Unter Wasser zeichnen

Wenn ich den Blick schweifen lasse und die Wasserflaeche vor mir sehe – mit welchem Wasser habe ich es zu tun? Ich suche nach einem Vokabular, das mehr mitschwingen laesst, als den ersten Blick und im Prozess von Wahrnehmung und Deutung etwas Offenes zulaesst. Ueber die Oberflaeche des Sees blaest der Wind, das Kraeuseln nimmt mit dem Wehen des Windes zu, eine Folge von Wellen scheint auf mich zuzurollen. Die Beobachtung gilt der Bewegung von Wasser. Es geht darum, genauer zu sehen, was das Wasser tut. Ist die Wellen-Bewegung im See nicht eher ein Schein?

Es ist anzumerken, dass ich mich in Wasser hineinversetzen moechte und eher die Tendenz habe, in Wasser einzutauchen. Mein Interesse ist von der wasser-aufnehmenden, absorbierenden Sorte; ich bin gepraegt vom ersten Lebensjahr auf einem Rheinschiff. Zweierlei Gedanken stellen sich beim Sehen auf Wasser ein: dass das Fluessigsein von Wasser nicht selbstverstaendlich ist, sondern auf seine molekulare Verfassung zurueckgeht. Dass die Form, in der Wasser fliesst, durch die Struktur bestimmt ist, wie H und O vernetzt sind. Um Kindern ein Bild vom Zusammenhalt des Wassers zu geben, wuerde ich die Molekuele als Heringsschwarm zeichnen.

Der Blick auf die Flaeche von Wasser laesst sich scharfstellen oder weichstellen. Nun ist die gesamte Flaeche zu sehen mit ihren Wellen, ihren Schwingungen. Das Wasser, das aus einer riesigen Tiefe und Ferne kommt. Am Horizont zeigt sich die Ausdehnung: Nur Wasser ist sichtbar und damit eine zeitlose, unvergaengliche Situation. Oder man nimmt einen Ausschnitt ins Visier. Unzaehlige Nuancen erscheinen im Blickfeld. Es ist der Aufruf an die Augen, dasselbe Phaenomen in tausend Differenzen zu sehen und fuer die Details empfaenglich zu sein. Wasserteilchen, die auf und ab tanzen, wie Tropfen, die als Individuen agieren.

Und im Gegenzug die Flaechenbildungen beobachen: Viele Teilchen bilden einen Zusammenhang und sind als Gesellschaft verbunden, in der das eine Teilchen das benachbarte mit seinem Heben und Senken ansteckt und dieses das naechste und uebernaechste, so dass ein Rhythmus aufkommt, ein Schwingen und eine gemeinsame Form. Das ist das Prinzip des Schwarmes. Und im naechsten Schritt erkennen: Die Wasserteilchen, die an Ort und Stelle schwingen, tanzen, erzeugen ein Trugbild, eine Illusion von dahineilendem Wasser.

Das Bewegen wird zum Thema gemacht, das, was ich als Kuenstlerin tatsaechlich tue. Ein Kupferstich von W.H. Bartlett, 1831, zeigt in bewundernswerter Weise die Faehigkeit, mit Hilfe von Strichen Wasser darzustellen. Ich zeichne Linien, Wellenlinien und verbinde in meiner Imagination die Linien mit Vorstellungen von sich wellendem Wasser. Die Hand zieht die Linien aus dem Stift, dabei sehen die Augen, die geschlossen bleiben, nach innen. Eine Linie schwingt, die naechste Linie setzt die Schwingung fort, die Bewegung pflanzt sich fort von Linie zu Linie. Genauso kommt es mir vor, ist es mit dem Wasser. Die Wasserteilchen heben und senken sich, ein Takt wird erzeugt, eine Welle, ein Wellenberg, ein Wellental. Es ist ein Prozess, der auf sich selber einwirkt.

Ich bin am Meeressaum, wo Gegensaetze aufeinander treffen. Das Umbrechen der Wellen. Das Verwirbeln von auslaufender und ruecklaufender Welle auf dem Strand. Im Sand haben sich da, wo Wasser geflossen ist, vielfaeltige Muster eingezeichnet. Im Abdruck wird die Kraft sichtbar, die vor Sekunden noch im freien Spiel zwischen Sand, Wind, Wasser gewirkt hat. Ich pirsche ich mich an die vorderste Welle heran. Dank der neuen wasserdichten Schuhe gelange ich auf dem nassen Sandboden naeher an die Trenn-Linie zwischen Land und Wasser, der Welt der Festigkeit und der Fluessigkeit. Um mich herum durchkreuzen sich zwei flache Wasserlachen aus verschiedenen Richtungen, Wasserlinien sind augenfaellig, Verschiebungen, Interferenzen. Fuer mich stellt sich die Frage, ob eine wasserdichte Zeichnung denkbar ist?

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