Unsterbliche Computer: Wie die Religion in den Technikdiskurs Einzug hielt

Die Ideen des technologischen Posthumanismus sind inzwischen in Literatur, Kunst, Film, Fernsehen und der populären Publizistik angelangt. Was genau hat es mit diesem Konzept auf sich? Auf welche Weise vermischen sich die gegenwärtige Technikprophetie mit religiösen Vorstellungen? Der Religionswissenschaftler Oliver Krüger unternimmt eine kritische Bestandsaufnahme.

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Es sind nun 30 Jahre vergangen, seit der amerikanische Robotiker Hans Moravec in seinem Aufsehen erregenden Werk Mind Children. The Future of Robot and Human Intelligence (1988) die Vision einer Unsterblichkeit im Computerzeitalter als normatives Ziel des menschlichen Fortschrittsprozesses formulierte. Die Ideen des technologischen Posthumanismus und des mit ihm verwandten Transhumanismus sind in der Populärkultur angekommen.

Filme wie Transcendence (2014) und Fernsehserien wie Altered Carbon (2018) entwerfen dramatische Szenarien um die konkrete Möglichkeit einer computertechnischen Immortalisierung. Michel Houellebecqs vollkommen trostlose Gesellschaftsanalyse Les particules élémentaires (Elementarteilchen, 1998) sowie Dan Browns Romane Inferno (2013) und Origin (2017) machen ein breites Publikum mit Logiken des eugenischen Transhumanismus bekannt.

Durch Ray Kurzweils Buch The Singularity is near: When Humans Transcend Biology (2005), die nachfolgende Gründung der Singularity University im Jahr 2008 und zahlreiche Filme hat die Idee vom Anbruch eines neuen Zeitalters, das durch künstliche Intelligenzen geprägt sein wird, weit über das transhumanistische Milieu hinaus Bekanntheit erlangt.

Was bedeutet “Singularität”?

Allgemein umfasst der Begriff der Singularität wissenschaftliche Konzepte in der mathematischen Funktionen- und Systemtheorie, der Geometrie, der Festkörperforschung sowie der Kosmologie und eben der Kybernetik. Die zwei letztgenannten Bereiche haben für den Posthumanismus eine besondere Bedeutung. Kratzt man nicht nur an der ideengeschichtlichen Oberfläche, so wird rasch offenbar, dass die kosmologische und die computertechnische Singularität eng miteinander verflochten sind und ihrerseits wieder vielfache Bezüge insbesondere zum theologischen Werk Teilhard de Chardins und seinem Konzept des Punktes Omega aufweisen. In der populären Publizistik verschwimmen diese Elemente gegenwärtig zu einer einzigen, mystisch aufgeladenen Technikprophetie.

Fünf Stufen identifiziert Ray Kurzweil in der Evolutionsgeschichte bis zur Verwirklichung der Singularität: 1. die Entstehung der Materie, 2. die Entstehung des Lebens, 3. die Entstehung der Gehirne / des Geistes, 4. die Entstehung der Technologie und 5. die Verschmelzung von menschlicher und maschineller Intelligenz. In der sechsten Phase werde die übermenschliche Intelligenz die Besiedlung des gesamten Universums in Angriff nehmen. Die Singularität, die gleich dem Urknall eine neue Schöpfung des gesamten Kosmos bedeutet, markiert dabei einen absoluten Höhepunkt technologischer Prophetie.

Das Konzept selbst definiert Kurzweil in seienm Buch nur knapp: „It’s a future period during which the pace of technological change will be so rapid, its impact so deep, that human life will be irreversibly transformed … ”. Eine genauere Beschreibung verschließe sich dem Menschen: „So how do we contemplate the Singularity? As with the sun, it’s hard to look at directly; it’s better to squint at it out of the corner of our eyes.“. Diane Proudfoot entlarvt dieses Bildnis als ein Gleichnis zur Unbeschreibbarkeit Gottes, wie es in der christlichen Mystik gebräuchlich war. So verkündet Anselm von Canterbury im 11. Jahrhundert: „I cannot look directly into [the light in which God dwells], it is too great for me … it is too bright …the eye of my soul cannot bear to turn towards it for too long.”

Die prophetische Bedeutung seiner Aussagen akzentuiert Kurzweil mit einer exakten Datierung der Singularität (in übergroßen Buchstaben): I set the date for the Singularity — representing a profound and disruptive trans-formation in human capability — as 2045. The nonbiological intelligence created in that year will be one billion times more powerful than all human intelligence today.

Bleiben die Kriterien, was denn die Verwirklichung der Singularität ausmacht, bei Kurzweil recht vage, so sind die verheißungsvollen Aussichten grenzenlos. Schon in den Eingangszeilen seines Buches verkündet Kurzweil, dass in Bälde alle Magie, die dem Leser aus den Harry Potter-Romanen bekannt sei, nun bald technologisch verfügbar wäre und darüber hinaus alle Probleme des menschlichen Lebens lösen werde: “The Singularity will allow us to transcend these limitations of our biological bodies and brains. We will gain power over our fates. Our mortality will be in our own hands. We will be able to live as long as we want (a subtly different statement from saying we will live forever). We will fully understand human thinking and will vastly extend and expand its reach. By the end of this century, the nonbiological portion of our intelligence will be trillions of trillions of times more powerful than unaided human intelligence.”

