Der Übergang zu einer “grünen” Welt wird als ein Anliegen im Sinne des Gemeinwohls gepriesen, deshalb seien auch Opfer notwendig, heißt es. Bezeichnenderweise sollen diese Opfer auch von denjenigen erbracht werden, die bereits zu den Ausgebeuteten und Leidtragenden gehören, wie die Wissenschaftlerin Amy Walker in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism” zu denken gibt.
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Die derzeitigen Bemühungen um eine rasche Abkehr von klimaschädlichen Volkswirtschaften durch Programme des “gerechten Übergangs” und andere damit verbundene Maßnahmen sind überfällig. Und wenn Regierungen tatsächlich Übergangsmaßnahmen vorantreiben, bestehen Politiker*innen immer darauf, dass Opfer notwendig sind, um eine globale Zukunft zu schützen. Dabei kann es sich um persönliche Opfer handeln, wie z. B. die Reduzierung des schädlichen individuellen Konsums und der “Lebensweise”, oder um gemeinschaftliche Opfer, wie z. B. den Verlust von Industriearbeit. Oft sind diese “Opfer”-Gemeinschaften diejenigen, die zuvor von der Rohstoffindustrie abhängig waren, wobei Städte und Dörfer in Kohlebergbaugebieten als Beispiele für solche marginalisierten und ausgebeuteten Gemeinschaften dienen.
‘Sacrifice Zones” (Opferzonen) entstehen im Zuge der Neugestaltung der sich wandelnden und globalisierten Energienetze und werden als notwendige Opfer im Netzwerk der Energieproduktionsprozesse dargestellt. Weltweit stehen die Kohlebergbaugemeinden an vorderster Front der Umstellungsbemühungen und werden nach Jahrzehnten schlechter Arbeitsbedingungen und Ungerechtigkeit erneut als Opferzonen betrachtet. Trotz des weit verbreiteten Bewusstseins in der Forschung, beim EU-Fonds für gerechte Übergänge und in verschiedenen Regierungkreisen, dass die Gemeinden im Zentrum des Übergangsprozesses besser unterstützt werden müssen, verdienen die komplexen Hintergründe, wie diese Opfer gerechtfertigt werden, weitere Überlegungen. Selbst in Gemeinschaften, in denen die Opfer schon vor langer Zeit erbracht wurden, sind die Auswirkungen immer noch spürbar.
Geopferte Zonen: Das britische Kohlebergbaudorf
In der Landschaft des südwalisischen Kohlereviers, das umgangssprachlich als “Valleys” bezeichnet wird, sind nur noch wenige Spuren des Kohlebergbaus zu erkennen. Es handelt sich dabei um ein Gebiet mit historischen Industriestädten und kleinen Dörfern, die am Fuße einer Reihe von steilen Tälern liegen, die sich von den Küstenstädten Newport, Cardiff und Swansea bis zu den bergigen Brecon Beacons erstrecken. Diese kleinen Dörfer entstanden in der Regel als Reaktion auf die Errichtung von unterirdischen Kohlebergwerken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, deren Schächte zu kilometerlangen unterirdischen Gängen führten.
Die Minenbesitzer – in der Regel englische Geschäftsleute – errichteten in den Gebieten in unmittelbarer Nähe der Gruben Hütten für ihre Arbeiter. Diese Gemeinden wuchsen auf Grund des großen Kohlebedarfs, angeheizt durch die britische Industrie angeheizt. In der Regel arbeiteten alle Männer einer Straße in der gleichen Grube; ihre Frauen übernahmen die traditionelle Rolle der Hausfrau oder gingen einer Beschäftigung nach, die oft mit dem Bergwerk zusammenhing. Die Söhne arbeiteten mit ihren Vätern in der gleichen Grube. Soziale Vereine, politische Gruppen, Schulen und Krankenhäuser wurden in der Regel durch Spenden der Bergleute vor Ort unterstützt. Die Grube definierte die Stadt.
Kohlebergbaugemeinden wie die in den Tälern von Südwales können fast ihre gesamte Geschichte hindurch als “Opferzonen” betrachtet werden. Die Bergbaustädte und -dörfer hatten den Energiebedarf des Vereinigten Königreichs gedeckt. Die Industrie vor Ort war während des gesamten 20. Jahrhunderts von jahrzehntelangem Missmanagement und mangelnden Investitionen betroffen.
“Wir wussten nicht, dass wir arm waren, weil alle arm waren.”
Die Bergleute in den Gemeinden waren mit gefährlichen Arbeitsbedingungen und wirtschaftlicher Not konfrontiert. Die Bewohner*innen einer besonders marginalisierten Region der Valleys in der Grafschaft Blaenau Gwent erinnerten sich an die Zeit, als die Kohlegruben noch in Betrieb waren:
“Es war morgens so kalt, dass man beim Aufwachen an den Fenstern malen konnte … Wir wussten nicht, dass wir arm waren, weil alle arm waren.”
