Urheberrechts-Piraterie: Wie steht es um die Moral der Verwertungsgesellschaften?

Der Kampf gegen Urheberrechts-Piraterie ist unübersichtlich. Augenscheinlich hat die Medienindustrie eine Allianz mit den Künstlern geschlossen. Das Bindeglied: Verwertungsgesellschaften. Doch diese agieren nicht frei von einer dubiosen Doppelmoral, wie ein aktueller Gerichtsfall aus Amsterdam zeigt. Der Journalist und Berliner Gazette-Autor Thomas Barth berichtet.

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In Amsterdam erlebten die Verwerter just eine juristische Schlappe. Das niederländische Äquivalent zur GEMA, die Verwerter-Agentur Buma/Stemra, wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie einem Kreativen fällige Lizenzgebühren vorenthalten hatte. Man hatte seine Komposition hinter seinem Rücken massenhaft weitergenutzt, nur durch einen Zufall kam er den Urheberrechts-Räubern auf die Schliche. Die Ironie dabei: Ausgerechnet für die Musik eines Anti-Piracy-Clips waren dem Künstler Melchior Rietveldt keine Tantiemen gezahlt worden.

Seit Jahren behauptet die Medienindustrie, sie verteidige die armen Künstler gegen verbrecherische Raubkopierer, die Piraten aus dem Internet. Dabei wurden die Medienmogule zunehmend raffinierter. Noch bei den UHR-Änderungen 2001 drohte eine Verleger-Kampagne in großen Zeitungsanzeigen mit der “Entlassung” von freien Journalisten und Künstlern. Man hätte einfach kein Geld mehr für sie, würden die Interessen der Verwerter nicht durchgesetzt. Bebildert war die tollpatschige Presse-Kampagne des Bundes Deutscher Zeitungsverleger u.a. mit Zeichnungen abgemagert aussehender Poetinnen.

Heute gehen die Verwerter weniger platt vor und ermuntern von ihnen abhängige Kreative, sich gegen die UHR-Piraten in die Öffentlichkeit zu stellen. Und welche Art von Kultur liegt dem deutschen Michel besonders am Herzen, kann also am Besten die Öffentlichkeit gegen Piraten mobilisieren? Der Krimi ist der Deutschen liebstes Genre und so werden Krimi-Autoren und Tatort-Schauspieler in die erste Reihe geschickt, für die Verwerter um Sympathien zu werben z.B. in der Aktion „Ja-zum-Urheberrecht“.

Die „Ja-zum-Urheber”-Kampagne

Ob diese Kreativen von alleine auf die Idee kamen, ob sie freiwillig, mit Vergünstigungen geködert oder mit Sanktionen bedroht für die Urheberrechte (oder wohl eher für deren Verwertung durch die gleichen Medienmogule wie bisher?) ihren provokanten Autoren-Strip „Hemd-up-for-your-rights“ inszenierten, bei dem arme, nackte Poeten einem Leichenfledderer mit Anonymous-Maske zum Opfer fallen, wissen wir nicht. Als jedoch ein paar Anonymous-Hacker mit DDoS-Attacken konterten, war die Presseempörung groß.

Der Auftritt der UHR-Kämpfer sieht allerdings für eine Bürgerinitiative sehr professionell aus und scheint auch gut finanziert zu sein. Für die große Masse der am Existenzminimum herumkrebsenden Kreativen sind sie sicher nicht repräsentativ. Die Piratenpartei setzte eine „Ja-zum-Urheber“-Kampagne dagegen:

„Die von der Piratenpartei angestrebte Reform des Urheberrechts bringt Verwertungsgesellschaften und große Verlagshäuser auf die Barrikaden. In groß angelegten Medienkampagnen setzen sie auf Fehlinformationen über die Ziele und Forderungen der PIRATEN. Erst in der vergangenen Woche sprachen sich so über 100 Medienschaffende – von denen allerdings nur wenige tatsächlich Urheber sind – im „Handelsblatt“ gegen die Reformpläne der PIRATEN aus. Dabei wurde wieder fälschlicherweise behauptet, die Piratenpartei wolle sämtliche Inhalte kostenlos über das Internet verbreiten, das Urheberrecht abschaffen und die Interessen und die Lebensgrundlage der Künstler ignorieren.“

Die Kreativen für den Anti-Piraten-Kampagnen einzuspannen, ist sicher eine besser ausgedachte PR-Masche der Verwerter, aber ihre öden Standard-Gefechte ums Copyright laufen weiter: So produziert die Kulturindustrie Jahr um Jahr ihre nervigen „Raubkopierer sind Verbrecher“-Clips und ödet jeden Kinogänger und jeden Käufer von DVDs mit ihren wahrheitswidrigen Tiraden an: Raubkopieren ist bislang keineswegs ein „Verbrechen“, auch wenn die Verwerter-Lobby das Strafmaß gern immer höher schrauben würde. Politiker springen der Industrie gern zur Seite und mahnen mehr Achtung vor der Leistung der Kreativen an.

