Verschenkte Zeit

Alles fing damit an, dass ich an einem Mittwoch im letzten Oktober in die Zeitung schaute um nach Jobanzeigen zu suchen. Es war eine Telefongesellschaft, die einen jungen Mitarbeiter suchte, bei der ich anrief. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine temperamentvolle Dame. >Schoenen Guten Tag, Sie melden sich bestimmt wegen der Anzeige in der Zeitung, oder?< fragte sie. >Ja das ist richtig!< war meine Antwort. Dann fragte ich sie, ob die Stelle noch zu haben sei. Daraufhin meinte sie: >Ja, da hast Du Glueck, Du bist der Erste der daraufhin anruft. Pass auf, wir brauchen dringend einen neuen Mitarbeiter, haettest Du ab Sonntag schon Zeit?< >Ja klar<, sagte ich prompt. Daraufhin sagte die Frau am anderen Ende der Leitung: >Dann holen wir Dich um 18 Uhr vom Bahnhof in Brandenburg ab und bringen Dich dann zur Unterkunft. Ist das okay fuer Dich?<... >Dann bis Sonntag.< Und das Gespraech war beendet. Ich war danach so happy, endlich eine Arbeit gefunden zu haben, bei der man auch noch 300 bis 400 Euro pro Woche verdienen konnte.

