Wodka, Heringe und eine Leiche: Mit dem Berlin-Warschau-Express im wilden Osten unterwegs

Die Zugfahrt von Berlin nach Warschau dauert sechs Stunden. Wie es sich für eine Expressfahrt gehört, taucht man für eine kurze Zeit in eine andere Welt ein. Berliner Gazette-Autorin Karolina Golimowska beschreibt die seltsam-komischen Begegnungen mit ihren Landsleuten.

Heute fahren wir mit dem Zug nach Warschau. Der BWE ist nicht so voll und die Heizung funktioniert. Ich lese und schlafe und die Sonne scheint. Nach circa vier Stunden Fahrt gehen wir zum Speisewagen WARS und bestellen Pierogi und Zurek.

„Wir haben gerade einen Menschen überfahren“

Als wir gerade dabei sind den Zurek zu essen, unterbricht uns eine trockene Ansage des Zugführers, die dazu führt, dass ich mich verschlucke und ein Herr neben mir eine zweite Runde Wodka für die gesamte Tischbesatzung bestellt: „Sehr geehrte Fahrgäste, wir haben gerade einen Menschen überfahren und unsere Verspätung erhöht sich deswegen um 120 Minuten. Wir entschuldigen uns und wünschen Ihnen eine angenehme Weiterfahrt.“

Ob der Mensch wohl betrunken war und auf den Schienen eingeschlafen ist? Oder war es vielleicht doch ein Selbstmord? Die Passagiere diskutieren über Todesursachen und verbreiten Gerüchte, die im ganzen Zug zirkulieren und am Ende auch uns im Speisewagen erreichen.

Eine Dame, die gerade reingekommen ist, fragt den Kellner nach einem leicht verdaulichen Gericht, das für sensible Mägen geeignet wäre. Er empfiehlt ihr das Rührei, stattdessen bestellt sie Hering in Öl und einen Schnaps. Und der Zug bleibt trotzdem stehen.

Wir bekommen weitere Ansagen zu hören, alle, genau wie die erste, ausschließlich auf Polnisch. Wer die Sprache nicht versteht, hat halt Pech und muss sich durchfragen. Nach 20 Minuten bekommen wir die Info, dass ein anderer Zug extra für uns angehalten wird, damit wir aus dem “Leichenzug” in ihn herüberwechseln können.

„Eine Leiche reicht für heute”

Der Zug heißt Słowacki und ist sehr kurz und ziemlich voll und dazu auch noch verspätet. Wir frieren eine halbe Stunde am Gleis Nummer 2 in Żychlin, wohin wir alle als Gruppe durch die Unterführung vom aufgeregten Schaffner eskortiert werden, „bloß nicht über die Gleise durch, eine Leiche reicht ja“, meint er. Wir stehen also da und beobachten vorbeifahrende Güterzüge, einen Express nach Danzig und einen nach Toruń.

Endlich fährt er ein, der Słowacki. Was für eine bekloppte Idee eigentlich, Züge nach berühmten Leuten zu benennen. Der Słowacki ist teilweise nicht beheizt. Wir, die Leute aus dem Leichenzug, müssen zum größten Teil im Flur stehen.

Fast drei Stunden später als geplant kommen wir in Warschau an, der Hauptbahnhof lächelt uns auf seine graue, eiskalte und nach Urin stinkende Art an. Wir sind also wieder da, in „The Wilde East“, wie der müde A. sagt, der sich gerade ans Ende der Schlange zu der einzigen Treppe nach oben stellt.

9 Kommentare zu “Wodka, Heringe und eine Leiche: Mit dem Berlin-Warschau-Express im wilden Osten unterwegs

  1. man sagt den Briten ja schwarzen Humor nach. Aber die Leute in Polen, scheinen da mithalten zu können :)
    (“Sehr geehrte Fahrgäste, wir haben gerade einen Menschen überfahren…”). In Zügen in Deutschland bekommt man meist etwas von “Personenschaden” zu hören, wenn ich mich recht erinnere.

  2. guter Humor: “Er empfiehlt ihr das Rührei, stattdessen bestellt sie Hering in Öl und einen Schnaps.”…

    …und eine gute Inspiration für einen Filmemacher, der schon immer mal “Mord im Orient-Express” ganz neu in unsere heutige Zeit übersetzen wollte, aber keine gute Eingebung dafür hatte — ich kann mir das ganze als Film jedenfalls sehr gut vorstellen!

    Sophia Coppola sollte bei Regie führen

    http://de.wikipedia.org/wiki/Mord_im_Orient-Expre%C3%9F_%28Film%29

  3. Auch wenn das Ereignis eigentlich traurig ist, wurde es hier wunderbar beschrieben. Danke dafür. Vielleicht sollte ich auch mal wieder nach Warschau fahren.

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