Hinter verschlossenen Türen: Wie mit TTIP und Co. Politik jenseits der Demokratie gemacht wird

Hinter verschlossenen Türen wird eine transatlantische Freihandelszone entworfen. Die Verhandlungsführer sind weder bekannt noch demokratisch legitimiert. Die genauen Vertragstexte, sei es TTIP, CETA, TPP oder TiSA, sind geheim. Ist dieses Verfahren zeitgemäß? Umweltingenieurin und Berliner Gazette-Autorin Tatiana Abarzúa kommentiert.

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Gewerkschaften, Umweltorganisationen und Datenschützer kritisieren die aktiv geheim gehaltenen Gespräche über Handelsabkommen. Der Vorwurf lautet: Sie dienen allein den Interessen globalvernetzter Konzerne und zementieren den erreichten corporate status-quo.

Kritiker warnen davor, dass das in der EU gültige Verursacherprinzip in Zukunft unterlaufen wird. Das gleiche trifft auf internationale Arbeitsnormen zu. Verminderte Umweltstandards und eine Gefährdung kleinbäuerlicher Landwirtschaft seien zu erwarten. Auch die Freigabe öffentlicher Aufträge (Ausschreibungen) wird kritisiert, weil die Vorgabe ökologischer, sozialer oder kommunaler Kriterien nicht mehr erlaubt sei.

Worum geht es konkret?

Die Abkürzungen bezeichnen Abkommen zum uneingeschränkten Handelsverkehr (Freihandel) zwischen verschiedenen Ländern und Regionen.

CETA ist das seit 2009 verhandelte „umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen“ (Comprehensive Economic and Trade Agreement) zwischen der Europäischen Union (EU) und Kanada. Es betrifft Güterhandel, Investitionen, regulatorische Zusammenarbeit und Dienstleistungen. Die Bundesregierung spricht von einer „Präjudizwirkung für künftige von der Europäischen Kommission verhandelte Abkommen mit Investitionsschutzbestimmungen“. Mit anderen Worten: beim kanadisch-europäischen Abkommen vereinbarte Inhalte sind Ausgangsgrundlage für das TTIP. Die parlamentarischen Verfahren sind für Ende 2014 oder Anfang 2015 geplant.

TPP ist ist das geplante Abkommen für den Wirtschaftsraum am Pazifik (Trans-Pacific Partnership). Nicht zu verwechseln mit TTIP. Das steht für die beabsichtigte „transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen der EU und den USA. Der frühere Begriff war Trans-Atlantic Free Trade Agreement (TAFTA).

Seit Ende 2011 wurde es durch die „Hochrangige Arbeitsgruppe für Wachstum und Beschäftigung“ (High Level Working Group on Jobs and Growth, HLWG) vorbereitet. Diese leiteten Karel de Gucht (Handelskommissar der Europäischen Kommission) und Ron Kirk. Letzterer war der damalige US-Handelsbeauftragter (United States Trade Representative, USTR) und hat für die USA Handelsabkommen mit Südkorea, Panama und Kolumbien vereinbart.

Die Bundesregierung erhielt keine Informationen über die Teilnehmer der HLWG und die Kommission entschied keine weiteren Informationen darüber zu veröffentlichen. Im Februar 2013 wurde der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe veröffentlicht. Auf diesen bezieht sich das EU-Parlament in ihrem Entschließungsantrag.

Im Mai 2013 hatte das Europäische Parlament (EP) den TTIP-Antrag mit 460 Stimmen (78%) und 105 Gegenstimmen (18%) beschlossen. 117 Abgeordnete – mehr als gegen den Antrag stimmten – waren an dem Tag abwesend. Weitere 44 waren anwesend und haben nicht gewählt. Beispielsweise der derzeitige EP-Präsident, Martin Schulz (SPD).

Im Juni 2013 (G8-Gipfel) verkündeten US-Präsident Obama und Kommissionspräsident Barroso den Beginn der TTIP-Verhandlungen. Die erste Runde fand im Juli 2013 statt, geleitet von de Gucht und dem neuen US-Handelsbeauftragten Michael Froman. Nach Angaben der Kommission soll TTIP bis 2015 beschlossen werden.

