Unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Auf dem Redaktionstisch liegt ein Stueck ausgerissene Landkarte, auf der sich die Umgebung noerdlich von Berlin von Nauen ueber Oranienburg und Neuruppin bis nach Fuerstenberg erstreckt. Auf den ersten Blick spiegelt die Karte lauter Alltaeglichkeiten: Staedtchen, Doerfer, Landstrassen, Schnellstrassen, Autobahnen und Gewaesser. Aber das taeuscht, es gibt hier einen blinden Fleck, der durch nichts weiter als eine rot gestrichelte Linie markiert ist. Ein Gebiet, das sich der kartographischen Repraesentation entzieht.

Wer heute in einer weitreichend entdeckten und zunehmend privatisierten und kommerzialisierten Welt noch Entdecker spielen moechte, der entdeckt verbotene Spielzonen und Luecken im System. Der Entdecker-Modus wird zum Hacker-Modus. Im digitalen wie im urbanen Raum, werden aus Verboten Zutrittsgebote. Man untergraebt Gesetze, die fuer Langeweile sorgen und jede Entdeckung von Anfang an ausschliessen. Verlassene Gebiete werden ausfindig gemacht und benutzt, offene Netzwerknoten verortet und als frei verfuegbar angesehen.

Auch die Redaktion der Berliner Gazette war in diesem Sommer im Entdecker-Modus unterwegs. Das letzte Redaktionstreffen fand in einem Landhaus bei Langnow, noerdlich von Berlin statt. Dort erzaehlten Locals uns vom Wittstocker Bombodrom: >Seitdem die Russen diesen Truppenuebungsplatz verlassen haben, kann man das wunderschoene Stueck Heidegebiet endlich begehen<, lautete der Hinweis fuer uns Touristen. Wir nahmen die eingangs erwaehnte Karte zur Hand [4] und stellten keine weiteren Fragen, sondern entschlossen uns sofort eine Exkursion zu diesem ehemaligen Bombenabwurfplatz zu starten. Wir waren gespannt auf die einstige No-Go-Zone. Let’s go. Neben einer Wachturmruine parkten wir unser Auto und scherten in die wilde Heide aus, stiessen aber auf nichts weiter als einen extrem niedrigen Hochsitz mit Tarnnetz. Doch das Entdecker-Fieber hatte uns gepackt, wir suchten weiter und liefen als Pseudo-Entdecker, vergleichbar mit den jugendlichen Entdeckerspielen im Als-Ob-Modus in den naechsten Waldweg. Trotz der verwunschenen Natur war die Atmosphaere irgendwie beklemmend. Aus Verlegenheit machten wir Witze ueber eine Beauty-Farm, die wir gleich zu sehen bekommen wuerden und auf der lauter in die Tage gekommene Stars regeneriert werden... Keinen Schritt weiter konnten wir unserer Fantasie freien Lauf lassen, denn auf einmal standen wir vor einem riesigen Stacheldrahtzaungebiet und erspaehten in der Ferne Baracken und Uebungsattrappen. Waren die Verbotsschilder am Anfang des Weges etwa doch keine Relikte aus DDR-Zeiten? Wuerde gleich ein Jeep mit Bundeswehrsoldaten anrollen? Wie war das mit dem Als-Ob-Modus? War die Lage einschaetzbar? Wir meinten fuer den Ernstfall gewappnet zu sein: >Wir sagen einfach, dass wir Journalisten sind. Damit kommt man immer durch.< >Na toll, wenn die hoeren, dass wir Journalisten sind, nehmen sie uns erst recht hoch! Hier gehen doch Sachen unter Ausschluss der Oeffentlichkeit vor. Journalisten gleich Oeffentlichkeit. Comprende?< In diesem Fall hatte das Problem mit der Oeffentlichkeit sogar eine ganz besondere Relevanz. Die Buergerinitiative Frei Heide wehrt sich schon seit Jahren gegen eine Weiternutzung des von der Roten Armee fuer 40 Jahre besetzten Gebietes durch die Bundeswehr. Damals wurde in der Heide fuer den Ernstfall geuebt. Die Panzer zerwuehlten den Boden, der Laerm der Artillerie und Bomber bestimmten den Alltag. Bombodrom, das klingt scheusslich, aber Truppenuebungsplatz: ein Platz fuer Truppen zum Ueben, das klingt neutral und sportlich, eine semantische Beruhigungspille. Uns beruhigten die Stacheldraehte zumindest nicht und Entdecker im Hacker-Modus waren wir auch nicht. Wir suchten nicht nach der losen Masche im Zaun, sondern marschierten im beschleunigten Gang zu unserm Auto. Spaeter erfuhren wir, dass es so aussieht, als wenn die Bundeswehr tatsaechlich aufgrund von Protesten von Seiten der Bevoelkerung das Gebiet aufgeben muesste. Die freie Heide scheint die Bundeswehr erfolgreich bezwungen zu haben. Und trotzdem bleibt ein militaerischer Nachgeschmack nicht aus. Ich frage mich immer noch, was sich in diesem rotmarkierten Bereich verbirgt.

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