Künstliche Superintelligenz

Diese künstliche Superintelligenz habe laut Kurzweil und anderen Posthumanisten nun die Mission, das gesamte Universum in eine denkende Einheit zu verwandeln und damit letztlich Gott zu verwirklichen. Der Jesuit und Philosoph Teilhard de Chardin (1881-1955) sprach hier vom göttlichen Punkt Omega, auf den die biologische und technologische Evolution zulaufe und der damit gesamte Schöpfung wieder mit Gott vereinigen würde. Im Rahmen des technologischen Posthumanismus erfüllt diese Vision zwei Funktionen.

Auf einer mittleren Ebene wird hiermit ein Einheitsgedanke postuliert – ähnlich wie dies auch die säkularen Vereinigungsutopien des global brain und der kollektiven Intelligenz tun (z.B. von Pierre Lévy). In einem ganz weiten Bogen spiegelt sich hier die im Christentum und Judentum präsente Idee des verlorenen Paradieses (Genesis) bzw. der Auflösung der menschlichen Gemeinschaft wider (Turmbau zu Babel). Das menschliche Streben zeichnet sich nun dadurch aus, dieses Paradise Lost – das John Milton so nachhaltig als Missionsauftrag der Neuen Welt festgeschrieben hatte – in der Einheit mit Gott und der Vereinigung aller Menschen wiederzugewinnen.

Verschiedene Medienhistoriker haben herausgearbeitet, wie damit im Konkreten eine etablierte Interpretation neuer Kommunikationsmittel – in einem sehr weiten Sinn – fortgesetzt wird. Wann immer in den vergangenen Jahrhunderten medien- oder auch verkehrstechnische Neuerungen wie z.B. Kanäle, die Eisenbahn, Telegraphen oder das Radio in Erscheinung traten, gab es Stimmen, die dies als Anbruch eines neuen, freiheitlichen Zeitalters gedeutet haben, in dem die Menschheit zu einer harmonischen Gemeinschaft zusammenwachse. Die Idee der Singularität als Superintelligenz, in der die Menschheit aufgehen wird, erschafft wie zuvor die Metapher des global village erneut die Utopie einer egalitären, organischen Gemeinschaft aller Menschen, wie sie in der Moderne zuerst im vorrevolutionären Frankreich entstand.

Posthumanistischer Heilsentwurf

Der posthumanistische Heilsentwurf beruht auf einer Reihe äußerst spekulativer Annahmen wie der Nichtexistenz außerirdischen Lebens und der Möglichkeit einer Überwindung der Quantenmechanik beim computertechnischen Immortalisierungsprozess. Dies sollte den kritischen Beobachter jedoch nicht zu der Einschätzung verleiten, dass diese Vision dadurch ihre Attraktivität einbüßen würde. Sofern man Religionen als Glaubenssysteme begreift, bezeugt die Geschichte der Menschheit, dass sich spekulative Annahmen, die sich jeder empirischen Überprüfbarkeit entziehen, als äußerst beständig erweisen können – vermutlich sogar als beständiger als überprüfbare Weltdeutungen.

Die Leistung des Posthumanismus besteht einerseits in der Überwindung der menschlichen Kalamität. Zum andern verspricht er die von dem österreichischen Künstler Oswald Wiener bezeichnete, „vollständige lösung aller welt-probleme“ und „die befreiung von philosophie durch technik“ durch den Ersatz der Welt selbst (aus Wieners Roman die verbesserung von mitteleuropa, 1969, CLXXV). Die Achillesferse des Post- und Transhumanismus besteht in der Spannung zwischen seinem proklamierten Anspruch, wissenschaftlich zu argumentieren und sich wissenschaftlicher Kritik auszusetzen, während er gleichzeitig spekulative Annahmen aus der Religion und Philosophie inkorporiert.

Zwar kann man einigen säkular orientierten Transhumanisten wie Nick Bostrom und Max More ihr Unwohlsein mit der techno-religiösen Synthese anmerken. Jedoch hat sich die Diskussion im Vergleich zur Jahrtausendwende deutlich verschoben. Hatte ich damals Frank Tiplers Omega-Theorie als exotisch eingeordnet, so stehen ihre grundlegenden Elemente heute im Zentrum des Post- und Transhumanismus. Zusammen mit Ray Kurzweils Interpretation der Singularität entwickelte sich eine heilsgeschichtliche Teleologie, die deterministisch auf die Verwandlung des Kosmos in ein denkendendes Universum ausgelegt ist. Der Zielpunkt dieses Prozesses ist die Verwirklichung Gottes. Damit steht der Posthumanismus in der Kontinuität der englischen Moralphilosophen des 18. Jahrhunderts, denn eine endgültige Vollkommenheit könne nur durch die Vereinigung mit Gott erreicht werden. Es verschwimmen auch die Grenzen zwischen dem kosmologischen und dem technologischen Singularitätsbegriff. In der populären Rezeption wird Teilhard de Chardin inzwischen als Prophet des Internets, der Superintelligenz, des Transhumanismus und der Singularität gefeiert.