So werden WTO-Gespräche umgangen

Der Europäische Rat ist der Beirat der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten. Im März 2013 hat der Rat Kommission beauftragt, Verhandlungen über ein multilaterales Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen zu beginnen. Das ist TiSA (Trade in Services Agreement). Dieser Handelspakt wird zwischen der EU und Australien, Kanada, Chile, Taipeh, Kolumbien, Costa Rica, Hong Kong, China, Island, Israel, Japan, Korea, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Pakistan, Peru, Schweiz, Türkei und USA ausgehandelt. Alles Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO). Es soll auf dem bisherigen WTO-Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen basieren – genannt GATS (General Agreement on Trade in Services).

1994 vereinbarten die damaligen 128 WTO-Mitglieder das GATS. Es beinhaltet Ausnahme- und Schutzklauseln für öffentlich wichtige Dienstleistungen. Jahrelang, im Rahmen der Doha-Entwicklungsrunde, versuchten die wirtschaftlich mächtigeren Länder diese Klauseln aufzuheben. Ein solches als Erweiterung des GATS bezeichnetes Abkommen gelang bisher nicht. Gegenwehr asiatischer Staaten und der BRICS-Länder verhinderten eine solche Vereinbarung. Nun werden WTO-Gespräche umgangen. Außer China wird bisher keines der Länder, die sich einer Änderung des GATS widersetzt hatten, bei den Abkommen CETA, TiSA, TPP oder TTIP miteinbezogen.

Wer entscheidet darüber innerhalb der EU?

Seit dem Vertrag von Lissabon (2009) führt die EU-Kommission (KOM) Verhandlungen über Handelsabkommen der EU durch. Zuvor erteilen die EU-Mitgliedsstaaten der Kommission ein Mandat. Dazu ist keine Bestätigung des Europaparlaments vorgesehen. Das EP stimmt über alle Handelsabkommen ab. Das bedeutet, die Abgeordneten stimmen dafür (und ratifizieren die Gesetzesvorlage) oder sie lehnen das Vorhaben ab. Sie haben keine Möglichkeit, Abkommen mitzugestalten.

In einem mehrjährigen Prozess aufeinander aufbauender Gesprächsrunden tauschen Eingeweihte Vertragstexte aus. Die Öffentlichkeit erfährt nicht wer verhandelt und wie die Vertragstexte lauten. Auch das Verhandlungsmandat wurde nicht veröffentlicht. Frankreich hatte die Veröffentlichung beantragt. Die Bundesregierung, Dänemark und die Niederlanden sehen das so: Da ein einstimmiger Beschluss erforderlich ist, bleibt das Mandat weiterhin als Verschlusssache eingestuft. Trotz dieser Intransparenz sind die Bestimmungen eines von der Kommission vereinbarten Abkommens für alle Ebenen bindend (EU, Bund, Länder, Gemeinden).

Bisher haben wenige Inhalte über CETA, TTIP, TPP oder TiSA die Öffentlichkeit erreicht. 178 Organisationen haben ihre Forderung nach genauer Auskunft über die Inhalte von CETA und TTIP bekannt gegeben. Weitere Organisationen möchten die Kommission zum Ausstieg aus diesen Verhandlungen bewegen und bereiten eine Europäische Bürgerinitiative für den Herbst diesen Jahres vor.

Die allgemeine Annahme ist, dass die Parlamente der 28 EU-Mitglieder über CETA oder TTIP abstimmen. Erst danach treten die Vereinbarungen in den Mitgliedsstaaten in Kraft. So ist es bei Abkommen in gemeinsamer Zuständigkeit der EU und der Mitgliedsstaaten ( „gemischtes Abkommen“) vorgesehen.

Die Hauptkritikpunkte

Vordergründig geht es um Freihandel, der zu mehr Arbeitsplätzen und Wachstum führen soll. Dabei sind die Zölle in Kanada, den USA und der EU niedrig. Eine Analyse des 1994 abgeschlossenen NAFTA-Abkommens (North American Free Trade Agreement) zeigt, dass das Versprechen von Arbeitsplätzen nicht eingelöst wurde.

Die öffentlich bekannt gewordenen Entwürfe weisen auf andere Ziele hin. Es ist geplant, bestehende Vorschriften über Investitionen einzufrieren („Stillhalteklausel“) und künftige Änderungen zu begrenzen. Das wird mit den Begriffen „regulatorischer Kooperationsrat“, Kohärenz und Konvergenz verschleiert. Konkret würde das dazu führen, dass lange bevor Parlamentarier über bestimmte Gesetzesinitiativen informiert werden, Lobbyisten die Entwürfe mit formulieren.

