Ich arbeite fuer die US-amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press. Daher zaehlen in meinem Leben Minuten, ja sogar Sekunden. Wegen des grossen Zeitdrucks koennen schon zwei Minuten eine halbe Ewigkeit bedeuten.
Die Moeglichkeiten, Zeit zu sparen, sind vollends ausgeschoepft. Alles bewegt sich in einem rasanten Tempo. Jeder noch so kleinen Handlung steht eine andere gegenueber, die ebenso wichtig ist, die man aber gerade nicht ausfuehren kann. Angesichts des technologischen Wandels stehen wir vor vielen Fragezeichen. Niemand kann sicher sagen, was morgen geschehen wird. Auch diejenigen nicht, die uns gerade regieren. Was wir heute feiern, kann sich morgen als voellig ueberfluessig erweisen.
Meine Arbeit an dem Internetprojekt >zg Berlin< begann im November letzten Jahres. Gemeinsam mit Dymitri Kleiner, einem Topprogrammierer, war ich an einem lauen Sommerabend zu dem Schluss gelangt, dass es keine richtig gute journalistische englischsprachige Website in Berlin gibt. Ein Journalist und ein Programmierer - das war das ideale Gespann fuer ein solches Projekt. Das Kuerzel >Zg< steht fuer Zeitgeist. Wir waehlten die Abkuerzung, weil englische Muttersprachler Zeitgeist nicht buchstabieren koennen und so die Haelfte der potentiellen Leser bereits an der URL gescheitert waere. Dennoch wird unser Logo das Wort Zeitgeist fuehren und wir unser Projekt auch >ZeitGeist Berlin< nennen. ZeitGeist Berlin verstehen wir als ein offenes Netzwerk, dass das Ziel hat, Berlin zu begreifen, seinen Zeitgeist zu erfassen. Unsere Website ist eine Plattform, auf der Leute aus unterschiedlichen Kontexten mit ihren Ideen aufeinander treffen. Durch ihren Beitrag nimmt die Seite letztlich Form an. In diesem Rahmen wirken Leute aus verschieden Szenen zusammen; Kuenstler, Musiker und Intellektuelle. Wir arbeiten mit vielen Gruppen. So gelingt es uns, die Stadt tatsaechlich zu durchdringen. Wir kennen keine andere groessere Stadt, in der ein vergleichbares Projekt existiert. Zwar verfuegen wir ueber exzellente Techniker und andere gute Leute, koennen die Website jedoch nicht kontrollieren, allenfalls ein wenig steuern. Wir sind ueberzeugt, dass sich Berlin international verkaufen kann, indem es einfach Berlin ist. Es hat keinen Sinn, die Stadt mit New York oder London zu vergleichen, zwei sehr erwachsenen Staedten. Berlin ist anders und die neuere Geschichte ist so extrem, dass sie unmoeglich unsere Zukunft bestimmen kann. Berlin ist vor allem offen und genau darin liegt der Reiz der Stadt. Der Begriff Zeitgeist ist bei angelsaechsischen Intellektuellen sehr angesagt. Die deutsche Sprache hat mittlerweile Kultstatus und ist an die Stelle des Lateinischen oder Franzoesischen getreten. Flechte beilaeufig Worte wie Zeitgeist oder Weltschmerz in deine Anekdoten ein und gleich giltst du als tiefsinnig. Fuer Zeitgeist Berlin kein Thema: Wir sind eine englischsprachige Website, die in der deutschen Kultur verankert ist und fuehlen uns daher so frei, diesen grossartigen Begriff in unserem Sinne zu nutzen. Das Experimentelle der Stadt spiegelt sich im Zeitgeist wider. Berlin konnte sich weder unter den Nazis, noch als Insel waehrend des Kalten Krieges normal entwickeln. Inzwischen fuellt Kreativitaet diese Leere. Ob wir eines Tages wie jede andere Stadt sein werden, oder unsere Andersartigkeit wahren, wird sich zeigen. Berlin ist eine der wenigen Staedte, in denen Geld noch nicht regiert. Wir haben Kommunisten in der Regierung, unzaehlige Kuenstler und zudem die hoechste Geburtenrate in Deutschland. Wir werden sehen, ob dieser Zeitgeist den Rest der Welt unberuehrt lassen kann. Die, die aktuell hier leben, bestimmen Berlins Zeitgeist. Wir koennen auf nichts aus der Vergangenheit bauen, sieht man einmal von der intellektuellen Bedeutung der Stadt vor dem Einmarsch der Nazis ab. Somit leben wir in einer 17 Jahre alten Stadt: in einer Metropole im Teenager-Alter. Wir werden einen neuen Zeitgeist schaffen, wir koennen allerdings nicht wissen, ob er den Erwartungen der meisten Menschen gerecht werden wird. Aber jeder Diskurs, der noch nicht gefuehrt wurde, ist fruehreif. Jeder, der in dieser strukturlosen Stadt Strukturen schafft, kann Spuren hinterlassen, der Stadt ein Stueck weit seinen Fingerabdruck aufdruecken. Alle koennen diese Stadt noch mitformen. Wer das sein wird, weiss man nicht.