Weichspüler des Neoliberalismus? Wikipedia, freies Wissen und die Erosion unserer Gesellschaft

Die Wikipedia gilt als vorbildliches Projekt, bei dem Enthusiasten das “Wissen der Welt” zusammentragen. Doch wie ist es um dieses Wissen tatsächlich bestellt? Der Gesellschaftskritiker und Berliner Gazette-Autor Thorsten Wiesmann stellt sieben Thesen auf, die vor Wikipedia als Weichspüler des Neoliberalismus warnen.

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Durch Filme und andere Medien der Unterhaltung werden Menschen abgestumpft. Sie sollen das gegenwärtige globale Gewaltsystem nicht nur genießen, sondern es ersehnen. Die gleichgeschaltete Medienwelt bestimmt, was gesehen und was ignoriert wird. Sie erzeugt so ein bestimmtes Weltbild nach dem gewisse Werte (Wachstum, Erfolg, Konsum etc.) als erstrebenswert gelten.

Das neoliberale System basiert auf der Produktion von verschiedenen Arten der Gewalt und führt vor allem einen systematischen Krieg gegen die Natur und die Armen, ohne sich dabei im geringsten um die sozialen Folgekosten zu sorgen.

Gegen die Logik des Wachstums

“Es ist möglich die Armut zu beenden auf eine Art, die die Erde respektiert und mit der wir den Gefahren des Klimawandels entgegen treten können. Dieser Planet hat ausreichend Güter für alle und die Menschen sind unendlich erfindungsreich. Um diesen Weg zu gehen, müssen wir jedoch die Logik des endlosen Wachstums und der endlosen Gier, die dem neoliberalen Kapitalismus zugrunde liegt, bereit sein, herauszufordern.” Dies ist ein Zitat aus einem offen Brief an die Vereinten Nationen, der am 25.9.2015 in der Huffington Post erschien und von Thomas Pogge, David Graeber, Noam Chomsky, Eve Ensler, Medha Patkar, Naomi Klein, Chris Hedges und vielen anderen unterzeichnet wurde. Neoliberalismus ist kein unschuldiges Naturschauspiel. Er hat eine innere Logik und komplexe Auswirkungen.

Es handelt sich beim neoliberalen System um ein bewusst eingeleitetes politisches Projekt, dessen Ziel es ist, alle lebendigen Systeme zu beherrschen, ohne Rücksicht dabei darauf zu nehmen, ob grundlegende Menschenrechte gebrochen werden. Die allgemeine Ideologie des Neoliberalismus geht zurück auf Netzwerke, deren Wirken wohl am eindringlichsten in dem Buch “The road from Mont Pèlerin: The making of the neoliberal thought collective” (2009) beschrieben wurde.

Was die Neoliberalen untereinander zusammen führte und hält ist, wie wir dort bis ins Detail nachlesen können, vor allem eine das Wissen betreffende Übereinkunft, so sehr die Grundlagen dieses Wissens auch ökonomischer, politischer oder allgemein wissenschaftlicher Art seien mögen. Was wir heute erleben, in seinen globalen Auswirkungen – etwa Bürger, die zu Kunden des Staates werden –, begann vor über einem halben Jahrhundert als langangelegtes Projekt und verdankt seinen Erfolg einem Kollektiv, welches ein Programm erfand, das sich vor allem um eine bestimmte festgelegte Rolle des Wissens im Leben der Menschen dreht.

Ist selbst die Wikipedia Ausdruck dieser neoliberalen Doktrin? Anhand von sieben Punkten werde ich zeigen, was genau damit gemeint sein könnte:

1. Kein Denken in Möglichkeiten

Das neoliberale System erlaubt nicht in Möglichkeiten zu denken, die Herz, Verstand und Willen gleichermaßen ansprechen. Aber in Möglichkeiten zu denken ist ein enorm befreiender und kraftvoller Prozess, weil auf diese Art die kreative Energie des tieferen Denkens aktiviert wird.

Um in Möglichkeiten zu denken ist es notwendig, Zusammenhänge und Beziehungen zu ergründen. Das Verdecken von Zusammenhängen und deren Bedeutung liegt an der Wurzel des neoliberalen Projekts. Das spiegelt sich auf Wikipedia etwa dahingehend wieder, dass hier eine verdeckte Auswahl stattfindet, die bei diesem angeblich offenen Projekt bestimmte Darstellungen des Denkens in Zusammenhängen ausschließt.