Die Knebelverträge

Doch wie steht es mit der Moral der Verwerter selbst, wenn es um die Zahlung für kreative Leistungen geht? Wer ein Werk (ob Bild, Ton oder Text) verkauft, wird meist mit einer mageren Einmalzahlung abgespeist und muss künftig selbst hinter den multinationalen Konzernen herlaufen, um zu kontrollieren, ob und wo sein Werk erneut verwendet wird. Um selbst diese geringen Chancen der Kreativen auf Partizipation an den gigantischen Gewinnen der Konzerne noch zu unterbinden, müssen die meisten Autoren (Medien-Prominenz der „The-winner-takes-all“-Fraktion natürlich ausgenommen) Knebelverträge unterschreiben.

Hierin sichert sich der Verwerter alle Rechte für immerdar am einmal mager bezahlten Werk und, wenn es nach der Unternehmerseite geht, auch gleich an den kompletten Recherchen des Autors. Wer das nicht will, wird oft mit Boykott erpresst; wer sich dagegen öffentlich zur Wehr setzt, muss fürchten, auf einer Schwarzen Liste zu landen. Doch selbst wer Rechte hat, muss sie anscheinend erst gerichtlich durchsetzen, wie der bereits erwähnte Musiker Melchior Rietveldt.

Im Jahr 2006 hatte Rietveldt ein Musikstück für eine Anti-Piracy-Kampagne bei einem lokalen Filmfestival komponiert. Als er 2007 eine Harry-Potter-DVD kaufte, entdeckte er sein Musikstück darauf: Der Anti-Piracy-Clip war ohne seine Erlaubnis mit seiner Komposition unterlegt. Rietveldt fand sich solcherart raubkopiert auf Dutzenden von DVDs in den Niederlanden und im Ausland. Er wandte sich an die zuständige Verwerter-Agentur Buma/Stemra.

Die hatte seine Rechte zwar vertreten, aber leider versäumt, ihn für das oft verwertete Stück zu bezahlen. Rietveldt erhielt von der Buma/Stemra einen Vorschuss von 15.000 Euro mit dem Versprechen, eine Liste der anderen DVDs zu übermitteln, die seine Komposition verwenden. 2009 forderte er einen Nachschlag und bekam nach einigem Gerangel weitere 10.000 Euro.

Die von der Buma/Stemra versprochene DVD-Liste kam nie bei Rietveldt an; das Gericht in Amsterdam stellte diese Woche fest, dass seine Komposition auf mindestens 71 kommerziellen DVDs von der Medienindustrie verwendet worden war. Die Justiz entschied, dass die Buma/Stemra fahrlässig gehandelt habe. Sie verhängte eine Geldstrafe von ca. 20.000 Euro und bestätigte Forderungen des Musikers in Höhe von ca. 160.000 Euro.

Anm.d.Red.: Das Titelmotiv zeigt den Ausschnitt eines Posters von Justin David Cox.

6 Kommentare zu “Urheberrechts-Piraterie: Wie steht es um die Moral der Verwertungsgesellschaften?

  1. “Der Auftritt der UHR-Kämpfer sieht allerdings für eine Bürgerinitiative sehr professionell aus und scheint auch gut finanziert zu sein. Für die große Masse der am Existenzminimum herumkrebsenden Kreativen sind sie sicher nicht repräsentativ.”

    Ja, aber nich wegen der Kohle, sondern weil jeder halbwegs Kreative eine ansehnlichere Webseite aus dem Hut zaubern würde als das Hemd-hoch-Hässlum.

