Medienkulturen im Vergleich: Von der DDR-Diät zur heutigen Vernetztheit

Die Redaktion der Berliner Gazette führt im Rahmen des Crashkurses Online-Medien eine Umfrage unter ExpertInnen durch und laesst diese ueber ihre persoenlichen Erfahrungen mit Medien sprechen. Dieses Mal spricht Thorsten Schilling, Leiter des Fachbereichs Multimedia bei der Bundeszentrale für politische Bildung, ueber seine Mediensozialisation in der DDR und ueber die Medienlandschaft heute.

Ich bin in der DDR in den 70ern und 80ern aufgewachsen, wo das Medienangebot im Vergleich zu heute extrem eingeschraenkt war. Zumal ich bis zum 19. Lebensjahr in Dresden lebte, wo das westdeutsche TV gar nicht und Radio nur auf Mittel, Lang- und Kurzwelle zu empfangen war. Also habe ich dann Radio Luxemburg auf Kurzwelle, Deutschlandfunk auf Mittelwelle und diverse andere Sender wie BBC im Radio gehoert.

Musik kam als Kopie auf Kassetten von Freunden. Das wichtigste Medium waren Gespraeche und Buecher, auch aus politischen Gruenden verbotene Buecher, die ich teils selbst kopierte [Solschenizyn wurde abfotografiert, Havemann selbst auf Tonband gesprochen] oder die von Hand zu Hand gingen.

Das Internet gab es nicht, wir hatten nicht einmal Telefon. Es war im wesentlichen eine orale Kultur, Basismedium fuer die Bildung war das Buch, fuer die Popkultur die von Hand zu Hand gehende Tonband-Kopie von Platten und Radiosendungen. Das Internet wird heutzutage von vielen Jugendliche genutzt, vor allem Netzwerke wie Facebook, xyz-VZ halte ich zur Zeit fuer sehr praegend, daneben Wikipedia und Google. In meiner Arbeit bei der Bundeszentrale fuer politische Bildung spielen Jugendliche eine wesentliche Rolle, ueberwiegend bildungsbereite und interessierte, und zwar sowohl als Zielgruppe fuer diverse Angebote im Internet und fuer multimediale Produkte, als auch als Beobachtungsgegenstand bei der Entwicklung von Medienkulturen.

Was den Jugendlichen in diesem Bereich meiner Meinung nach fehlt, ist vor allem ein Bewusstein fuer die Einschraenkungen dieser Medienkulturen durch die Tendenz zur Monopolisierung [z.B. Google] und die Beschraenkungen auf privatwirtschaftliche, werbungsgetriebene Geschaeftsmodelle. Der ganze Bereich des Datenschutzes, der Wahrung der Persoenlichkeitsrechte, ist hier extrem schwach besetzt – auch im Bewusstsein der Nutzerinnen und Nutzer. Diese strukturelle [weil auf maechtigeren Interessen beruhende] medienpolitische Naivitaet ganzer Generationen ist meiner Meinung nach ein erhebliches Risiko fuer die Freiheitlichkeit der Gesellschaft.

In den jugendlichen Medienkulturen ist eine extrem hohe Vernetztheit, Flexibilitaet und Parallelitaet zu den >offiziellen<, autorisierten Medienkanaelen anzutreffen. Das schaetze ich als sehr positiv ein. Wenn es gelaenge, die genannte medienpolitische und oekonomische Naivitaet zu durchbrechen, beispielsweise hin zu einer Etablierung anderer, verteilter Eigentumsmodelle, koennten aus der enormen Dynamik jugendlicher Aneignungsformen der Medien, wesentliche Impulse fuer eine offenere, verantwortlichere Gesellschaft entstehen.

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