So grazil wie ein fetter Flamingo

Mein erstes Mal war mit 19 Jahren. Da spielte ich meine erste Saison in der ersten Mannschaft. Zu Beginn noch Innen- verteidiger, spaeter dann linkes Mittelfeld. Es war eine grausige Saison. Wir holten in 34 Spielen einen sagenhaften Punkt und schossen elf Tore. Bei einer Gegentorzahl weit jenseits der 100. Eine einstellige Niederlage war schon gut. Weniger als fuenf Gegentore noch besser. Unser Trainer hatte kein Konzept, wir hatten lediglich 13 oder 14 Spieler im Kader, von denen die Haelfte 30 und aelter war. Die andere Haelfte hingegen war 20 und juenger. Der Nachbarverein hatte nach der letzten Saison unseren damaligen Coach weggelockt und mit ihm so ziemlich die komplette erste Mannschaft.

So sass der Verein zu Beginn der Saison ohne Coach und Team da und nur durch die Hilfe der >Alten Herren< konnte ueber- haupt eine Mannschaft aufgestellt werden. Unser Keeper war im besten Peter Shilton-Alter, nur dass er bei einer Groesse von 175 Zentimetern ungefaehr das Doppelte von Shilton wog. Reflexe hatte er wohl, allerdings nur im Umkreis von 50-60 Zentimetern. Unser Libero war gleichzeitig unser Bester. Er hatte zehn Jahre zuvor mal Oberliga gekickt, war allerdings auch schon weit jenseits des >Lothar-kann-noch-mit-zur- EM<-Alters. Unsere Stuermer waren 17 und 18. Einer gross und mit der Grazilitaet eines Flamingos. Genauso stand er dann auch auf dem Platz herum, allerdings mit beiden Beinen auf dem Boden. Ab und an traf ihn mal ein Ball, den er dann ins Aus oder zum Gegner lenkte. Der andere war ein kleiner Wusler. So ein Ulf Kirsten-Typ. Allerdings nicht ganz so durchsetzungsstark - um nicht zu sagen, fallbeilspielhaft. Das allerdings konnte er gut. Jaulend und sich beschwerend auf dem Boden waelzen. Wie dem auch sei. In der zweiten Saisonhaelfte gab ich den Grillmotor im linken Mittelfeld. Meine Flankenlaeufe waren gefuerchtet - bei meinem Coach. Denn ich bin und war wahrlich kein grosser Techniker. Daher verwundert mich mein erstes Mal bis heute.

Es sollte uebrigens auch mein letztes Mal bleiben, denn mit 20 Jahren beendete ich meine aktive Fussballerlaufbahn, um mich meiner Karriere nach der Karriere zu widmen. Es war ein schoener Aprilsamstag. Wir spielten auswaerts in der Kreisklasse B bei einem unserer Nachbarvereine. Schoen gepflegter Ascheplatz. 25 Grad Aussentemperatur. Letzter Regen vor ca. zwei Wochen. Asthmatiker unter uns hatten ihre Freude. Wir schreiben die 51. Minute: Es steht 1-0 fuer den Gastgeber. Doch wir starten einen gelungenen Angriff ueber die rechte Seite. Der Ball wird hoch vor das Tor geflankt, wo unser Flamingo im Sechzehner schon darauf wartet losfliegen zu duerfen, um die Murmel zu versenken.

Doch der gegnerische Abfangjaeger hat aufgepasst und koepft den Ball in aergster Bedraengnis ins Toraus. Ecke fuer uns. Unser Libero schreitet zur Fahne, um den Eckstoss auszufuehren. Ich werfe mich derweil in das Getuemmel rund um den Elfmeterpunkt. Eine besondere taktische Ausrichtung haben wir nicht. Jeder laeuft ein wenig hin und her und versucht seinem Gegenspieler zu entwischen. Ich verstecke mich hinter unserem groessten Mitspieler, als der Eckball ausgefuehrt wird. Der Ball segelt durch die Luft, die Abwehrspieler steigen hoch, um ihn aus der Gefahrenzone zu koepfen, doch koennen nicht klaeren. Einem rutscht der Ball ueber den Scheitel und die Pille fliegt genau auf mich zu.

Ich nehme all meinen Mut zusammen und handele nach dem Motto von Lizarazu: >Entweder er geht rein oder in die Isar<. Bei uns war es eher ein Bach, aber der Gedanke zaehlt. Also drauf auf den Ball mit allem, was ich habe. Ein gelungener Volleyschuss aus der Drehung in den rechten Winkel. Ein Tor, dass man in hundert Versuchen [ich in tausend nicht mehr] einmal trifft. Als ich sah, wie der Ball einschlug, wusste ich sofort, dass ich nach der Saison aufhoere, da es nicht mehr besser werden konnte. Ich machte den Abstauber, rannte zur Eckfahne, tanzte Samba und Merengue, liess mich ins Wappen einrollen und trat noch in eine Coladose. So unbeschreiblich war mein Jubel. Wir verloren uebrigens noch 7-1, aber das interessierte mich an diesem Tage kein bisschen. Ich war in Schoenheit gestorben. Das war es wert. Die Qualen einer Saison fuer diesen Augenblick. Danke Fussballgott!

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