Philosophischer Wassergraben

Unlaengst in Venedig: nie zuvor dagewesen. Toll. Keine Autos, alles wird per Boot bewegt, oder per pedes. An dem besagten Wochenende bekam der Begriff >Discoboot< eine fuer mich neue Bedeutung. Jeder Venezianer, der auf sich hielt, hatte ein mit laut wummernder Musikanlage ausgestattetes Schiffchen, auf dem eine mehr oder minder grosse Anzahl Menschen mit viel Juchu Aersche und Titten inszenierte. Man fuhr vom Treffpunkt Marktplatz zur Lagune hin, wo eine lange, temporaere Bruecke zur Insel Guidecca aufgestellt worden war. Spaeter lang anhaltendes Feuerwerk. Keiner fiel in den Canale Grande.

Tags darauf der Katzenjammer. Margarita und Beatrice steuerten mit ihrem kleinen Aussenborder zum abendlichen Baden; wir aber gingen ins Restaurant. Die Stadt hatte sich sonntagsberuhigt. Das heisst: Die Menschen gingen ohne bunte Einheitshuete oder sonstigen Partybedarf durch die Gassen. Keine rotbemantelten Hutzelweibchen liefen Kehlen zertrennen, es starben auch keine juenglingliebenden Komponisten in den Gassen. Ein Graffiti aber: >Venedig sei wie Stalingrad – kein Durchkommen< und dazu auf Englisch, dass die >Stadt versinke<. Als duerfe das Literatur-Stigma >Tod< keinesfalls mit untergehen. In den Fuenfzigern urlaubte hier Jean-Paul Sartre mit Michelle Vian. Er verfasste dann einen seiner vielen abgebrochenen Texte über den >Letzten Touristen<. Im Gespraech mit de Beauvoir, Jahrzehnte spaeter, erinnerte er sich nur noch an sein Gondel- und Wasserbeschreiben. Sartre mochte gern fette Wurst. Er war ein Masturbator des anderen Geschlechts. Dennoch trieb Vian mehrmals ab - sonst waere Jean-Paul Vater geworden. Jedenfalls ist er weder am noch im >Amsterdam des Suedens< gestorben, und zurueck zuhause habe ich ihm venezianische Wuerste und Pasta gekocht. Ein Hoch auf seine Philosophie.

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