe die Treppe hinunter. Erst durch die Tabakboerse im Erdgeschoss und dann durch das Buero. Zum letzten Mal schalte ich die Alarmanlage ein und warte auf das nervtoetende Piepen, das kennzeichnet, dass sie scharf gestellt ist. Mehr als zwei Jahre habe ich hier in der Videothek >Moviestar< neben dem Abi gejobbt, geschuftet und gechillt. Denn entweder war es so, dass gar nichts los war - oder es war zu viel los. Der Job des Videothekaren ist bestimmt nicht immer so entspannt aber in einer kleinen Stadt wie Pritzwalk, wo kaum mehr als 40 Leute am Tag in den Laden kommen, ist es schon sehr angenehm.

Man quatscht mit den Kunden ueber Filme, gibt Empfehlungen und sagt auch mal ehrlich, wenn ein Film schlecht ist. Ist ein bisschen wie Clerks in der Provinz. Richtig eklig ist der Job eigentlich nur, wenn total besoffene Alkoholiker noch mehr Schnaps kaufen und rumjammern wie schlecht ihnen ist, waehrend man selber vor Gestank fast kotzt. Doch am Schlimmsten war es zu arbeiten, wenn meine 67-jaehrige Chefin mir im Ruecken sass. Ihr ewiges Kritisieren, Besserwissen und sich als Boss aufspielen, ist der einzige Grund, warum ich froh bin, mit der Arbeit aufzuhoeren. In meinen letzten beiden Wochen war sie nicht da und meine Kolleginnen und ich haben festgestellt, dass alles sehr viel entspannter ist. Das Arbeitsklima lag seit Ewigkeiten mal wieder ueber dem Gefrierpunkt.

Auch wenn ich jetzt ein wenig Schwarz gemalt habe, moechte ich ein positives Bild hinterlassen. Ja klar, der Job war zum Teil echt laestig und die Bezahlung war auch nicht so super. Aber ich hatte die Moeglichkeit einen ersten und intensiven Einblick in die Arbeitswelt zu erhalten. Meine Kollegen und Kolleginnen waren fast immer zuvorkommend, die meisten Kunden freundlich und bereit sich auf ein Gespraech einzulassen. Irgendwie werden sie mir fehlen, die kleinen Kinder auf der Suche nach Playstationspielen, die alten Maenner, die sich Schwulenpornos ausleihen und die zahlreichen Jugendlichen, die sich einfach nicht entscheiden koennen zwischen einem neuen Abklatsch von American Pie oder einem noch schlechteren Horrofilm.

3 Kommentare zu “Gejobbt, geschuftet und gechillt

  1. eine 67jährige Chefin, um 21 Uhr Schluss, 40 Leute am Tag und 0,5° Betriebstemperatur – dagegen ist jede Berliner Videothek ordinär.
    Wann kommt der erste Roman über eine Videothek in der Provinz?

  2. @ Rainer: Das denke ich auch! Solch Buch wuerde ich lesen ohne Zoegern! Es sollte auch bei Amazon zu kaufen geben!!!

  3. Ist besser als Sozialkunde und Lebenskunde zusammen. nur traurig, dass es wahr ist.. nix Roman.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.