Investitionsschutz, Menschenrechte und das transatlantische Freihandelsabkommen

Seit etwa einem Jahr wird zwischen der Europäischen Union und den USA über das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) verhandelt. Es verspricht große Profite für globale Konzerne und ein Verlustgeschäft für Länder des globalen Südens. Journalist, Übersetzer und Berliner Gazette-Autor Ilja Braun zeigt: Nicht nur ein wirtschaftliches Ungleichgewicht, sondern auch eine Schräglage im Bereich der Menschenrechte.

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Noch vor einem Jahr war das Thema Investitionsschutz in Freihandelsverträgen nur etwas für Spezialisten. Inzwischen ist es in aller Munde. Sogar die deutsche Bundesregierung setzt sich inzwischen dafür ein, dass die geplanten Freihandelsabkommen CETA (EU & Kanada) sowie TTIP (EU & USA) im Hinblick auf den Investitionsschutz nachverhandelt werden. Denn diese Abkommen enthalten Klauseln, die Konzerne in die Lage versetzen, Regierungen vor internationale Schiedsgerichte zu zerren. So etwas kommt nicht selten vor, und immer öfter trifft es in den letzten Jahren auch europäische Staaten. Aber noch öfter sind es die Länder des globalen Südens, die auf der Anklagebank sitzen.

Ursprünge in der Kolonialzeit

Die Ursprünge des internationalen Investitionsschutzrechts reichen bis in die Kolonialzeit zurück. Die westlichen Hegemonialmächte schickten damals Kriegsschiffe über die Weltmeere, um die „Investitionen“ ihrer Handelsgesellschaften in fernen Regionen der Welt zu schützen. Um den Schutz des Eigentums solcher Unternehmen in fremden Territorien durchzusetzen, wurde bis ins 20. Jahrhundert immer wieder auf militärische Gewalt zurückgegriffen. Erst die Entwicklung eines internationalen, juristisch begründeten Investitionsschutzregimes machte solche Auseinandersetzungen weitgehend überflüssig.

Besonders vorteilhaft ist das System für die Staaten des Südens trotzdem nicht. Deshalb bewegt sich auf dem internationalen Parkett in Sachen Investitionsschutz seit geraumer Zeit nicht mehr viel. Das geplante TTIP-Abkommen soll jetzt neue Maßstäbe setzen. Die verhandlungsmüden Staaten des Südens sollen gezwungen werden, in punkto Liberalisierung und Investitionsschutz zukünftig mit Europa und den USA gleichzuziehen. Weigern sie sich, riskieren sie, sich den Zugang zu den europäischen und US-amerikanischen Märkten zu verbauen.

Seit etwa 1995 ist es zu einem rasanten Anstieg von Investitionsschutzklagen gekommen. Nach der Statistik der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) von 2014 stammten 75 Prozent der Kläger in Schiedsverfahren bis einschließlich Ende 2013 aus Europa und den USA. Von 57 im Jahr 2013 neu angestrengten Klagen stammten 45 aus entwickelten Ländern. Insgesamt sind bis Ende 2013 in 57 Prozent aller Klagefälle Entwicklungsländer betroffen. Insgesamt 85 Prozent aller Kläger stammen aus entwickelten Ökonomien.

Kaum Vorteile für Länder des Südens

Dass die Länder des globalen Südens von dem derzeitigen Investitionsschutzregime wenig Vorteil haben, könnte für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in Zukunft ein Problem darstellen. Denn wie dem UNCTAD World Investment Report 2013 zu entnehmen ist, haben mehr als 1300 der insgesamt 2857 bilateralen Investitionsschutzabkommen (BIT: Bilateral Invenstment Treaty) mittlerweile ihre „anytime termination phase“ erreicht. Sie können jederzeit gekündigt beziehungsweise brauchen nicht mehr verlängert zu werden.

Und viele Staaten des Südens wollen nicht mehr so recht mitspielen. Bereits 2013 haben Bolivien, Kuba, Ecuador, Nicaragua, die Dominikanische Republik, St. Vincent und die Grenadinen sowie Venezuela eine Erklärung verabschiedet. Sie fordern die Einrichtung eines International Observatory, das das Verhalten der Schiedsgerichte beobachten und analysieren soll. Sie wollen ein unabhängiges Expertenforum einrichten und sich für zukünftige Verhandlungen mit westlichen Staaten besser vernetzen. Bolivien kündigte im Mai 2013 alle bestehenden Verträge, mit der Begründung, seine neue Verfassung von 2009 erlaube keine internationalen Streitschlichtungsmechanismen.

Verletzung der Menschenrechte

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) beschäftigt sich seit Jahren mit einer Thematik, die sozusagen das Gegenstück zu den Investitionsschutzklagen großer Unternehmen darstellt. Wie können diejenigen, die unter den Folgen des wirtschaftlichen Handelns transnationaler Unternehmen zu leiden haben, Schadenersatz erhalten?

Das ECCHR hat eine ganze Reihe von Fällen sogenannter development aggression aus Lateinamerika versammelt. Fälle, in denen transnationale Unternehmen, also Firmen, die in anderen Ländern agieren als dort, wo sie ihren Sitz haben, für Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden. Es geht immer wieder um ähnliche Konstellationen: um die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen durch Bergbau, um die Missachtung der Rechte indigener Gemeinschaften, um die Gefährdung von Trinkwasser, um Luftverschmutzung oder um die Verletzung von Arbeits- und Gewerkschaftsrechten.