Die Schwierigkeit Menschen auf das Label “neoliberal” sinnvoll festzulegen und sie so in ihrem eigentlichen Streben zu entlarven ist genau der Effekt des Projekts des Neoliberalismus. Selbst die prominentesten Kritiker des Neoliberalismus, unter ihnen Hardt, Negri, Zizek, Harvey oder Bourdieu, haben immer nur Teilaspekte herausgearbeitet und so gegen ihren Willen eigentlich zur Verschleierung beigetragen.

Politische Aktivisten andererseits sprechen oft davon die Neoliberalen würden den Staat entmachten wollen. Auch so eine Formulierung ist falsch, denn ein starker Staat, der sich einem bestimmten Wissen beugt ist hier erwünscht.

2. Kein Rechts und Links mehr in der Politik

Das neoliberale Denken ist eine Maßnahme jenseits von gängigen Unterscheidungen von Rechts und Links in der Politik, die zu einer unaufhörlichen Kommerzialisierung zum Nutzen einer finanzstarken Minderheit führt. Da die gängigen Parameter des politischen Denkens durch diese Maßnahme umgangen werden, ließ sich ihre Wirkungsweise bislang öffentlich nicht wirklich beschreiben und so konnte sie auch nicht debattiert oder in Frage gestellt werden, als das was sie ist.

Das ist der Trick. Jimmy Wales, der Gründer von Wikipedia, sagte übrigens einmal er hätte die Idee für dieses Onlinelexikon von Friedrich Hayeks Aufsatz “The Use of Knowledge in Society”. Das ist der Urtext des Mont Pèlerin Kollektives, welches hinter dem Neoliberalismus steht.

3. Steuerung des Wissens

Grundannahme des Neoliberalismus ist, dass Individuen gesellschaftliche Prozesse weder beschreiben noch verstehen können sollten. Das Wissen des Einzelnen bedeutet in diesem Sinne bei Wikipedia nichts, sondern es gibt einen anonymen Prozess der Wissensgestaltung, der festlegt, was gewusst werden kann und was nicht.

Der Einzelne verliert seinen Wert für sich und ordnet sich einem Kollektiv unter, welches nicht wirklich nachvollziehbar gesteuert wird. Den Menschen wird so die Möglichkeit entzogen den umfassenden gesellschaftlichen Diskurs mitzubestimmen. Ihnen wird dafür die Illusion gegeben im Detail zum Ganzen beitragen zu können. Doch Fragen wie der Klimawandel betreffen die Weltanschauung. Diese wird durch den umfassenden gesellschaftlichen Umgang mit Wissen bestimmt.

Deswegen kommen wir auch seit Jahren nicht wirklich weiter in der Klimapolitik. Wir können ja mal probeweise Suchen ob und wie auf Wikipedia oder in unseren Medien die Zusammenhänge dargestellt werden zum Beispiel zwischen den Flüchtlingskrisen und dem Klimawandel.

Können wir da finden, dass vor den Aufständen in Syrien diese Region die größte Dürreperiode seit Beginn der Wetteraufzeichnung durchmachte und so mindestens 50 Prozent Emigranten, die jetzt nach Europa kommen, eigentlich Klimaflüchtlinge sind? Und wenn wir dies finden, wird uns auch gesagt, was Klimakriege sind und welchen Einfluss die Außenpolitik Washingtons und deren Verbündete auf die Destabilisierung ganzer Kulturen hat? Bekommen wir all dies dort in Relation gesetzt mit den von Regierungen durchgeführten Waffenverkäufen?

4. Doppelte Struktur des Wissens

Machen wir uns nichts vor, Wikipedia ist ein genauso fatales, verdecktes Machtsystem, das auf Gewalt basiert, wie der Neoliberalismus. “We aren’t democratic. Our readers edit the entries, but we’re actually quite snobby. The core community appreciates when someone is knowledgeable, and thinks some people are idiots and shouldn’t be writing.” (Zitat Jimmy Wales) Vergessen wir nicht, dass die Arbeiter bei Wikipedia anonym und unbezahlt sind! Innerhalb des neoliberalen Denkens wird Wissen zu einem Ding welches einen bestimmten Wert bekommt durch den Kontext, der diesen Wert bestimmt.

