Wer sind wir, und wenn ja, wie einzeln?

Die Auseinandersetzung mit >Freundschaft< begleitet mich seit meiner Kindheit, als Realitaet, als Begehren, als Irritation. Auch wenn es vielfaeltige Interessensueberschneidungen unter Freunden geben kann, kann man Freundschaft nicht weit genug fernhalten von der Politik eines gemeinsamen Interesses. Freundschaften sind keine Interessensgemeinschaften zur Optimierung eigener oder gemeinsamer Projekte. Deshalb ist der inflationaere Gebrauch des Begriffs Freundschaft zur Beschreibung von Netzwerk-Geschaeftsbeziehungen ein sicheres Indiz dafuer, dass es sich nicht um Freundschaft handelt. Die eigenstaendige Kraft der Kategorie liegt aus meiner Sicht vielmehr darin, dass sie in einem bestimmten Sinn keine Gruende kennt. Und eben darin liegt ihre Irritation.

Es gibt Anzeichen dafuer, dass Freundschaft zunehmend als subsidiaeres System eine Solidarfunktion uebernimmt. Und natuerlich heisst Freundschaft, dass man sich aufeinander verlassen kann, dass man da ist, wenn man gebraucht wird. Aber: Das ist eher die Konsequenz aus als der Grund fuer Freundschaft. Freundschaft ist, wenn schon kein Gegenentwurf, so doch eine Enklave in Milieus der Entgrenzung von Zuneigung und Interessenspolitik. Liebe als grundloser Grund von Freundschaft zeigt sich fuer mich deshalb zu allererst darin, dass man nichts tun muss, dass man miteinander schweigen kann, dass man fragt und sucht und offen legt, ohne etwas zu erwarten. Schon mal erlebt, dass in Berlin Mitte zwei Leute zusammensitzen und die Fresse halten?

Vielleicht braucht Freundschaft tatsaechlich gemeinsame Motive, gemeinsame Projekte. Aber diese Motive und Projekte sind anders zu beschreiben als in den symbolischen und materiellen Tauschbeziehungen der Netzwerkoekonomie in Politik, Kunst oder Wissenschaft. Das intrinsische Moment der Freundschaft stellt vielleicht den notwendigen Ausgangspunkt dar fuer eine gemeinsame, aber gleichwohl interessenspolitisch ungefilterte Suche nach dem Guten, Wahren oder Schoenen. Die daraus entstehende Radikalitaet der Suche ist vermutlich ein Grund dafuer, die kuenstlerische oder intellektuelle Liaison in der Freundschaft zu suchen. Hinzu kommt dass die Zwecklosigkeit der Freundschaft gefeiert werden will – auch in der Kunst. Mit dem Kampf um Mittel, Raeume und Repraesentanz hat diese Art von Projekt, von gemeinsamem Fluchtpunkt nichts zu tun.

All das spricht ueberhaupt nicht gegen Tauschbeziehungen zur Realisierung eigener oder gemeinsamer Projekte. Jenseits von Freundschaft gibt es viele Bekannte und Kollegen, denen ich viel zu verdanken habe, als Partner, als Unterstuetzer, aber vor allem als Quell von Erkenntnis oder Inspiration. Es spricht auch nichts per se gegen eine Gleichzeitigkeit von Freundschaft und Arbeitsbeziehung. Dort aber, wo die beiden Sphaeren in der Sprache und fuer die Individuen selbst nicht mehr unterscheidbar sind, geht etwas Elementares verloren. Ich will nicht >dein Roboter< sein.

Als Mittelschichtskind war ich nie persoenlich mit Armut konfrontiert, hoechstens ueber die Erzaehlungen meiner Mutter. Mangel allerdings ist ein zentraler Antrieb, sich zur Realisierung von Ideen zusammen zu tun und – eine Stufe davor – ueberhaupt erst nach gemeinsamen Ideen zu suchen. Mangel kann heissen: Mangel an Geld, Mangel an Zeit, aber natuerlich auch Mangel an Faehigkeiten oder Kreativitaet. Insofern enthaelt Mangel eine aeusserst produktive Energie. Er katapultiert dich zum einen in die Kooperation und damit raus aus der eigenen Festung. Zum anderen zwingt er dich ins Handwerk, zwingt dich, die eigenen Produktionsbedingungen zu schaffen, und foerdert dadurch nicht nur wichtige Faehigkeiten, sondern auch ein Bewusstsein fuer die Realisierungsvoraussetzungen einer Idee. Moeglicherweise ist das auch der Grund, warum die Projekte reicher Erben, in denen alles zusammengekauft ist, trotz der Mittel oft so missraten. Gleichwohl wuenscht man sich manchmal, man muesste nicht fuer jede Rakete, die man in den Himmel schiesst, die Abschussbasis selber bauen.