Am Sonntag darauf fuhren mich mein Opa, meine Oma und meine Mutter mit dem Auto nach Brandenburg. Dort angekommen mussten wir noch ein wenig warten, bis ein blauer Transporter mit getoenten Scheiben der Marke VW vorfuhr. Ich nahm mein Gepaeck, verabschiedete mich von meiner Familie und ging Richtung Auto. Als ich mich naeherte, sah ich eine Gestalt auf der Fahrerseite sitzen. Diese Gestalt war ein junger Mann Mitte zwanzig. Er trug eine Brille und seine schwarzen Haare waren zum groessten Teil durch ein sportliche Muetze verdeckt. Er begruesste mich mit einem oesterreichischen Dialekt. Stumm packte ich meine Sachen in den Kofferraum und setzte mich danach auf den Beifahrersitz. Unterwegs zur Unterkunft nahmen wir noch zwei Mitarbeiter mit. Dort angekommen, zeigte man mir mein Zimmer, das ich noch mit zwei anderen teilte. Ich ging danach runter in den Keller wo die Kueche und der Gemeinschaftsraum waren und stellte mich dort den elf Mitarbeitern vor. Am naechsten Morgen ging’s los. Ich bekam von einem Mitarbeiter geeignete Kleidung und eine Mappe mit der Aufschrift >Starcom!<, stieg in einen von zwei blauen Bussen und dann fuhren wir los Richtung Berlin. Nacheinander liess uns der Chef in Doerfern aussteigen und sagte uns Zeiten durch. Kurze Zeit spaeter waren die Busse leer. Nur noch der Oetzi und ich waren uebrig geblieben ­ er sollte mich einarbeiten. Wir stellten das Auto in einer Seitenstrasse ab und gingen danach zu Fuss weiter. Er ging an eine Haustuer, klingelte und kurze Zeit spaeter machte ein Mann die Tuer auf. Und der Oetzi rasselte seinen Text runter, um dem Ahnungslosen einen Telefonvertrag anzudrehen. Das Grundgespraech: >Schoenen Guten Tag, Starcom Telekommunikation. Es geht ums Telefon. Einen Telefonanschluss der Deutschen Telekom besitzen Sie ja sicherlich und telefonieren auch ausschliesslich ueber die Deutsche Telekom, oder? Haben Sie sich denn dann die letzte Telefonrechnung richtig angeschaut? Dann haetten Sie ja eigentlich wissen muessen, warum ich heute bei Ihnen bin. Die Grundgebuehr hat sich naemlich erhoeht, darum bin ich ja auch da. Sie sollen jetzt nicht mehr zu den alten Preisen telefonieren, sondern zu weitaus guenstigeren Preisen. Das, was ich heute mit Ihnen mache, ist ja kein Vertag [denkste], den haben Sie ja schon abgeschlossen, als Sie ihr Telefon angemeldet haben. Das, was ich mit ihnen heute mache, muss ich mit allen Telekomkunden heute machen. Das ist heute die allgemeine Voreinstellung eines guenstigen Tarifs ueber die Deutsche Telekom. Ich nehme dazu lediglich Ihre Anschlussdaten auf, so wie Sie im Hauptzentralcomputer der Deutschen Telekom gespeichert sind. Und schicke diese Anmeldung zur DTAG, mehr mache ich bei Ihnen nicht. Sie sollen diesen guenstigen Tarif auch erst einmal drei Monate ausprobieren und danach entscheiden Sie sich ja erst, ob sie diesen guenstigen Tarif beibehalten wollen, oder wie gewohnt teuer weiter telefonieren!< Mit diesem Grundgespraech war man schon in der Wohnung bzw. im Haus der Kunden. In den seltensten Faellen musste man die Kunden richtig druecken, damit sie mitmachten. Und so ging ich die erste Woche mit dem Oetzi mit, um mir Gespraeche und Argumente etc. zu speichern. Nach dem Abendessen hatte ich dann immer noch Schulung bis ca. 24 Uhr. Die meisten Mitarbeiter kamen mit sechs bis zwoelf Vertraegen nach Hause. Das Prinzip war: Je nach dem, wie viel Scheine du geschrieben hattest, war die Laune des Chefs. In der zweiten Woche ging ich schon ganz allein und machte am Tag meine zwei bis drei Scheine. Chef meinte dazu: >Das ist doch ganz klar, Du bist halt noch zu lasch und Dir fehlen die schlagkraeftigen Argumente.< An einem Sonntag, inzwischen war es November, kam Chef herein, als wir gerade am Abendbrottisch sassen und meinte, wir sollten alle die Taschen packen, wir wuerden heute Nacht um drei Uhr Richtung Aachen fahren. Nachts fuhren wir dann los, die zwei Busse und Chef fuhr vor in seinem Audi Quattro. Irgendwann erschien eine Nachricht auf meinem Handy: Sie sind im Ausland. Kein MMS erhalt... An den Leuchtreklamen in einer Stadt erkannte ich, wo wir uns befanden: Niederlande! Hammergeil! Dort wollte ich schon immer mal hin. Ausland sowieso, ich war ja noch nie im Ausland. Man sagte mir, wir arbeiten jetzt von hier aus, weil das Gebiet um Berlin schon weitraeumig ueberlagert ist mit Starcom. In den Niederlanden wohnten wir in einem Ferienkomplex, ich teilte mir mit Glatze ein Zimmer, mit ihm verstand ich mich auch ganz gut. Doch drueben fing die harte Zeit eigentlich erst an. Ich verstand mich nicht mit den anderen Leuten und dann war da noch die Intensivschulung, die ich bekommen sollte, um endlich mehr Zettel zu machen und und und. Aber irgendwie schaffte ich das auch. Das einzige Problem, das mich noch plagte, war die Muedigkeit, die um jeden Tag anstieg. In jener Woche am Mittwoch kuendigte sich Chef an, um mit uns am Samstag Abrechnung zu machen. Ich freute mich riesig, endlich Geld zu erhalten fuer eine Arbeit die immer haerter wurde, auch wenn ich langsam den Bogen raus hatte, wie man den Kunden was praesentiert. Ich schrieb zu diesem Zeitpunkt immerhin schon sechs bis acht Scheine am Tag. Der Samstag kam und so schienen meine Geldprobleme bald ein Ende zu nehmen. An diesem Tag riss ich dann noch mal 6 Scheine runter. Abends in der Unterkunft angekommen, ging ich in mein Zimmer, legte die Arbeitsklamotten ab und zog mir was Schoenes an, denn ich wollte heute Abend mal was unternehmen. Ich wurde zur Abrechnung gerufen. Mit einem breiten Laecheln ging ich rueber ins andere Haus und setzte mich in den Wohnzimmerbereich. Er zeigte mir eine Abrechnung und dort stand eine Summe von 480 Euro. >Aber wir koennen Dir heute kein Geld geben, wir schreiben Dir den Betrag ins Buch ein.<, meinte er. >Was nuetzt mir der Betrag im Buch, schliesslich habe ich Schulden und da hilft mir ein Geldbetrag im Buch auch nichts.<, entgegnete ich wuetend. Sie daraufhin: >Ja, da hast Du schon Recht, aber Du arbeitest doch auf Provisionsbasis und es koennte doch auch sein, dass Deine Kunden in drei Monaten wieder abspringen.< Ich: >Was ist das ueberhaupt hier? Wir werden beleidigt, diskriminiert und genoetigt von Ihnen und den Kunden, bin nicht versteuert und nicht versichert, quasi bin ich Ihr Depp und so auch die anderen Arbeiter. Und das Schlimmste an der ganzen Sache ist ja auch noch, dass uns noch nicht einmal verraten wird, warum wir jetzt ueberhaupt hier arbeiten. Aber ersparen Sie sich Ihre Muehe, mich aufzuklaeren, jetzt weiss ich es sowieso schon, dass Sie wegen Steuerhinterziehung in Deutschland gesucht werden. Langsam ist mir auch ein Licht aufgegangen, dass wir nicht fuer uns arbeiten, sondern nur fuer Sie, und deswegen haben Sie auch miese Laune, wenn es Tage gibt wo wir mal nicht so viele Scheine schreiben.< Nachdem ich das ausgesprochen hatte, hatte ich schon vom Chef eine geklebt bekommen. >Ach stimmt ja und schlagen tun Sie Ihre Arbeiter auch noch. Das ist ja ganz toll.<, bruellte ich. Daraufhin meinte er nur: >Na wieso, wenn Ihr keine richtige Erziehung genossen habt, ist es ja an der Zeit Euch mal zu erziehen.< Ich sagte nur noch: >Sie spinnen ja.< und ging auf mein Zimmer. Danach entschloss ich mich, mit Glatze zusammen abzuhauen. In einer Nacht- und Nebelaktion fluechteten wir von der Ferienanlage und trampten Richtung Grenze.

Ein Kommentar zu “Verschenkte Zeit

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.