Zukünfte des Internet: Feuilletonintellektuelle, Machtgesetze und Netzkritik

Traditionell stehen Kritik und Entwurf einander fremd oder gar feindselig gegenueber. Fuer mich aber gehoert der Pathos Theodor Adornos der Vergangenheit an. In Deutschland mag es schwierig sein, Kritik von der Tradition der kritischen Theorie zu trennen. Aber es ist durchaus nicht unmoeglich. Ein Beispiel waere das Projekt >Netzkritik<. Es verfolgt das unmoegliche Ziel, eine radikale Negativitaet in den Dienst einer ebenso radikalen Zukunft zu stellen.

Dabei begnuegt es sich nicht damit, machtpolitisch die neoliberalen Zukunftsmodelle zu dekonstruieren. Denn man kann die Netzlogik nicht nur mit Wirtschaftsinteressen erklaeren. Was eben auch in Betracht gezogen werden muss, ist die weit verbreitete Technobegierde. Dies wird aber durch die spezifisch deutsche Haltung gegenueber den Massenmedien und der Technik vernachlaessigt, die sich durch die traumatische Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts erklaert.

Grundsaetzlich kann Netzkritik nicht pauschal sein. Die meisten Feuilletonintellektuellen sind aber immer noch uninformierte Aussenseiter wenn es um P2P, freie Software, Blogs, wireless oder Web 2.0 geht. Journalismus hilft uns wenig, weil er leider im Tagesgeschehen stecken bleibt. Netzkritik faengt dort an, wo wir die Ebene des >young<, >new< oder >cool< verlassen und uns mit den Grundstrukturen befassen. Das bedeutet zum Beispiel die Eigenstrukturen, sprich: die selbstreferenzielle Kraft der Vernetzung ernst zu nehmen. Netzkritik als Projekt sollte sich nicht an Personen festmachen. Trotzdem kann ich nur von meinem Standpunkt aus reden. Als Pit Schultz und ich 1994/95 mit >Netzkritik< anfingen und die Liste nettime.org gruendeten, gab es tatsaechlich nicht gerade viel. Die Idee war nicht besonders revolutionaer, aber immerhin auch nicht ganz einfach zu realisieren, naemlich eine intellektuelle Auseinandersetzung mit diesem Medium anzufangen, die sich an Film und Theaterkritik messen kann, wobei sachkundig und vor allem konzeptuell reflektiert wird. Einer der Ansprueche war: Obwohl das Netz nicht neu ist, sollte es nicht heruntergeredet werden. Trotzdem hat es ein ganzes Jahrzehnt lang nur die eine Frage gegeben, was das Medium ist - als ob jede Theaterrezension damit beginnt zu erklaeren, wer Shakespeare oder Schiller ist... Oder ein Volkswagenbericht, der zuerst erklaert, was ein Kraftfahrzeug ist... Und das jeden Tag. Viele in den alten Medien sehen das Netz als Konkurrent an. In dieser Hinsicht liegt es also nicht im Interesse der Tageszeitungen, sich mit der Materie intensiv zu befassen. Viele haben schlichtweg gehofft, das Medium wuerde irgendwie verschwinden. Vom Buchverlag bis zum Fernsehsender bestand die Strategie darin, das Netz einfach zu ignorieren und es als Mode und Pop abzutun. Gleichzeitig wurden die Feuilletonintellektuellen in Stellung gebracht, um das Ganze als Cyberspace zu mystifizieren und wegen Kinderporno, Spam und der Datensintflut moralisch zu diffamieren. Leider hat sich hier seit dem Dotcomcrash und dem 11. September nicht besonders viel getan. Noch immer bleiben die Medien bei der Frage stecken, was ein Blog, Wiki oder podcasting wohl sei. Was sich aber geaendert hat, ist die interne Kritik im Web und innerhalb der Computerbranche. Mein grosser Held derzeit ist Nicholas Carr, der sich den politisch korrekten Google-Monopol widersetzt und als interner Fachspezialist Googles Strategien in Frage stellt. Trotz Wachstum wird es einen blinden Hype, wie es ihn Ende der Neunziger Jahre gab, so nicht mehr geben. Man sollte da auch noch in Betracht ziehen, dass die marktinteressierten, antistaatlichen libertaeren Geeks sowie die venture capitalists ihre politische Hegemonie verloren haben und mit der Uebermacht und Frechheit der Neocons um Bush herum konfrontiert sind. Die Kritik am Neoliberalismus ist nach wie vor weltweit auf dem Vormarsch und kann nicht mehr so einfach vom Tisch gefegt werden. In den Neunziger Jahren haben die Dotcoms noch geglaubt, man muesste die Kunden ueber Werbung ansprechen, aber das ist einfach nicht der Fall. Das laeuft ueber Reputation. Das Ziel der Netzkritik besteht darin, den demokratischen Mythos des Internets zu untersuchen. Es ist zum Beispiel nicht ganz so einfach, in die erste Liga der Bloghierarchie aufzusteigen. Da herrschen, so der New Yorker Netzexperte Clay Shirky, die sogenannten Machtgesetze, die besagen, warum viele ihre Links auf nur einige wenige Webseiten setzen. Trotzdem ist die Machtungleichheit kein Vergleich zum Fernsehen. Gut waere hier die Schliessung der Luecke zwischen Blogs und den sogenannten sozialen Netzen wie Orkut, Flickr, MySpace usw. Viele haben keinen Bock auf diesen Individualismus der Blogsphaere. Gruppenblogs existieren schon und es ist nur eine Frage von Zeit, wie lange diese individuelle Blogkultur noch existiert.

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