“Die Leute erzählen, dass man seine Tür offen lassen konnte und niemand etwas klauen würde – weil man nichts hatte, was sich zu nehmen lohnte! Nicht einmal Teppiche hatte man.”
“Ich habe Männer in den Gruben auf so viele Arten sterben sehen… Einige der schrecklichsten Arten… Und jedes Mal, wenn man nach unten stieg, wusste man nicht, ob man wieder hochkommt.”
“Der (Kohlen)staub ist so fein … er schwebt ständig … und er geht in deine Lunge, und er schwebt dort und bleibt in deiner Lunge hängen … und so stirbt man.”
Die Bedingungen wurden durch die häufige Androhung von Entlassungen verschlechtert; Grubenschließungen waren keine Seltenheit und verschlimmerten sich nach der Verstaatlichung der Industrie im Jahr 1947. Arbeitskampfmaßnahmen waren an der Tagesordnung, mit bemerkenswerten Streiks in den Jahren 1969, 1971 und 1984-1985. Aus akademischer Sicht wird die Niederlage dieses letzten Bergarbeiterstreiks als Schlüsselelement des Übergangs zum neoliberalen Kapitalismus unter Thatcher betrachtet. Die Traditionen des Fordismus und die keynesianischen Grundsätze wurden durch Modelle unregulierter Märkte ersetzt, und die Zerschlagung staatlicher Industrien, wie damals des Kohlebergbaus, war ein zentraler Bestandteil dieser Programme.
Beschleunigte Entwicklung seit 1985
Für diejenigen, die in solchen Gemeinschaften leben, war die Sache nicht so komplex. In den postindustriellen Gemeinden hält sich hartnäckig das Gefühl, dass der Kohlebergbau von der konservativen Regierung dezimiert wurde, entweder als Strafe für den Arbeitskampf oder als kalkulierter Versuch, die britische Gewerkschaftsbewegung zu schwächen. Nach der Niederlage des Streiks im Jahr 1985 beschleunigte sich die Schließung der Kohlegruben rapide. Allein im Jahr 1985 wurden im gesamten südwalisischen Kohlerevier neun Zechen geschlossen. Zwischen 1983 und 1994 sank die Zahl der Zechen im Vereinigten Königreich von 174 auf nur noch 15.
Während die Hinwendung zum Neoliberalismus und den damit verbundenen Formen des globalisierten Kapitalismus die Ungleichheiten verschärfte, war diese Entwicklung wiederum ein Beispiel dafür, dass die Bergbaugemeinschaften als “notwendige” Opfer bezeichnet wurden. Die öffentliche Unterstützung für die streikenden Bergarbeiter hielt sich in Grenzen, und Thatcher bezeichnete den Kohlebergbau erfolgreich als veraltet, “krank” und bereit, durch “moderne” Industrien ersetzt zu werden. Ein Anwohner des südwalisischen Kohlereviers sagte mir: “Die Zechen waren am Sterben, sie (die konservative Regierung) hat den Prozess beschleunigt.”
Auch wenn im Zusammenhang mit den aktuellen Übergangsprogrammen vielleicht nicht dieselben politischen Motive im Spiel sind, gibt es hier offensichtliche Parallelen; diese Schließungen werden im vorherrschenden gemeinsamen Diskurs gerechtfertigt. Opferzonen werden als notwendig, als erwartet, als wirtschaftlich gerechtfertigt und, im aktuellen Fall, als Notwendigkeit zur Rettung des Planeten dargestellt.
Die Folgen eines ungerechten Übergangs
Obwohl der größte Teil der Kohleförderung in den South Wales Valleys Ende der 1990er Jahre eingestellt wurde, sind die Auswirkungen dieser Stilllegungen noch heute spürbar. Über die Effekte der Deindustrialisierung sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht wurde bereits vielfach berichtet. Geografisch isolierte, meist monoindustrielle Gemeinden wie Grubendörfer sind am stärksten betroffen, was durch Wirtschaftskrisen und die Sparprogramme der britischen Regierung noch verstärkt wird.