Der Einzelne hat aber keinen Einblick auf die Funktionsweisen, mit der diese Kontexte gesetzt werden. Wahres Wissen ist aber im Gegensatz zu den Einträgen bei Wikipedia kein festzulegendes “Ding” innerhalb eines nebulösen Kontextes, sondern ein offener Prozess des ständigen Weiter-in-Frage-Stellens.

Dieser Charakter des wahren Wissens ist der eines selbstähnlichen Systems, welches durch nachvollziehbare Muster, Strukturen und Prozesse Sinn generiert. Die wirtschaftliche Grundlage des Neoliberalismus baut auf einer maskierten doppelten Struktur des Wissen auf: Ein Wissen für die Massen der Teilnehmer und ein anderes Wissen für die wenigen Menschen an der Spitze, die die Struktur des Wissens kontrollieren.

5. Kein “wahres Wissen”

Um zu sehen, in welchen Kontexten wahres Wissen generiert werden kann, mag folgende Übersicht hilfreich sein: Gesetze/Regeln/Prinzipien. Ehrlichkeit /Gelassenheit/Unschuld. Mythos/Pathos/Logos. Friede/Teilen/Gerechtigkeit. Glaube/Absicht/Liebe. Struktur/Prozess/Muster.

Analog zu dieser Aufstellung können wir auch jeweils drei Methoden der Erzeugung von Prozessparametern in der gegenwärtigen Wissenschaft unterscheiden, wobei es natürlich auch bei einzelnen dieser genannten Hauptvertreter zu Vermischungen einer Methode mit anderen Methoden in der jeweiligen Praxis kommen mag. Diese Parameter selbst unterliegen wiederum den drei oben mit aufgelisteten Merkmalen selbstähnlicher Systeme: Muster, Struktur und Prozess.

Gnostiker (Zukunft in der Vergangenheit), Innere Bibliothek, Hermeneutik/Orthodoxe (Die Vergangenheit wird hinterfragt), Kollektive Bibliothek, Analytik/Liberale Aufklärer (Kampf mit der Gegenwart), Virtuelle Bibliothek, Postmoderne.

Wobei selbst wiederum die mit dem Neoliberalismus zusammen fallende Postmoderne ein zeitbedingtes Muster darstellt, welches sich innerhalb einer bestimmten Form der Analytik als Struktur beschreiben lässt, die sich entfaltet als Kulturepoche. Diese Entfaltung erfolgt nach hermeneutischen Gesetzen, die nach bestimmten Regeln die Dinge ablaufen lassen.

6. Prozess nur als Wettbewerb

Das Konzept des Prozesses kommt im neoliberalen Denken im Bereich der Wirtschaft nur als Wettbewerb vor und im intellektuellen Bereich nur als Diskussion. Viele daraus resultierende Echokammer-Aspekte des neoliberalen Denkens haben in den letzten Jahren u.a. folgende Autoren begonnen aufzudecken: Phillips-Fein (2006), Nace (2003), Klein (2007), Nik-Khah (2008), Kennard (2015), Scharmer (2009) Giroux (2015), Fraser (2014), Bernardi (2009), Brown (2014), Fleming (2015), Lorey (2015).

7. Zustand des permanenten Kriegs

Die neoliberale Phase des Kapitalismus erscheint uns in den Medien reflektiert als ein unaufhaltsamer Prozess der Deregulation. Eigentlich ist es aber genau andersherum, denn während alle Regeln des sinnvollen Zusammenlebens abgeschafft werden, werden gleichzeitig Regeln der Gewalt an deren Stelle gesetzt. Die Menschen werden so mehr und mehr versklavt, während die Konzerne immer größere Freiheit genießen. So hat sich der Kapitalismus in ein kriminelles System verwandelt. Verbrechen ist keine Randerscheinung mehr in diesem System, sondern der entscheidende Faktor um gewinnen zu können innerhalb der Struktur einer grenzenlosen Kommerzialisierung.

Dieser Zustand des permanenten Krieges bedarf einer besonderen Pädagogik an den Schulen und Universitäten, um die Menschen zu freiwilligen Sklaven zu erziehen, die blind der Logik von Gier, Gewalt und Ausbeutung folgen. Zu dieser Pädagogik gehört das neoliberale Mantra, nach dem die Bewältigung der Probleme des Lebens ganz in der Hand der individuellen Verantwortung liegt.