  2. Das beschriebene Verhalten der Unternehmer im Internet ist für mich deckungsgleich mit dem moralischen Niveau jener User, die sich darüber aufregen, wenn der ungehemmte Diebstahl ( man nennt das wohl neudeutsch download) von geistigem Eigentum unterbunden werden soll. Ich finde, dass die vorhandene Gesetzgebung und ihre Umsetzung in keiner Weise ausreicht, einen tatsächlichen Schutz von geistigem Eigentum im Internet stattfinden zu lassen. Wo macht der Autor eigentlich den Unterschied zwischen einem Hacker der sein Konto in kleinen Dosen plündert und einem User, der einen Produzenten permanent durch Downloads um seinen Verdienst prellt?

  3. @HJ Stumm: so einen “Hacker” gibt es bereits: die Banker, die von unserem Konto immer unverschämtere Gebühren abbuchen, für immer miesere Leistungen, um sich und ihren Multimillionärs-Komplizen immer gigantischere Vermögen zusammen zu raffen. Zu diesen reichen Finazparasiten gehören auch die fetten Medienmogule, die auf ihren Geldbergen hocken, der Masse der Kreativen nix abgeben wollen und mit DRM-Technologie noch den letzten Käufer bestrafen (damit nur ja keiner umsonst einmal zuviel die Kunstwerke genießen kann, disie mit wenig saubener Methoden, s.o. Knebelverträge unter ihre Knute gebracht haben. Und da regt sich einer auf, wenn einige denen nix zahlen wollen für jeden Schund? Nunja, wenn jm. aus Nachbars Garten den download eines Apfels verübt, hat er meist mehr an Wert in der Hand als beim Popmusikmist der Medienindustrie… und wie die politischen Marionetten er reichen Mogule agieren? sihe hier zur CDU:
    http://flaschenpost.piratenpartei.de/2012/07/16/internetpolitik-2-0-kauf-dir-virtuelle-freunde-die-union-zwischen-freibier-und-outsourcing/

  4. Es ist erbärmlich, wie sich sog. Kreative vor den Karren der Kulturindustrie spannen lassen, um angeblich für “ihre” Rechte zu kämpfen -in Wahrheit für die Medienmacht von Big Business.
    Wo sind eigentlich diesen sauberen Damen und Herren (Tatort-Autoren&Co.) wenn es um die Solidarität mit ihren durch Knebelverträge geknechteten und ausgebeuteten Kollegen geht?
    Laut Künstlersozialkasse beträgt das durchschnittliche Monatseinkommen von Künstlern derzeit ca. 1.278,50 € (und da gehen die Großverdiener und Absahner der “The-Winner-Takes-All”-Minderheit mit ein, d.h. die weitaus meisten liegen deutlich unter der AArmutsgrenze) -das ist nicht auf Internet-Downloads zurück zu führen, sondern auf die unfaire Verteilung der Milliarden, die Big Business macht. Die in diesen Business erfolgreichen Kreativen brauchen sich, nebenbei gesagt nichts darauf einbilden -sie sind eben die anpassungsfähigen sprich: rückgratlosen Hampelmänner und -frauen im Dienste ihrer Bosse, die es ihnen damit danken, ihre meist jämmerlichen, angepassten und nur zur Verblödung tauglichen “Kunstwerke” mit PR- und Werbung in gloriose Höhen zu hypen… pfui spinne!

  5. Die Rede von der
    CONTENT-MAFIA
    ist wohl nicht mehr so populär, seit Kritiker verklagt werden? Aber gerechtfertigt schon noch, wie der Beitrag zeigt!

  6. Solange die Geldstrafen bei so kleinen Beträgen wie 20.000 € im beschriebenen Fall bleiben, fühlen sich die Verwertungsgesellschaften sicher nicht verpflichtet, ehrlicher zu arbeiten.
    Und die Anti-Piracy Clips sind eh unmöglich. Zum einen ärgere ich mich immer, dass ich regelrecht dazu gezwungen werde mir diesen Blödsinn auf von mir gekauften (!) DVDs anzugucken (dazu ist folgender Artikel interessant: http://berlinergazette.de/bezahlen-im-netz-cory-doctorow/ ), zu anderem finde ich es widerwärtig wie diese Clips daher kommen. Ich erinnere mich noch an den Clip, wo ein Mädchen einsam schaukelt und man das bedrückende Gefühl bekommt es handelte sich um ein Vergewaltigungs-/Missbrauchsszenario, dabei vermisst sie nur Papa, weil der wegen Raubkopierens im Gefängnis ist. Ich finde es schlimm, was da gleichgesetzt wird.

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