Olympiade des Grotesken

Als Mensch mit einem ausgepraegten Hang zum Aufspueren des Absurden, gewisser grotesker Alltagsdetails und gemeinhin aeusserst geschickt verschleierter Hinweise darauf, das die Welt eigentlich ein total verrueckter Platz in diesem Universum ist, bin ich derzeit total ueberfordert.

Eine Flut des Wahnsinns erreicht taeglich meine Retina, Ohrtrompete und Stirnlappen. Oft zweifle ich an meinen Impressionen, halte inne, warte darauf, das Nachrichtensprecher und TV-Kommentatoren glucksend kichern, um dann prustend laut los zu lachen. Bei genauerem Nachforschen stelle ich aber erschrocken fest, das es sich sogar noch sehr viel irrsinniger verhaelt als gedacht.

Diese Olympischen Spiele sind eine satirische Grossleistung von einer solch perfiden Qualitaet, dass die meisten Pointen ob der Flut hoechst gelungener Gags untergehen. Ein Feuerwerk kuriosen Humors! Man kann ja grundsaetzlich ueber dieses sportliche Grossereignis denken was man will. Irgendwo zwischen >panem et circensis<, Fernsehmarketingorgien gigantischen Ausmasses, obskursten Dopingtechniken und sehr kurzfristiger, aber umso seltsamerer nationaler Begeisterung ueber eine Bronzemedaille im Luftpistolenschiessen der Frauen, findet sich dann eine jede Olympiade der Neuzeit wieder. Soweit nichts Neues. Und eine kritische Haltung dazu ist so wenig aufregend und originell wie neue deutsche Kinofilme vorm Balkon. Aber dieses seltsame Gebilde >Volksrepublik China< richtet da zurzeit eine Art von Veranstaltung aus, ueber die anscheinend nur ich offen kopfschuettelnd Traenen lachen muss. Und damit ist noch nicht einmal die Feuilleton-Diskussion ueber Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Tibet, zensiertes Internet, Verhaftungen und Konsorten gemeint. Nein! Ich denke eher an ein computeranimiertes Feuerwerk, weltweit zur Eroeffnung der Spiele uebertragen, eine Medienmanipulation von der Verschwoerungstheoretiker nicht mal bei einer gefaelschten Mondlandung haetten traeumen duerfen. Ich denke an das grossflaechiges Umstellen einer Megalopolis mit unzaehligen alten Flakgeschuetzen. Einzig um durch das Verschiessen von Granaten mit Silberjodidfuellung Regenwolken noch vor den Toren der Stadt zum Abregnen zu bringen. Ein natuerlich charmant-misslungenes Unterfangen. Schon Naturphaenomene wie ein Regenschauer koennen augenscheinlich zum Gesichtsverlust einer asiatischen Nation beitragen. Und das in einem Kulturkreis, der weniger den Wert des Individuums hochhaelt, als die Staerke des Kollektivs. Man spuckt offen auf die Strasse, aber das Nase putzen gehoert diskret in die Ungestoertheit einer Toilette. Grossartig, das gefaellt mir! Schon allein dies haette jeden meiner Lektoren oder Redakteure ein von mir eingereichtes Expose entruestet wieder zurueckschicken lassen. >Schlecht ausgedacht, unglaubwuerdig, albern, an den Haaren herbei gezogen, abgeschmackt und schliesslich grotesk<, das waeren noch die mildesten Beschimpfungen gewesen. Da aber dies Leben, Schicksal, Gott, Fuegung, Schoepfung, Evolution oder wie immer man auch die Dramaturgie des Weltenlaufs nennen mag, vor keinem auch noch so billigen Kunstgriff zurueckschreckt, finden eben unsere grossen, grenzenlosen Spiele exakt dort bei aufgehender Sonne statt. Dieser Weltenschoepfer muss ein erfolgloser Storyliner einer drittklassigen Telenovela sein, da bin ich mir recht sicher. Und so gefaellt es der dramaturgischen Leitung dieses Sommers, der Menschheit weiter einen matt polierten, antiken Silberspiegel vor das Antlitz zu halten, damit einem jeden deutlich werde, in welch Muenchhausischem Kuriositaetenkabinett die Welt zur Zeit tanzt. Alte, von Geld, Macht, Korruption und unbegrenzten Moeglichkeiten besoffene Sportfunktionaere verdrehen jeglichen moralischen Deckmantel selbst im submolekularen Bereich um 360 Grad. So das niemand mehr weiss, was gut und rein und was wiederum schlecht und verwerflich zu finden ist. Neu angewandte Gen- und Hormontests zum sicheren Feststellen des Geschlechts einzelner Sportlerinnen sind da ja noch eine fast nuetzliche Errungenschaft. So konnten immerhin schon acht Hermaphroditinnen oeffentlich entlarvt werden. Westliche Medien, libertaere Journalisten und Denker, aber auch Menschenrechtsfanatiker winden sich weiter angesichts einer uralten Hochkultur im Banner des roten Drachen, der sich seinerseits im Klammergriff der fuenf Ringe weiss. Sklaverei, Ressourcen- und Umweltvernichtung riesigen Ausmasses, werden durch einen ultrahocherhitzten Turbo-Manchesterkapitalismus, von