Gleichzeitig können wir sehen wie mehr als die Hälfte der Top 100 Unternehmen aktiv dabei ist, Probleme für sich zu bewältigen, in dem sie etwa die Klimaschützer durch Lobbying, Werbung und Beeinflussung der Rechtsstrukturen angreifen. (Siehe dazu die Daten der Plattform Influence Map.)

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema in unserem Dossier Europakrise. Der Text ist ein Auszug aus dem demnächst erscheinenden neuen Buch von Thorsten Wiesmann “Die Transformation der Gesellschaft”. Die Fotos stammen von August Bril, CC BY 2.0.

23 Kommentare zu “Weichspüler des Neoliberalismus? Wikipedia, freies Wissen und die Erosion unserer Gesellschaft

  1. es ist merkwürdig Neoliberalismus als äußere Bedrohung zu beschreiben, wo er doch (also: Rückzug des Staates und Druck auf das Individuum zur Eigenverantwortung) kein Feind da draußen ist, sondern im Hier und Jetzt passiert. Neoliberalismus ist ein Zustand der Gesellschaft. Unsere Gesellschaft IST neoliberal. Alles, was in unserer Gesellschaft gedeiht, ist auf die eine oder andere Weise neoliberal bzw. mit dem Zustand des Neoliberalismus verknüpft. Und das sicherlich auch Phänomene wie Stuttgart 21, Berliner Gazette, Commons oder Wikipedia. Denn hier wird Eigenverantwortung nicht nur groß geschrieben, sondern auch praktiziert. Kurz: Ich plädiere für eine präzisiere Linse auf die Gegenwart und ferne dafür, “neoliberal” nicht beliebig pejorativ zu benutzen, sondern eher als ein Attribut, dass Zustände charakterisieren hilft. Das würde auch bedeuten, dass wir genauer beschreiben müssten, was jetzt eigentlich das Schlechte und Ablehnenswerte in der Gegenwart ist.

  2. Das Problem, was ich habe ist die These, dass prominente Kritiker nur Teilaspekte sehen und damit zur Verschleierung beitragen. Das ist ja geradezu universell anwendbar.

    Auch sonst erscheint mir die Kritik reichlich gehaltlos.

    Kritik am “Neoliberalismus” ist ja richtig und gut, aber sie muss auch gut sein, nicht nur einem Ressentiment folgen und alles Böse in einem Hasskomplex abladen.

    Es ist vollkommen unwichtig ob sich Wales von Hayek oder Konstantin hat inspirieren lassen für die Wikipedia.

  3. @Krystian Um dem zerstörerischen Gewaltsystem der Kommerzialisierung zu entkommen brauchen wir nicht weniger als einen ontologischen Paradigmen Wechsel, der eben auch den Begriff des Wissens betrifft. Momentan wird ein bestimmtes Menschenbild als Maß aller Dinge gesetzt, das grundlegend den Menschen von den nicht menschlichen Realitäten abtrennt. Dadurch kann das Wissen über das Wesen des Seins als Kontinuität, welches etwa einige Naturvölker noch besitzen, nicht integriert werden. Wie wir die Welt sehen ist aus so einer Kontinuität viel tiefgreifender (holistisch, komplex, symbolisch), weil wir uns selbst dann als bewusste Reflexion und Spiegel aller Dinge erfahren. Erst dann wird die Dualität Natur/Gesellschaft aufgelöst. Und eben dafür ist eine hybride Form der Übermittlung von Erkenntnis unabdingbar, bei der die Themen nicht für uns fest interpretiert und eingeordnet werden, sondern bei der wir dazu aufgefordert sind selbst die Sachen weiter in Frage zu stellen. So dass wir mit wertvollen Fragen, und nicht mit fertigen Antworten, dastehen. In der Kunst und den alternativen Medien etwa setzen sich solche hybriden Erkenntnisformen ja jetzt unaufhaltsam auch durch, siehe dazu als eins aus tausenden von Beispielen dieses kurze Video “Pan’s Labyrinth: Disobedient Fairy Tale”: http://youtu.be/xbZNkMn3PvQ
    Ein ganzheitliches Wissen wird wie ein Röntgenbild all die Entstehungsherde von Gewalt aufdecken und so die Grundlage einer friedlichen Gesellschaftsordnung legen. Gewalt wird durch solch Analyse in all seinen Komponenten ansichtig werden, mental, verbal, medial und dadurch kann erkannt werden, wie bislang Gewalt immer dafür verantwortlich war für den Transfer von Macht innerhalb der Gesellschaft. Nicht mehr Macht wird solch eine transformierte Gesellschaft dann beherrschen, sondern geistige Kraft. Siehe auch: http://implizit.blogspot.de/2015/09/dissolving-neoliberal-ideology-for-ex.html

  4. @thorsten
    Das klingt doch hart esoterisch, was Du da ausbreitest. Geistige Kraft statt Macht, Ganzheitlichkeit usw.