Diese und andere Gemeinden leiden unter Bevölkerungsrückgang, niedrigem Bildungsniveau, niedrigen Löhnen, hoher Arbeitslosigkeit, einer hohen Zahl von Erwerbsunfähigkeitsanträgen, einer hohen Zahl von psychischen Erkrankungen, Suchterkrankgungen und einer hohen Selbstmordrate. Andere Kosten der Deindustrialisierung sind weniger leicht zu definieren, wie z. B. der Verfall von Gebäuden und Infrastruktur, ein Gefühl der Unsicherheit und ein Verlust an Würde sowie Misstrauen gegenüber Institutionen und politische Ressentiments. In Blaenau Gwent werden die Statistiken auch durch das Selbstverständnis der Gemeinde bestätigt, wie es in einem BBC-Bericht heißt:
“Die Zahlen erzählen eine lange und traurige Geschichte des Niedergangs. Wir sind an der Spitze jeder Liga, in der man nicht an der Spitze stehen möchte”, sagt mir ein Mann. Armut, Krankheit, Arbeitslosigkeit – der Name Blaenau ist immer unter den schlimmsten… die hier angesiedelten Gemeinschaften (wurden) ausgelöscht.”
Ähnlich äußerten sich auch andere Einwohner*innen, die den Niedergang nach der Schließung der Minen erläuterten, aber auch die Einstellungen, die nach wie vor bestehen:
“Die Menschen, die in den Minen angestellt waren, haben zwischen ihrem 40. und 50. Lebensjahr aufgehört zu arbeiten, und sie sind irgendwie steckengeblieben. Die Leute sind immer noch verärgert darüber … sie sind wie eine Herumlungergeneration. Selbst ihre Kinder empfinden das so.”
Gegen wen sich der Groll richtet, ist schwer auszumachen; stattdessen herrscht ein allgemeines Gefühl der Vernachlässigung und des Vergessens vor, sogar über Generationen hinweg, aber es wurzelt in einer Geschichte der Marginalisierung, die in dem ultimativen strafenden Todesstoß – die rasche Schließung der Minen – kulminierte. Es ist nicht nur der Verlust von Arbeitsplätzen, der diese Gemeinden überwältigt hat. Ein kleines örtliches Museum in der Gegend enthielt Artefakte des Streiks, darunter eine Zeitungsattrappe mit der Schlagzeile “Wenn sie eine Grube schließen, töten sie eine Gemeinde”. Die Arbeitsplätze waren weg, aber es war der Verlust einer Lebensweise, der diese Orte ergriff, und es ist schwer zu vermitteln, wie gravierend und tiefgreifend sich dieser gesellschaftliche Wandel auch drei Jahrzehnte nach der Schließung der letzten Grube im Tal anfühlt.
“Es ist traurig, zu sehen, was daraus geworden ist”. sagte ein Bewohner schlicht zu mir.
“Es ist fast nichts mehr übrig.”
Rechtfertigung eines opferbereiten Übergangs
Die Politik Thatchers und der Bergarbeiterstreik von 1984/85 spielten in den alltäglichen Gesprächen, die ich in Blaenau Gwent miterlebte, keine Rolle, aber das Gefühl der Verbitterung, der Marginalisierung und des Verrats hält an. Der Niedergang dieser Gemeinden, sei es durch die rasche Schließung von Bergwerken oder durch die allmähliche wirtschaftliche Marginalisierung, wird immer noch weitgehend mit dem Gefühl gerechtfertigt, dass die Schließungen notwendig waren. Viele Bergleute gaben selbst an, dass die Minen so chronisch unterfinanziert waren, dass sie nicht mehr lebensfähig waren. Diese Rechtfertigungen können jedoch den Verlust und die Schwierigkeiten, die diese Orte erfahren haben, nicht mindern.
Angesichts der aktuellen Pläne für den Übergang und der wahrscheinlichen Positionierung der derzeitigen Kohlebergbaugemeinden, die erneut im Namen des Fortschritts geopfert werden, wenn auch in einer hoffentlich nachhaltigeren und gerechteren Form des Fortschritts, können die Kohlebergbaudörfer in Südwales als deutliche Warnung dienen. Die Auswirkungen der Deindustrialisierung sind in Gemeinden, die direkt mit Industrien zusammengewachsen sind, die ihre wirtschaftliche, aber auch soziale Welt geprägt haben, kaum zu überschätzen, insbesondere für Opferzonen, die aufgrund ihrer eigenen Rolle innerhalb des Energiesystems, das sich nun reformiert, marginalisiert wurden. Unabhängig von den Gründen für solche Übergänge ist es für diese marginalisierten Gemeinschaften von entscheidender Bedeutung anzuerkennen, dass dieser Übergang eine Gelegenheit ist, eine Geschichte von Opfern aufzuarbeiten, oder eine Zukunft zu riskieren, die auf unbestimmte Zeit belastet ist.
Anm.d.Red.: Dieser Text ist ein Beitrag zur “After Extractivism”-Textreihe der Berliner Gazette; die englische Version ist auf Mediapart verfügbar. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “After Extractivism”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://after-extractivism.berlinergazette.de
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