Vor jeder Gesetzesänderung müsste frühzeitig geprüft werden, ob diese die Handelsbeziehungen „wesentlich“ beeinflusst. Dazu zählen mögliche Verbote von Fracking oder Rekommunalisierungen von Stadtwerken. Ganz egal ob diese Entscheidung – im Gegensatz zu den Handelsabkommen – demokratisch getroffen wird.

Viele Kritiker weisen auf die in den CETA- und TTIP-Deals geplanten Verfahren zu Streitbeilegung außerhalb des staatlichen Rechtssystems hin. Es sind Tribunale von Wirtschaftsanwälten, die Investor-Staat-Schiedsverfahren (engl.: investor-to-state dispute settlement, ISDS) durchführen. Unternehmen verklagen dabei Staaten auf Schadensersatz wegen eingeschränkter Renditeerwartungen. Verhandlungsort kann das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (engl. International Centre for Settlement of Investment Disputes – ICSID) in Washington sein.

Die Anwälte dürfen ebenfalls als Berater für die klagenden Unternehmen arbeiten und sind somit weder unabhängig noch öffentlichen Interessen verpflichtet. Auf diese Weise können die vom Abkommen betroffenen Länder kaum neue Umweltschutzgesetze, Vorschriften oder Auflagen einführen.

Besonders kritisch sind Bestandsklauseln („survive clauses“), bei denen Vorschriften noch zwanzig Jahre nach Ende des Abkommens weiter gelten. Laut dem Seattle to Brussels Network enthält CETA diese, sowie Meistbegünstigungsklauseln (“most favoured nation”, MFN), die Unternehmen Investorenschutzrechte aus anderen Handelsabkommen gewähren.

Das Europäische Parlament und die anstehende Europawahl

Mitte April, während der letzten Plenarsitzung hat das EP über den Schutz von Investoren entschieden. Es hat einer Verfahrensverordnung für Investorenschutzregeln („Financial responsibility linked to investor-state dispute settlement tribunals established by international agreements to which the EU is party“) zugestimmt. Welcher Abgeordnete wie abgestimmt hat, ist auf votewatch dokumentiert. Dieses Gesetz ermöglicht die in der Öffentlichkeit stark kritisierten Verfahren zur Streitbeilegung durch Anwaltstribunale. Für CETA oder TTIP.

Noch vor der EP-Wahl wird die fünfte Verhandlungsrunde zum TTIP stattfinden. Diesmal in Virginia, USA. In dem Zeitraum zwischen Europawahl und Amtsantritt der neuen EU-Kommission (1. November) fallen die siebte Verhandlungsrunde für das TiSA (Juni 2014 in Genf), und zwei Runden zum TTIP (Juli und Oktober 2014).

Das neue Europäische Parlament wird vom 22. bis zum 25. Mai gewählt. Anfang Juli findet die konstituierende Sitzung des neu gewählten Parlaments statt. Auch die Wahl von PräsidentIn und Präsidium. Mitte Juli findet die erste Plenarsitzung statt. Ab diesem Zeitpunkt kann der neue Präsident der EU-Kommission gewählt werden.

Einige EP-Kandidaten haben bereits signalisiert, dass sie das TTIP in der jetzigen Form ablehnen. Manche befürworten ein europaweites Referendum in allen Mitgliedsstaaten oder auch einen Konvent für mehr Demokratie in Europa. Mehrere EP-Abgeordnete und Kandidaten zur EP-Wahl, wie die Grünen Ska Keller und José Bové, unterstützen ein alternatives Handelsmandat. Dieser Entwurf stammt von einem Netzwerk aus verschiedenen europäischen Organisationen.

Nach eigenen Angaben sind es Gewerkschaftler, Wanderarbeiter, Umweltschützer sowie Aktivisten, die sich für Fairen Handel, Gleichberechtigung, Menschenrechte und Verbraucherschutz engagieren. Sie möchten eine alternative Vision für eine Europäische Handelspolitik aufzeigen, in der Menschen und die Umwelt Priorität vor den Interessen des „big business“ haben. Das klingt zeitgemäß. Besonders für diese Ära, in der viele Menschen Lösungen für eine Postwachstumsökonomie suchen, und eine Erosion der Demokratie droht.