    Das Blog was du zitierst nennt ausgerechnet Ordoliberalimus als Problem. Das kann ich so nicht akzeptieren. Immerhin handelt es sich um die ernst zu nehmenste Denkschule, die den Korporatismus zum Feind erklärt hat und die Machtfrage stellt, konsequenter als dies linksweisse Mainstreamcelebrities tun mit ihren Welterklärungsmodellen. Wenn man Ordoliberalismus konsequent denkt, dann ist eben die Herrschaft der Unternehmen über Menschen so nicht denkbar, sondern der Staat sorgt für die gezielte Begrenzung der Macht und die Herstellung von Konkurrenz zwischen den gefährlichen Akteuren. Statt Ökonomisierung der Welt, Herrschaft über die Ökonomie. Da bäumt sich Kant gegen den totalitären Korporatismus auf.

    Was die Naturvölker betrifft, da sind wir schnell bei der Projektion und beim Noble Savage. Die Ganzheit gibt es auch immer bei uns. Naturvölker dagegen schlachten sich gegenseitig ab.

  5. @Krystian …Wie Naim Moisés in seinem Buch The End of Power so richtig darstellte, erleben wir gerade durch das Zusammenspiel von Mobilität- Mentalität- und Mengen-Revolution einen tiefgreifenden Wandel bei Standards, Werten und Normen. Immer mehr Menschen setzen sich infolge dieser Revolutionen dafür ein, das Leben für Mitmenschen und sich zu verbessern. Dadurch lösen sich die bisherigen Machtstrukturen jetzt schnell auf. Für die Mentalitätsrevolution gibt Moisés folgende vier entscheidende Punkte an, die alle auch die zukünftige Definition von dem was Wissen ist oder nicht ist betreffen: Sich automatisch Autoritäten zu beugen ist nicht länger selbstverständlich. Universelle Werte treten an die Stelle von Dogmen. Die Bereitschaft skeptisch Zusammenhänge individuell zu hinterfragen nimmt zu. Die Motivation einen äußeren Status Quo zu folgen oder blinde Loyalität an den Tag zu legen nimmt ab.

  6. @Thorsen: Du schreibst: „Um in Möglichkeiten zu denken ist es notwendig, Zusammenhänge und Beziehungen zu ergründen. Das Verdecken von Zusammenhängen und deren Bedeutung liegt an der Wurzel des neoliberalen Projekts. Das spiegelt sich auf Wikipedia etwa dahingehend wieder, dass hier eine verdeckte Auswahl stattfindet, die bei diesem angeblich offenen Projekt bestimmte Darstellungen des Denkens in Zusammenhängen ausschließt.“ –> hast du für diese Behauptung Belege? Lässt sich das anhand von Prozessen innerhalb der Wikipedia nachvollziehen? Danke für die Antwort schonmal!

  7. @Magdalena: Danke für Deine Nachfrage, die genau ins Zentrum der Sache weist und die ich deswegen sehr gerne beantworte.

    Ein sehr interessantes und aussagekräftiges Beispiel für die Handhabung von Wissen bei Wikipedia wird in dem oben erwähnten Buch, welches von der Harvard Universität herausgegeben wurde, als offenes Experiment durchgeführt und ist da auch gut dokumentiert. Es handelt sich dabei darum, wie der englische Eintrag zum Thema “Neoliberalismus” in den Foren dafür nur auf eben eine ganz bestimmte Art behandelt werden konnte und keine anderen Sichtweisen daneben zugelassen wurden.
    http://www.hup.harvard.edu/catalog.php?isbn=9780674033184

