Das bruchlose Beben

Was einerseits saemtliche Laender um den Indischen Ozean verwuestete, Hunderttausende von Menschen das Leben nahm und im Rest der Menschheit ­ jedenfalls bei vielen Leuten und mindestens voruebergehend ­ eine tiefe Verwerfung ihrer Vorstellungen von Natur und Palmen-Paradisen ausloeste, stellt sich auf medialer Seite als glatter, bruchloser Ablauf einer wie geschmiert laufenden Nachrichtenmaschine dar.

Nach dem Anlassen dieser Maschine im ersten Golfkrieg war CNN als der einzige Gewinner aus jenem Krieg hervorgegangen und fortan eiferten Sender in anderen Laendern dem Vorreiter des >be the first to know< nach. Wenn etwas auf CNN berichtet wurde, war es damit per se schon eine wichtige Nachricht, fuer die das ZDF 1992 dann auch schon mal eine heute-Sendung unterbrach, um sich diesem Joker im Nachrichtenpoker willig unterzuordnen. Seit dieser Zeit wurden die Nachrichtenredaktionen bei ARD und ZDF immer weiter darauf ausgebaut, im Falle eines Katas- trophenfalles schnellstmoeglich auf Sendung zu gehen. Natuerlich mussten es einige uebertreiben, wie die Lokal- redaktion von >buten und binnen<, die einfach ein bisschen zu nah und voellig jenseits jeder ethischen und rechtlichen Grenze beim Gladbecker Geiseldrama dabei sein wollte. Es ist eben ein schmaler Grat zwischen Aktualitaet und Amoralitaet. Und dann muss man auch noch dem oeffentlich- rechtlichen Auftrag an Durchdringung und Verstehen von Prozessen nachkommen! Dazu braucht diese Maschine eine stets gut bestueckte Munitionskammer von Fachleuten aller Provenienz. Also folgten jahrelange Trockenuebungen mit ARD-Brennpunkten und heute-spezials, die eine neue Spezies der Humanoiden gebaren: die Experten ­ kein Morgenmagazin ist heute mehr ohne vorstellbar. Aber die Stunde der Bewaehrung kommt schliesslich im September 2001, als der Nachrichtenernstfall eintritt.

Es hakt hier und da sicher noch etwas, aber im Grossen und Ganzen sind Sender jetzt in der Lage, ein geordnetes Vollprogramm zum Chaos zu liefern. Und 2004 bei der Tsunami-Katastrophe zeigt sich, dass die Nachrichtenmaschine stoerungsfrei auch ueber laengere Zeit mit Hoechstgeschwin- digkeit gefahren werden kann. Dabei ist es vor allem den Handy-Filmen zu verdanken, dass es jetzt sogar zahlreiche Aufnahmen aus dem Auge des Orkans gibt. Katrina ist dann von der medialen Abwicklung her schon >business as usual<. Das grosse Weltbeben ist auf dieser Ebene erst zu erwarten, wenn bei der Nachrichtenmaschine ein Keilriemen reisst.

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