Wie alt bist du, Europa?

>Als ich jung war, hat mir diese Arbeit noch Spass gemacht.< Ich sitze einer Serbin gegenueber und versuche ihr Alter zu schaetzen. Wir sind die einzigen Gaeste in einem Raum, der aussieht wie eine post-kommunistische Edel-Kantine fuer Flughafenangestellte. Die Speisekarte verraet wenig ueber die Qualitaet des Essens, das, wie man mir versichert hat, wirklich gut sein soll.

>50 Prozent der Frauen im Duty-Free-Shop haben keine abgeschlossene Ausbildung. Der Boss ist ein Inder. Er behandelt uns schlecht.< Ich warte noch immer auf mein Essen. Sie wirft ihre Haare nach hinten, adjustiert ihr tiefgeschnittenes Dekoltee und faehrt in ungeschliffenem Englisch fort ueber die Langeweile am Job zu reden. Auf dem Tisch bemerke ich jetzt ihr Portemonnaie. >Es ist halb geoeffnet. Euroscheine zeigen sich. >Es ist der Wahnsinn!< ruft sie. >Nein, nicht im positiven Sinne. Wir koennen uns nicht frei bewegen!< Ich ergaenze diesen Satz, aber sie laesst es nicht stehen und ergaenzt mich: >Ja, im Duty Free Shop nicht. Aber auch in Europa nicht. Papierkram ohne Ende, wenn man ein Visum will.< Ich schaue auf die Wand hinter ihr. Die Farbe: hell rosa, wie das Tischtuch. Die Blumen auf dem Tisch koennten echt sein. Sie redet weiter: >Arbeit gibt es nur dann, wenn man Leute kennt. Ich meine die ganz hohen Tiere mit Einfluss. Warst Du eigentlich in der Disco? Man sagt, die hier in Belgrad sind die besten auf dem Balkan.< >Dein Englisch ist doch passabel.<, entgegene ich. Aber ihre Laune bessert sich nicht. Gleich muesse sie wieder Baileys verkaufen. Den neuen mit Kaffee-Geschmack. Alles sei so unglaublich langweilig. Etwas Positives haette das Ganze aber doch: Bei den Auseinandersetzungen mit dem indischen Boss koenne sie Englisch ueben. Als ich nach dem Essen am Duty-Free-Shop vorbeigehe, sehe ich sie mondsuechtig zwischen den Produkt-Regalen auf und abgehen. Sie bemerkt mich dann aber doch und kommt zu mir. >Du bist gekommen, um zu probieren?< >Ja, ein Glaeschen vielleicht. Sag mal, wie alt bist du eigentlich?< Sie sagt: >21.< >Du bist jung!< >Vielleicht, aber ich bin nicht mehr 18.<

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