    Geht es hier nicht darum einfach mal gemeinsam nachzufragen, ob und wie eben bei Wikipedia auf eine bestimmte Weise der Wissensbegriff eben nicht pluralistisch, dynamisch und praktisch gehandhabt wird, sondern immer ein bestimmtes Denkparadigma nur bedient wird? Das ist eben aber bitte kein Wikipedia speziefisches Problem, sondern eines welches an der Wurzel unserer eurozentristischen Kultur liegt. An der Wurzel unseres zu überdenkenden Welt- und Menschenbildes, welches Liebe Magdalena
    Ein sehr interessantes und aussagekräftiges Beispiel für die Handhabung von Wissen bei Wikipedia wird in dem oben erwähnten Buch, welches von der Harvard Universität herausgegeben wurde, als offenes Experiment durchgeführt und ist da auch gut dokumentiert. Es handelt sich darum wie der englische Eintrag zum Thema Neoliberalismus in den Diskussionsforen nur auf eben eine ganz bestimmte Art behandelt werden konnte und keine anderen Sichtweisen daneben zugelassen wurden.
    http://www.hup.harvard.edu/catalog.php?isbn=9780674033184

    Geht es hier nicht darum einfach mal gemeinsam nachzufragen, ob und wie eben bei Wikipedia auf eine bestimmte Weise der Wissensbegriff eben nicht pluralistisch, dynamisch und praktisch gehandhabt wird, sondern immer ein bestimmtes Denkparadigma nur bedient wird. Das ist eben aber kein Wikipedia speziefisches Problem, sondern eines welches an der Wurzel unserer eurozentristischen Kultur liegt, mit einem entsprechenden anthropozentrischen Welt- und Menschenbild. Dies ist ganz wichtig hier deutlich noch mal zu sagen. So ist auch etwa der sonst so gute neue Wissensbegriff den Sandra Mitchell einführt, immer noch auf eine bestimmte Art ausgerichtet, die wesentliche Zusammenhänge übersieht:

    http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/natur-und-erkenntnis-die-weltformel-ist-tot-a-556283.html

    Welche Zusammenhänge von Frau Mitchell nicht mitgedacht werden (zum Beispiel, dass es durchaus Ansätze gibt, die zeigen wie Komplexität politisch bewältigbar ist, so etwa bei Andres Ginestet) spiegelt sich wiederum in dem Wissensbegriff von Wikipedia wieder. Jedoch erweitert Mitchell durch ihre Arbeit geleichzeitig den Wissensbegriff, was genau in die richtige Richtung geht.

    Es gibt dazu so viele Geschichten aber ich wähle mal hier nur noch die eine exemplarisch von dem guten Daniele Ganser aus, der oft öffentlich davon berichtet hat wie sein Wikipedia Eintrag immer wieder auf eine bestimmte Linie gebracht wird, egal wie viele Kollegen von ihm versuchen da eine objektivere Darstellungsweise einzubringen.

    Damit hier kein S/W Denken aufkommt möchte ich deutlich dazusagen, dass ich viele Aspekte der Arbeit von etwa Sandra Mitchell, oder auch den Millionen von Mitarbeitern von Wikipedia, natürlich sehr schätze. Es geht um konstruktive Kritik.
    Wir können gerne die Wikimedia Foundation von der Gazette aus einmal anfragen, ob sie ein öffentliches Gespräch durchführen würden, wo alle Sichtweisen auf dieses Thema genügend und gleichen Raum bekommen…
    Dies ist ganz wichtig hier deutlich noch mal zu sagen. So ist auch etwa der Komplexitätsbegriff den Sandra Mitchell gibt auf eine bestimmte Art ausgerichtet der wesentliche Zusammenhänge übersieht:

    http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/natur-und-erkenntnis-die-weltformel-ist-tot-a-556283.html

    Welche Zusammenhänge von Frau Mitchell nicht mitgedacht werden (zum Beispiel, dass es durchaus Ansätze gibt die zeigen wie Komplexität politisch bewältigbar ist, so etwa bei Andres Ginestet) spiegelt sich wiederum in dem Wissensbegriff von Wikipedia wieder. Jedoch erweitert Mitchell durch ihre Arbeit geleichzeitig den Wissensbegriff, was genau in die richtige Richtung geht.

    Es gibt dazu so viele Geschichten aber ich wähle mal hier nur noch die eine exemplarisch von Daniele Ganser aus, der oft öffentlich davon berichtet hat wie sein Wikipedia Eintrag immer wieder auf eine bestimmte Linie gebracht wird, egal wie viele Kollegen von ihm versuchen da eine objektivere Darstellungsweise einzubringen.