einer zentralistisch regierenden KP Infrastruktur maoistischer Praegung, im sozialistischem Fuenfjahresplan rigoros umgesetzt. Wenn das nicht grotesk ist! Acht Millionen Quadratmeter grauer Betondaecher in der Einflugschneise des Flughafens, sind mittels Bepflanzung oder gruener Bemalung neu gestaltet worden, um Olympiabesuchern ein menschlicheres Antlitz der Stadt zu suggerieren. Einzig fuer diesen aeusserst kurzen Eindruck des Landeanfluges! Darueber hinaus wurden gezielt 50 spezielle Pflanzensorten gezuechtet, manipuliert und erprobt, um sicher zu stellen, das waehrend der Spiele im gewohnt schwuel-heissen August-Klima, ein stabiler Bluetenstand und ueppige Begruenung entlang der Hauptstrassen und Olympiagelaende gewaehrleistet ist. Phantastisch! Grotesk! Davon haetten selbst Georg Christoph Lichtenberg, Ambrose Bierce und Karl Kraus weiland nicht zu traeumen gewagt. Potemkinsche Doerfer par excellence! Uebertrieben. Unglaubwuerdig. Kein Verlag druckt das! Damit wir uns nicht falsch verstehen, grotesk ist fuer mich einzig die weltweite Gemenge-Lage dieser Spiele, ich lache nicht ueber die armen Chinesen. China ist eben ein perfekter Katalysator fuer die unaufhaltsame Explosion des Grotesken in der Welt. Das liegt wohl am Spannungsfeld in dem sich diese Kultur bewegt. Heraus katapultiert aus zum Teil mittelalterlichen Verhaeltnissen auf dem Land, in die suborbitale Umlaufbahn der technischen Moderne. Ein Volk, das seit Jahrhunderten Geistergeld druckt, ein eigens hergestelltes, billiges Falschgeld, das den Ahnen mittels Verbrennung geopfert wird, scheint natuerlich anfaellig auch und gerade fuer Verlockungen des Kapitals. So verwundert es nicht, das sich zum Beispiel neben Maos Konterfei auf diesen >Hell Money< genannten Scheinen, unter anderem John F. Kennedy befindet. Neuster taoistischer Schrei ist die Herstellung von Geisterkreditkarten, Sportwagen aus Papier, Luxusvillen, sowie papierne Darstellungen von Kondomen, Viagra und Callgirls. Alles zur rituellen Verbrennung! Grotesk ist nicht der heutige Kapitalismus in China, ein grotesker Irrtum war eher der Kommunismus dort all die Jahre. Pure Ironie! Und so bin ich der festen Ueberzeugung, dass es nicht zufaellig zu dieser Sommerspielgroteske kam. Das wurde von ausgewiesenen Meistern ihres Fachs von langer Hand geplant. Meine Theorie diesbezueglich ist zwar im Grunde so aberwitzig wie die Olympiade selbst, aber nicht weniger unglaubwuerdig und vor allem sehr versoehnlich: Ich glaube ja, das gegen 1917 im Zuericher Cabaret Voltaire von Tristan Tzara und Hugo Ball ein entsprechendes Pamphlet geschaffen wurde. Eine Grundidee dieses Sommers, beeinflusst durch den ausgehenden Ersten Weltkrieg und die stuermische Oktoberrevolution. Eben nur eines dieser vielen lustigen dadaistischen Flugblaetter. Im Zuge der Beschlagnahmung entarteter Kunst regte sich Interesse seitens der Veranstalter der seinerzeit mindestens ebenso fantastisch inszenierten Olympiade von 1936. Visionaer wie sie nun einmal war, bemaechtigte sich Frau Riefenstahl dieser Inspiration und rettete sie durch den Krieg. Ihrer Ethnophotografie etwas muede geworden, spielte sie dies Konzept einer Olympiade und eines moeglichen Staatengebildes Ende der sechziger Jahre in London den begabten Herren von Monty Python zu. Leider liess sie die BBC nur einen kleinen Teil des visionaeren Konzeptes realisieren, den beruehmten Sketch ueber das Ministerium fuer alberne Gangarten. Na immerhin! Ende der achtziger Jahre nun, hatte Terry Gilliam in Hollywood mit Steuernachzahlungen zu kaempfen und vermachte seine eigene UEberarbeitung des Dada-Riefenstahlschen Konzeptes einem ambitionierten Hongkonger Milliardaer gegen Zahlung eines veritablen Suemmchens. Jener clevere Investor war auf der Suche nach einem tragfaehigen und schluessigen Zukunftsplan seiner Region, gerade auch im Angesicht des bevorstehenden Rueckfalls der britischen Kronkolonie an China. Gewissenhaft wie man dort in Asien nun einmal ist, setzte man diesen Plan Buchstabengetreu um, gipfelnd in der aktuellen Grossveranstaltung als Showdown des Irrsinns. Und so erwarte ich nun wohlgemut bei der diesjaehrigen olympischen Abschlussfeier einen laechelnden chinesischen Ministerpraesidenten, der sich eine perfekte Gesichtsmaske vom Kopf reissen und schliesslich als der unvergleichliche John Cleese entpuppen wird. In perfektem Oxford Englisch wird er der Welt folgendes verkuenden: >Ladies and Gentlemen, this was just a joke! No worries! And now to something completely different…<.