Doch während Unternehmen gegenüber Staaten eine Kompensation für die Verletzung ihrer Eigentumsrechte relativ leicht durchsetzen können, haben umgekehrt Betroffene von Menschenrechtsverletzungen schier unüberschaubare Schwierigkeiten, Entschädigungszahlungen zu erhalten.

Wer ist zuständig für den Schutz von Menschenrechten?

Es fängt schon damit an, dass Unternehmen für den Schutz von Menschenrechten schlicht nicht zuständig sind. Dieser ist vielmehr eine Aufgabe von Staaten, was sich aus der Trennung von staatlicher und privater Rechtssphäre ergibt. Vor den Gerichten der Vereinten Nationen können nur Staaten, nicht jedoch Individuen oder Unternehmen verklagt werden. Einzig der Internationale Strafgerichtshof lässt solche Klagen zu, aber nur im Bereich des Völkerrechts, also etwa bei schweren Kriegsverbrechen. Übrig bleibt internationales soft law, also etwa Beschwerden über das Verhalten von Unternehmen, die gegen Leitsätze der OECD verstoßen. Dafür gibt es aber keine Sanktionen.

Auf internationaler Ebene kommt man also nicht weiter. Wer wirksam gegen ein Unternehmen vorgehen will, dem bleibt nur, es zivilrechtlich auf Schadenersatz zu verklagen. Um dies in Deutschland tun zu können, muss das betreffende Unternehmen zunächst seinen Standort hierzulande haben. Selbst wenn dies der Fall ist, sind den Gerichten gerade in jenen Bereichen, die für Menschenrechtsverletzungen besonders relevant sind, die Hände gebunden. Gesundheitsgefährdende Ausbeutungsverhältnisse in Sweatshops können in Deutschland nur verhandelt werden, sofern es um deutsche Arbeitsverhältnisse geht.

Umweltzerstörung hingegen fällt unter das Recht der öffentlichen Verwaltung, das sich ebenfalls auf deutsches Territorium beschränkt. Und bei Gesundheitsschäden durch Umweltzerstörung muss ein Nachweis geführt werden: Ist tatsächlich die Brühe aus dem Abflussrohr schuld an der Krebserkrankung? Eine Beweislastumkehr ist nicht vorgesehen.

Das größte Problem ist aber ein anderes: In der Regel arbeiten transnationale Unternehmen im host state, wo sie „investieren“, mit Tochterunternehmen und Zulieferern zusammen. Der Mutterkonzern kann aber für Rechtsverletzungen von Tochterfirmen nach deutschem Gesellschaftsrecht grundsätzlich nicht verantwortlich gemacht werden. Eine sogenannte Durchgriffshaftung gibt es nicht. Was bloße Auftragnehmer angeht, ist es noch schwieriger, für eine Haftung des Konzerns für deren Rechtsverstöße zu argumentieren.

Es ist seit den siebziger Jahren immer wieder versucht worden, transnationale Unternehmen auf Ebene der Vereinten Nationen direkt an Menschenrechtsstandards zu binden. Der United Nations Human Rights Council (UNHRC) hat sich zuletzt im Juni 2014 in Genf mit einem solchen Abkommen befasst. Es soll nun eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden, die ein entsprechendes legales Instrument mit internationaler Verbindlichkeit entwickeln soll.

Fragwürdigkeit des Interessenausgleichs

Vor diesem Hintergrund wäre es angebracht, die Legitimität des Interessenausgleichs, der der EU-Kommission bei den TTIP-Verhandlungen vorschwebt – „a better balance between the right of states to regulate and the need to protect investors“ – grundsätzlich zu hinterfragen. Ist es wirklich die Aufgabe der Politik, die Interessen von Bürgerinnen und Bürgern in einen Ausgleich mit jenen der Unternehmen zu bringen? Sind beide Interessen gleich legitim?

Die EU-Kommission ist offenbar bereit, im Rahmen ihrer Verhandlungen über Freihandelsabkommen die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern gegen die Gewinne von Investoren abzuwägen. Sie ist aber nicht bereit, den Betroffenen des Investorenhandelns wirksame Mittel an die Hand zu geben, um ihrerseits Rechte durchzusetzen. Sonst würde sie dafür sorgen, dass Mutterunternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in der Verantwortung ihrer Tochterfirmen und Zulieferer haftbar gemacht werden können. So wie es Menschenrechtsorganisationen seit langem fordern.

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema in unserem Dossier Raumschiff Erde. Eine ausführlichere Fassung dieses Textes ist in der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift Merkur erschienen. Eine noch ausführlichere Fassung finden Sie ab Mitte Oktober hier. Die Bilder im Text (1 und 2) im Text stammt aus der British Library.

Ein Kommentar zu “Investitionsschutz, Menschenrechte und das transatlantische Freihandelsabkommen

  1. Der letzte Absatz skizziert einmal relativ neutral die große Problematik bzw. die kritisierungswürdige Ausgestaltung in diesem Punkt im TTIP. Sofern man die Politik als gewählte Interessensvertreter, in erster Linie der Bürger ansieht, ist es ein denkwürdiges Verhalten und erklärt fast schon von selbst, warum auch die Verhandlungen in leiser Abgeschiedenheit geführt werden.

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