    Damit hier kein S/W Denken aufkommt möchte ich deutlich dazusagen, dass ich viele Aspekte der Arbeit von etwa Sandra Mitchell, oder auch den Millionen von Mitarbeitern von Wikipedia, natürlich sehr schätze. Es geht um konstruktive Kritik.
    Wir können gerne der Wikimedia Foundation von der Gazette aus einmal anfragen ob sie ein öffentliches Gespräch durchführen würden, wo alle Sichtweisen auf dieses Thema genügend und gleichen Raum bekommen…

  8. Frau Mitchells Essay ist ärgerlich, weil sie das fordert, was es bereits gibt, den “pluralistisch-realistischen Ansatz” der Naturwissenschaft.

    Was im Moment von Dir kommt Thorsten ist wirres Zeug. Was Neoliberalismus betrifft, so kann man ja in der Tat vielfältige Begriffe verwenden. Erstens meint Neoliberalismus eine bestimmte Denkschule, in den USA noch anders als in Deutschland, und in der Globalisierungskritik der 90er exakt das gleiche was früher Kapitalismus oder Imperialismus genannt wurde, ohne direkten Bezug zu den Denkern. Desweiteren verunklart sich die Sache dadurch, dass die vorgeblichen Fans der entsprechenden Denkschulen bestimmte Politiken forzierten, und das ist das ist dann ungefähr wie Marx Schuld am Stalinismus zu geben. Heute ist “neoliberal” ein Marker für linke Positionierung in Diskursen. Wikipedia hat einen angloamerikanischen Bias. Dagegen kann man aber anschreiben.

  9. “Die gleichgeschaltete Medienwelt bestimmt, was gesehen und was ignoriert wird.”

    Das ist ja fast die Pegida-These. Ich glaube, es ist heute alles nicht mehr “total”, was “gesehen und was ignoriert” wird, es geht Kontrolle darüber verloren, und dementsprechend wird die Kontrolle immer schärfer eingefordert von denjenigen, die längst keine Kontrolle mehr ausüben können. “Liberalität” im Geist geht verloren im Zuge der Fragmentierung der Öffentlichkeit. Jeder kann sich seine Nische suchen, wo er einer Meinung mit anderen ist und “gegnerischen Ansichten” ausweichen oder sie mehr als Strohpuppe denn als Diskursgegner diskutieren.

    Und da hat der Krystian einen ganz bemerkenswerten Gedanken, nämlich, dass Neoliberalismus ja gar kein “außen” ist! Ganz sicher meint “Neoliberalismus” freilich etwas ganz anderes als das, was Foucault in “Naissance de la Biopolitique” analysiert, nämlich den deutschen Ordoliberalismus W. Euckens. Danke für die Denkanstöße!

  10. @ André Weitere wichtige Denkanstöße, die notwendig wohl sind mitzuhinterfragen, bevor wir voreilig festlegen was am Neoliberalismus “innen” und was “außen” ist oder welche Gruppe aus welchen Gründen welche Thesen auch noch vertritt:
    1. “Heute leben wir in einer Diktatur des Neoliberalismus.”
    http://www.zeit.de/zeit-wissen/2014/05/byung-chul-han-philosophie-neoliberalismus
    2. “Wikipedia Kafkaeske Prozesse” :
    http://le-bohemien.net/2015/09/19/wikipedia-katrin-mcclean/
    3. “Wikipedia: Die dunkle Seite” :
    http://youtu.be/SsrnrAy41oQ

  11. Na ja, Thorsten, was die Wikipedia zu “renommierten Verschwörungstheoretikern” schreibt, wenn das der Punkt ist…

    Ich erinnere mich an den Editwar zu OpenXML, dabei wurde von den Editoren der Artikel immer wieder zu einer Art Schattenfassung zurück geführt, in denen bestimmte, schon diskutierte Marketingdenkfiguren drin waren. Ich gehe also davon aus, dass es Menschen gab, die dafür bezahlt wurden den Artikel in Richtung der Schattenfassung abzuändern. Dabei waren auch Administratoren der Wikipedia involviert. Ferner gab es sachlich falsch belegte Referenzen, die wieder auftauchten.