5 Kommentare zu “Olympiade des Grotesken

  1. Danke für den Artikel, den ich mir gleich zweimal durchgelesen habe , um mir nur ja keine der Pointen durchgehen zu lassen.
    Sieht man einmal von der technischen Weiterentwicklung der Menschheit, seit ihren Anfängen ab, so hätte der Artikel in Anlehnung an den Romantitels von Remarque: “Im Westen nichts Neues”, die Überschrift , “Seit Menschengedenken, Welt weit nichts Neues”, verdient.
    In Bezug auf die kuriosesten Einfälle plakatierter Dummheit, so wie sie hier beschrieben werden, das muss man uns Menschen doch neidlos zugestehen, sind wir einfach genial und einzigartig.
    Vielleicht können wir eines Tages diese Flut von Varianten gelebten und erlebten Wahnsinns als galaktischen Brüller in einer Dokusoap vermarkten. Das will ich jetzt nur gesagt haben, damit in der Zukunft niemand behaupten kann, dass man das nicht hätte voraussehen können. Vielleicht gibt es ja sogar schon irgendwo Anwaltskanzleien, die sich mit der rechtlichen Sicherung und Patentierung dieser Idee zur intergalaktischen Vermarktung beschäftigen.
    In diesem Sinne wollen wir dem olympischen Gedanken folgen, dabei sein ist alles, oder wie eine Moderatorin des zweiten deutschen Fernsehens uns immerwieder glauben machen will, alles wird gut.
    H.-J. Stumm

  2. Oooops! Fuckin’ right! Welch ein Lapsus beim Zitieren…Asche auf mein Haupt!

  3. Ist halt ganz egal was die Mesnchlein so alles machen und sich vornehmen; stets handelt es sich dabei um eine “heilige und zum Fanatismus verpflichtende Mission”. Das gilt für die Renovierung des Dachgeschosses, fürs Parteiengekläffe, das Geschacher um Marsgrundstücke ebenso wie für den Terrorismus … und natürlich Olympia. Dabei sind 98,6 Prozent davon totaler Quatsch und niemand merkt es, weil alle total besessen sind von irgendwas, besessen sein wollen und müssen. Es gibt zu viele Tunnel, in die mit Starrsinn und Eifer hinein geblickt wird. Und zudem ist in keinem dieser Tunnel Licht am Ende auszumachen, höchstens der Glanz
    totaler Siegerpupillen, fünf Ringe oder sonst irgendein Artefakt menschlicher Sinnmacherei.
    Lob für den Olympia-Schreiber Offer! So ist es – itzo und immerdar!

  4. Lieber Jörg

    Du bist zu Recht frustriert über diese OS:

    1: Warum kommen wir nicht an solche Super Doping Mittel ran (Neid!)? Clenbuterol bringt’s einfach nicht mehr.

    2: Wie kann so eine Hohlbirne wie Kerner diese Spiele kommentieren, während unsereiner sich das vor dem Fernseher angucken muss?

    3: Das Schlimmste aber ist, dass wir die Spiele nicht standesgemäss in unsere Walder Jahnkampfbahn geholt haben und sie jetzt in einem “Vogelnest” stattfinden.

    Alles Gute nach Berlin
    GL

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