Das Labeling von Generationen ist inwischen so leer und daemlich, dass man sich die Augen reibt, warum es Leute immer noch als Stil-Mittel einsetzen. Ueberhaupt ist erschreckend, welch duenne Sosse in all den Autobiographien produziert wird, die offensichtlich jeder bis spaetestens vierzig geschrieben haben muss, damit bestimmte Verlage ihren Katalog voll bekommen. In den dazugehoerigen Generalisierungen, wie >wir< so seien, liegt eine unglaubliche Selbstgefaelligkeit und Anmassung. Als gaebe es keine Alternativen, als haette man mit diesen Leuten irgendetwas am Hut – ob mit oder ohne Golf.

Auf der anderen Seite sehe ich aber die Kontingenz des Alters der Menschen, mit denen ich viele Erfahrungen teile, die Kontingenz der Milieus, in denen viele dieser Geschichten stattfinden. Das zu erkennen, ist vielleicht der erste Schritt raus aus dem Generationen-Ghetto. Ich halte den Begriff der Generation als soziologisches Analyse-Instrument also nach wie vor fuer sinnvoll – um gemeinsame Kontexte zu beschreiben, aber auch, um Gemeinsamkeit zu dekonstruieren, Selbsttaeuschung aufzudecken und andere Wege sichtbar oder auch erst denkbar zu machen. In >meiner< – soziologisch zu beschreibenden – Generation gibt es eine Uniformitaet, einen Konformismus, ueber dem die Illusion einer extrem individualistischen Selbstbeschreibung liegt.

Das gilt auch fuer die Konjunkturen im Kunst- oder Wissenschaftsbetrieb, in denen ja der Autonomieanspruch besonders ausgepraegt ist. Es ist doch auffaellig, wie synchron viele am einen Tag den Pollesch-Sound imitieren und am naechsten Tag den von Agamben. Das ist – wenn auch im Mikrokosmos – wie bei H&M von der Stange. Insofern ist es notwendig zu fragen: Auf welchen aeusseren Ursachen beruht diese verschleierte Konformitaet? Welche gemeinsamen Kontexte gibt es? Welche Reaktionen auf diese Kontexte sind richtig und von allgemeinem Interesse und welche nicht? Nur wenn man diese Fragen stellt und dadurch den Hintergrund aufhellt, hat man auch die Chance, etwas anderes zu denken und zu leben. Wir sind viele. Jeder Einzelne von uns.

Gemeinsamkeit im Sinne eines gleichen Blicks auf die Dinge ist ausgeschlossen, denn das Hinzutreten einer anderen Person bedeutet ja das Hinzutreten einer anderen Perspektive. Insofern kann Gemeinsamkeit eh nur heissen, dass sich Perspektiven, Blicke kreuzen oder im Bewusstsein der Gleichzeitigkeit auf etwas Drittes richten. Die Intensitaet solcher Momente kann gross sein. Man neigt dazu, entsprechende Erfahrungen und Erlebnisse zu verklaeren und daraus eine Art Nestwaerme zu beziehen. Ich wuerde luegen, wenn ich behaupten wuerde, ich lebte nur im Hier und Jetzt, und ich glaube auch nicht, dass das erstrebenswert ist. Dennoch sollte man sich vor der Nostalgiestarre schuetzen und schauen, dass das Leben nicht nur in der Vergangenheitsform stattfindet. Deshalb moechte ich gar nicht erst ins Erzaehlen kommen. Das waeren Geschichten von Versprechen und Geheimnissen, Beruehrungen und Abstossung, Toenen, Farben und Geruechen.

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