Die Beständigkeit kultureller Deutungsmuster

Wie können wir den gegenwärtigen Erfolg dieser Allianz erklären, obwohl sich der frühe Transhumanismus so dezidiert religionskritisch positioniert hatte? Da die christologischen Elemente in diesem Zusammenhang keine Relevanz haben, vermag der jüngere Post- und Transhumanismus janusköpfig sowohl ein säkulares als auch ein religiöses Publikum anzusprechen – die jeweiligen Nuancierungen erweisen sich als anpassungsfähig.

Meiner Einschätzung nach beruht die sichtbare Überlegenheit dieses Ansatzes jedoch noch auf einem anderen Element: der Persistenz – d.h. der Beständigkeit – kultureller Deutungsmuster. Wie wir in der ideengeschichtlichen Analyse sehen können, spielt schon die ursprüngliche Wortschöpfung des Transhumanen (trasumanar) in Dantes Versen aus der Göttlichen Komödie sowohl auf die antik-mythologische Vergöttlichung des Menschen als auch auf die christliche Gottesschau an. Als der kanadische Philosoph William Douw Lighthall Mitte des 20. Jahrhunderts als erster den Begriff transhumanism hervorbringt, reichert er diese religiöse Lesart mit einer heilsgeschichtlichen Deutung der Evolution an, wie dies konzeptionell zur gleichen Zeit auch Teilhard de Chardin und viele andere taten.

Der Post- und Transhumanismus wird damit nicht zu einer religiösen Philosophie – die technozentrische Legitimation des Fortschrittsprozesses ist unstrittig. Jedoch wird offensichtlich, dass es Ray Kurzweil und seinen Mitstreitern gelingt, die persistenten Deutungsmuster von (Heils-)Geschichte, Gott, Mensch und Kosmos zu aktualisieren und in neuer Form miteinander zu verbinden. Post- und Transhumanismus entstehen daher nicht in einem kulturellen Vakuum, sondern nutzen Deutungen sozialer Wirklichkeit¸ die im christlichen Denken und der westlichen Philosophie mitunter schon seit zwei Jahrtausenden präsent sind.

Eigentlich hat bereits der britische Science-Fiction Autor Charles Stross das Fazit meiner ideengeschichtlichen Analysen in seiner Kurzgeschichte Accelerando (2005) mit wenigen Worten vorweggenommen. Nach ausufernden Debatten über die Natur der Singularität haben die beiden Helden der Erzählung nur noch ein müdes Schulterzucken für die große Utopie übrig. Lakonisch resümiert einer der Disputanten: “Is not happening yet,” contributes Boris. “Singularity implies infinite rate of change achieved momentarily. Future not amenable thereafter to prediction by presingularity beings, right? So has not happened … Singularity is load of religious junk. Christian mystic rapture recycled for atheist nerds.”

Anm. d. Red.: Dieser Beitrag basiert auf dem kürzlich erschienenen Buch des Autors Virtualität und Unsterblichkeit. Gott, Evolution und die Singularität im Post- und Transhumanismus. Das Foto oben stammt von Hiroyuki Takeda und steht unter einer CC-Lizenz.

Ein Kommentar zu “Unsterbliche Computer: Wie die Religion in den Technikdiskurs Einzug hielt

  1. Was wir “Leben” nennen, kann durch Regeln definiert werden. Was wir uns dann anschauen müssen, sind die Singularitäten, die den Raum aller möglichen Regeln strukturieren. Was wir “Singularitäten” nennen sind wiederum bestimmte Verbindungen zwischen Gesetzen und Prinzipien. Gesetze und Regeln sind dagegen miteinander durch Kohärenz verbunden. “Synchronisation” wiederum ist, was Gesetze, Regeln und Prinzipien miteinander verbinden.

    Je fortschrittlicher die Technologie wird, desto mehr zwingt sie uns, Menschen zu werden. Was ist das Wichtigste am Menschsein? Es ist die Fähigkeit, in einem Training, das wir “Gehirnjogging” nennen könnten, positiv und logisch voranzukommen. Wer oder was wird für diese Art von Bemühungen die besten Trainingsgruppen, Programme und Lehrer zur Verfügung stellen? Das ist jetzt die eigentliche Frage, und alle anderen Fragen werden sich auf einmal neu stellen, wenn wir erst einmal gemeinsam das Beste daraus gemacht haben diese Frage richtig zu beantworten.

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