  12. Danke André für das interssante Beispiel. Wobei ja daran erinert seien sollte, dass es in dem Artikel nur am Rande um dieses Phänomen der Wissensmanipulation auf der Ebene von Administratoren geht.
    Im Zentrum steht eindeutig ein neuer Wissensbegriff. Wir brauchen eine neue integrale Wissenschaft, die uns aufzeigt wie Information entsteht und welche Auswirkungen sie hat. Nach der klassischen quantitativen Theorie der Information besitzt eine in sich widersprüchliche Aussage mehr Informationsgehalt als eine in sich schlüssige wahre Aussage. Dies ist so, weil Wissen immer auf Glauben basiert. Deswegen wird im Laufe der jetzigen Informationsrevolution auch der Wissensbegriff sich dahingehend verändern, dass Wissen in der Allgemeinbildung schon als kontextabhängig erkannt werden kann.
    Wenn die Informationswissenschaft nun richtig verbunden wird mit der Wissenschaft von den Symbolen, werden wir kulturell auf eine neue Stufe gehoben, die dann das Niveau besitzt des Wissens der Weisen aller Zeitalter. Dann kann auch das Prinzip des wahren Wissens sich durchsetzen, wie es schon Spinoza herausarbeitete, nämlich Erkenntnis als mentale Struktur die organisch ist und im Einklang mit der Natur. Nur das symbolische Denken offenbart diese tiefe Harmonie zwischen der Natur und dem Menschen.

  13. Den radikalsten Paradigmenwechsel bedeutete das Infragestellen von Sprache und damit unseres Wissens (Geistes?) überhaupt. Eine absurde Utopie, gewiss. Aber ohne sie wird von der Natur das Thema Mensch bald als den Weg alles irdischen abgehandelt werden. Und das war es dann. Kann eine Wissenschaft von Symbolen uns davon wirklich bewahren? Ich habe Zweifel. Mich stört hier der Begriff “Wissenschaft”.

  14. @Horts A. Bruno Nur wenn wir die Geschichte der symbolischen Formen als Theorie des Zivilisationsprozesses beginnen zu lesen, kann der wahre humanistische Kern des Daseins und so eben auch der Wissenschaft endlich deutlich hervortreten. Lesen wir hierzu Jürgen Habermas Buch “The Liberating Power of Symbols”, und widmen uns dann so entsprechend gut vorbereitet einem Video wie diesem:
    Back to the Future predicts 9/11: http://youtu.be/P1ULjJ3EqyY.
    http://www.eurozine.com/articles/2015-10-16-habermas-en.html

  15. @Thorsten Wiesmann: Das Gespräch Foessel/Habermas (in Deutsch vorhanden) ist außerordentlich und macht Appetit auf mehr. Gibt es die erwähnten Essays (Die befreiende Kraft der Symbole) vielleicht auch in Deutsch? Denn diese schwierigen Texte in “fremder” Sprache zu verstehen, überfordert sehr.

  16. @Jan, Danke für den Link zur Petition. Die neoliberale Ideologie von den Informationen steht gerade für solche Anonymität und Zensur und ist so zutiefst wissensfeindlich. In der Finanzwelt ist Intransparenz das Mittel um Gewinne zu erzeugen. Gleichzeitig wird Fachwissen monopolisiert und interessengesteuert an den Staat verkauft. Von Colin Crouch ist gerade ein ganzes Buch erschienen mit dem Nachweis, dass der Neoliberalismus das Wissen behindert.

  17. Ich habe mir erlaubt, den Artikel und die dazu, meine ich, ergänzend-notwendige Diskussion in den Kommentaren unter ihm >>>> dort über Die Dschungel weiterzuverbreiten; es hat da in den letzten Tagen eine lange Diskussion über kulturelle “Lobbies” und verschleierte Machtausübung gegeben, die geradezu ein Spiegel der globalen Verhältnisse ist. – Das Problem bei der Forderung nach Transparenz ist allerdings, daß diese jedes strategische Handeln unterlaufen würde, also letzten Blicks die politische Diplomatie. Dies gilt auch für das Verhältnis des Privaten zum Öffentlichen, das für mich spätestens seit 2003 zu einem entscheidenden Teil der poetischen Arbeit werden mußte. Man kann gerade in Deutschland sehr gut sehen, wie ästhetische Projekte ignoriert werden, die auf Nexus (als Mehrzahl, langes u) gerichtet sind – zugunsten der Favorisierung simplifizierender Ansätze.

  18. @Thorsten Wiesmann. Danke für die Verlinkung; ich werde lesen, sowie ich in Berlin zurückbin. Bin derzeit auf Lesereise, morgen noch in Frankfurtmain. Beste Grüße, ANH

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