Anm.d.Red.: Die Fotos stammen von Mario Sixtus und stehen unter einer Creative Commons Lizenz.

9 Kommentare zu “Hinter verschlossenen Türen: Wie mit TTIP und Co. Politik jenseits der Demokratie gemacht wird

  1. Gut, dass über das Thema gesprochen wird.

    Inkorrekt ist die Rolle der hochrangigen Gruppe. TTIP ergibt sich direkt aus dem TEC Dialogprozess (transatlantic economic council). Für TTIP Verhandlungen waren vor Karel De Gucht seine Vorgänger Peter Mandelson und Catherine Ashton verantwortlich.

    Siehe auch TABD – das ist die Industriegruppe für den TEC.
    http://transatlanticbusiness.org/tabd/

    Das alternative Handelsmandat ist “netter Blödsinn”, weil es dem Charakter des Prozesses widerspricht. In Handelsverhandlungen geht es institutionell immer nur um die Interessen von Exporteuren im jeweils anderen Markt, unabhängig davon was anderweitig verlautbart wird. Also nicht um allgemeine “Wirtschaftsinteressen”, nicht um “Jobs” und schon gar nicht um das Setzen gemeinsamer, höherer Standards, sondern um den Abbau von Hürden für die jeweiligen Exporteure. Amerikanische Exporteure haben Interesse an der Absenkung von Zulassungsverfahren in Europa (z.b. REACH, Chlorhühnchenbann), aber es gibt kein rationalen Interessen von deutschen Exporteuren an höheren Standards in den USA (Übernahme von REACH, zeitgemäße US-Schlachtmethoden). Handelspolitik verfolgt immer die Exportinteressen, die Interessen der heimischen Wirtschaft sind die Bremse und stehen grundsätzlich unter
    Protektionsverdacht, oft zu Recht. Handelspolitik hat einen Drall zur weiteren Marktöffnung.

    Ich habe unter
    http://www.atlantic-community.org/-/resolving-the-ttip-transparency-gap-in-europe
    skizziert wie Mitgliedsstaaten das Transparenzproblem lösen können.

  2. Was haltet ihr davon, dass laut folgender Quelle angeblich auch später Länder aus dem asiatischen Raum reinkommen sollen (wo die USA gleichzeitig verhandeln), wie hier z.B. steht:

    http://www.glaronia.com/2014/05/01/freihandelttip-eu-will-storrische-gegner-bandigen/

    in Bezug auf die Preise und Löhne würde das ja noch ein extra “Geschmäckle” mit sich bringen. Außerdem wurde in den Medienberichten bisher dieses “spezielle Thema” nicht großartig angesprochen, sondern nur speziell immer “USA – EU”.

  3. interessant ist auch, dass das BMWi einen TTIP-Beirat gegründet hat. Die Mitglieder wurden am 21.5. bekannt gegeben: bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/B/beiratsmitglieder-ttip,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf

    und, dass der Handelskommissar in einem Interview (taz.de/Karel-de-Gucht-ueber-TTIP/!139157/) gesagt hat, dass noch vor den Kongresswahlen (Anfang November) ein “Durchbruch” beim TTIP erreicht werden sollte; d.h. noch innerhalb der Legislaturperiode der derzeitigen Kommission

  4. zum Thema (2): Eine juristische Einschätzung von Fritz Glunk, Herausgeber des Buches „Das MAI oder die Herrschaft der Konzerne” von 1998: “[…] Dass die Kommission bei CETA rechtswidrig, also ohne dass sie dafür zuständig ist, die noch verbliebenen Hoheitsrechte der Mitgliedsstaaten einschränkt, ist auch für den Nicht-Juristen mit Händen zu greifen. Fast unabweislich wird die Feststellung: Die EU-Kommission hat sich bei den CETA-Verhandlungen Zuständigkeiten angemaßt, die sie nach dem Lissabon-Vertrag nicht hat. Sie hat unerlaubt in die Hoheitsrechte der Mitgliedsstaaten eingegriffen und damit, man muss es wohl so nennen, eine widerrechtliche Selbstermächtigung begangen…”

    http://norberthaering.de/index.php/de/newsblog2/27-german/news/120-gastbeitrag-das-ceta-abkommen-mit-kanada-ist-rechtswidrig#1-weiterlesen

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