Zum Stillstand kommen

Vor kurzem las ich im Wirtschaftsmagazin >brand eins< einen Artikel ueber die Elektronikkette Best Buy und ihr vermeintlich revolutionaeres Arbeitszeitsmodell. Die Angestellten des US-amerikanischen Unternehmens duerfen sich ihre Tage offenbar vollkommen frei einteilen und muessen waehrend der Arbeit nicht einmal im Buero anwesend sein. >Results-only work environments< lautet der Fachbegriff fuer diese Art von Arbeitsorganisation, bei der allein die Ergebnisse zaehlen.

Mir kam das vertraut vor. Als freier Journalist und Literaturkritiker verdiene ich mein Geld bereits seit zwoelf Jahren unter diesen Bedingungen Meine Auftraggeber in den Zeitungsredaktionen und Radiosendern interessiert es wenig, wann und wo und wie ich arbeite, solange ich nur halbwegs puenktlich die gewuenschten Texte abliefere. Genau wie die Angestellten von Best Buy bin ich ganz allein fuer die Kontrolle meiner Arbeitszeit verantwortlich und befinde mich daher in einem Zustand der permanenten Selbstdisziplinierung. Und natuerlich der maximalen Selbstausbeutung. Schliesslich steht jede Minute meines Tages, die ich nicht auf das Schreiben von Artikeln und Beitraegen verwende, unter dem Verdacht der sinnlosen Verschwendung von Ressourcen.

Nun bin ich nicht nur Journalist und Kritiker, sondern auch Schriftsteller. Gut moeglich, dass sich das rigide Kosten-Nutzen-Modell meiner journalistischen Arbeit auf die formalen und inhaltlichen Aspekte meiner literarischen Produktion ausgewirkt hat. Zumindest ist keine der Geschichten in meinem Erzaehlband >Minibar< laenger als vier oder fuenf Seiten. Vielleicht steckt hinter dem Bemuehen um eine extrem verknappte Form tatsaechlich der Wunsch nach groesstmoeglicher Sinnproduktion auf kleinstem Raum. Zwei Seiten fuer ein ganzes Leben zwischen Alkohol und Wahnsinn. Das Scheitern einer Liebe auf achttausend Zeichen. Results only, auch hier zaehlen nur die Ergebnisse. Auf jeden Fall ist in meinen >kurzen Erzaehlungen< fuer sprachliche Verzierungen oder rhetorische Figuren genauso wenig Platz wie fuer Landschaftsbeschreibungen oder innere Monologe. Ich versuche ausschliesslich, die Mechanik einer Begegnung zwischen zwei Menschen oder die versteckte Dramaturgie einer Biografie auf wenigen Seiten blosszulegen. Auf den ersten Blick wirken die Geschichten allein wegen dieser auffaelligen Differenz zwischen >Erzaehlzeit< und >erzaehlter Zeit< [wie die Literaturwissenschaftler es nennen] tatsaechlich >schnell geschnitten<, und der Vergleich mit der rasanten Unterhaltungsformaten der so genannten MTV-Generation liegt wohl nahe. Ich koennte mir allerdings vorstellen, dass die radikale Verknappung der sprachlichen Mittel viel eher dazu fuehrt, dass meine Geschichten >langsamer< werden, weil sie Brueche, Luecken und Leerstellen hervortreten lassen, in denen Zeit mitunter ganz zum Stillstand kommen kann: die Momente, in denen zum Beispiel ein Familienvater ueberlegt >sein ganzes Leben mit einem Streichholz und einem Benzinkanister in Flammen aufgehen zu lassen< oder ein namenloser Erzaehler sich am Schreibtisch in einer detailverliebten und melancholischen Erinnerungsschleife verliert. Man kann sich als Schriftsteller allerdings noch so bemuehen, in seinen Texten die Zeit zu manipulieren: Am Ende uebergibt man das eigene Produkt selbst der Zeit beziehungsweise dem >Zeitgeist< zur Ueberpruefung. Manchmal erfuellen sich Erwartungen, haeufig erlebt man auch Ueberraschungen. So fanden Rezensenten in >Minibar< unter anderem die >Welt der 30- bis 40jaehrigen Stadtmenschen< wieder, erkannten ein >Lebensgefuehl der mueden Erwartungslosigkeit< und riefen mit Blick auf andere Veroeffentlichungen werbewirksam >die Rueckkehr der kleinen Form< als literarischen >Trend< aus. Ich vermute, dass es das ist, was Adorno und andere mit der >Verdinglichung< der Zeit in der Epoche des Kapitalismus gemeint hat. Es waere jedoch falsch zu behaupten, dass ich mich diesem Prozess lieber entziehen wuerde. Results only, das gilt auch fuer den Markt der Eitelkeiten. Und die Eitelkeit der Schriftsteller ist ein... zeitloses Phaenomen.

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