Themenpark Europa: Hakenkreuze, Günther Jauch und die „Gefällt-mir“-Politik der Angst

Der Euro ist nicht krisensicher. Ist es die Idee von Europa? Für viele scheint die Idee von Gemeinschaft vor der eigenen Haustür zu enden. Zeichen der Zeit: Angela Merkel mit Hakenkreuz-Binde und Günther Jauch im Olymp einer „Gefällt-mir“-Politik der Angst. Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki skizziert das Panorama.

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Angela Merkel in SS-Uniform und Hackenkreuz-Binde. Günther Jauch präsentierte dieses in Griechenland entstandene Bild gestern in seiner ARD-Talk-Sendung. Zwischenzeitig wurde Philipp Röslers Athen-Besuch von Protesten überschattet. Ein bizarres Schauspiel vor der deutschen Botschaft: Demonstranten als Nazis verkleidet. Sind das unzweideutige Symptome des „kollektiven Durchdrehens einer überforderten Gesellschaft“ (Gustav Seibt)?

Griechenland taumelt – eine Staatskrise. Doch auch Europa als Gemeinschaft ist überfordert. Ökonomisch und vor allem politisch. Was tun? Politiker appelieren an die europäische Identität. „Wo wollen wir mit Europa in 20 Jahren stehen?“ Für Arbeitsministerin Ursula von der Leyen war das gestern bei Günther Jauch die entscheidende Frage. Sie erinnerte an das Ende des Zweiten Weltkriegs, als Deutschland, Verursacher desselben, am Boden war und der Rest Europas ebenso.

Wer herrscht über wen?

Die Menschen in Griechenland erinnern sich in diesen Tagen auch an die vergangene Ära der Verwüstungen. Aber nicht die Idee der Schicksalsgemeinschaft kommt ihnen in den Sinn. Nicht das gemeinsame Ziehen am selben Strang, sondern jene Momente, die dieser Episode des Wiederaufbaus zuvorgingen: Die Besatzung durch das NS-Regime. Nichts anderes – nicht den Holocaust etwa – symbolisieren in diesem Zusammenhang die Hakenkreuz-Kostümspiele. Es geht um die Angst vor der Fremdherrschaft, so der Journalist Michalis Pantelouris.

Diese Angst ist auch in Deutschland verbreitet. Selbstbestimmung auf der Grundlage einer Währungsunion der Ungleichen scheint undenkbar. Abhängigkeiten, Verstrickungen, Verflechtungen – die EU wirkt in diesem Moment wie ein Gefängnis der Fremdherrschaft. Eine Herrschaft der Betrüger und Bankrotteure über die Rechtschaffenen und Wohlhabenden. Längst hat sich in Deutschland auch ein bürgerlicher Protest formiert – gegen die Schulden, für die D-Mark. Wolfgang Büscher fragt in der ZEIT: “Wer stellt sich an die Spitze der Bewegung?”

Noch gibt es keinen Anführer. Noch spricht man von einer „Geisterpartei“ (Büscher). Aber die Geister des Rechtspopulismus sind gerufen worden. Darüber kann es keine Zweifel geben. Das belegt auch die jüngste Studie aus dem Hause Demos. Deren Titel lautet: The New Face of Digital Populism. Und das Fazit: „With their focus on the ongoing Eurozone crisis, European political leaders risk ignoring a political crisis bubbling under the surface – the rising public support for populist movements.“

Digitaler Rechtspopulismus

Untersucht werden unterschiedliche politische Strömungen – der Guardian hat sie in einer interaktiven Europa-Karte visualisiert. Ein besonderes Augenmerk der Studie liegt auf der Verkettung von Online- und Offline-Aktivitäten. Die Fragen lauten: Wie verwandelt sich Online-Aktivismus in Offline-Aktivismus? Wie wird aus einem Partei-Fan auf Facebook ein Wähler der jeweiligen Partei? Wie verwandelt sich das Klicken in sozialen Netzwerken in eine politische Präsenz auf den Straßen?

Die Antworten der Studie auf diese Fragen legen sich nicht fest, sie differenzieren in Prozenten und sich überlagernden Tendenzen. Eines jedoch deutet sich unmissverständlich an: Die „Gefällt-mir-Politik“ à la Facebook kann ernsthafte Folgen haben. Insbesondere dann, wenn 1) das Klima Angst und 2) das politische Rezept Rechtspopulismus sind. Im Erregungszustand greift die negative Schwester der Schwarmintelligenz um sich wie ein Lauffeuer: die Schwarmverblödung. Aus der digitalen Sphäre frisst sie sich unversehens in analoge Parteibücher. Was dabei herauskommen kann, offenbaren jedoch nicht nur Wahlen. Aber können wir uns noch erinnern?

Die Euro-Krise ist inzwischen offenbar so groß, dass sie das kollektive Kurzzeitgedächtnis geschluckt hat. Vergessen sind die Riots in London – und damit nicht nur die komplexen gesellschaftlichen Ursachen für diese Unruhen, sondern auch die konterrevolutionäre Reaktion im Zeichen des digitalen Rechtspopulismus: soziale Netzwerke wurden für die Selbstjustiz der Privilegierten eingesetzt. Vergessen ist auch der Attentäter von Oslo, der mit digitalen Propaganda-Werkzeugen und hochentwickelten Instrumenten des klassischen Krieges christianischen Terror über sein Land gebracht hat.

Konterrevolution auf kleiner Flamme

An Tagen der Wahrheit hat es dieses Jahr in Europa nicht gemangelt. Aber was bringt das? Letzten Endes muss die Gesellschaft auch der Wahrheit ins Auge sehen: Während viele Politiker und nicht wenige Star-Intellektuelle die europäische Idee beschwören, köchelt die rechtspopulistische Konterrevolution auf den Straßen – noch auf kleiner Flamme. Kann ein Günther Jauch in diesem Klima als Aufklärer gelten? Oder sollten wir ihn als Agitator wahrnehmen? Allein der Titel seiner gestrigen Sendung zeigt, dass es derzeit ein schmaler Grat ist: „Chaos-Tage in Athen – wer will die Griechen jetzt noch retten?“

Anm.d.Red.: Das Bild oben stammt von banksy.

18 Kommentare zu “Themenpark Europa: Hakenkreuze, Günther Jauch und die „Gefällt-mir“-Politik der Angst

  1. Mit deinem Text haust du aber in dieselbe Kerbe. Denn ebenso, wie sich rechte Ansichten verbreiten, gibt es auch die Anfänge einer bürgerlichen Ptotestbewegung. Das ist logisch, weil sich in extremen Zeiten immer beides gebildet hat. Über den Erfolg hat letztlich jeweils die Finanzierung entschieden; die ist, zugegeben, natürlich eher auf Seiten der Rechten.

    Ob das hier auch so ist, bezweifle ich aber, denn zum ersten Mal protestieren auch Menschen, die Geld haben. Hinzu kommt die Betonung des sozialen Aspekts im Gegensatz zum ideologischen, weder in der #S21- noch in der #occupy-Bewegung erkenne ich herkömmliche Lager.

    Ich will die Gefahr nicht klein reden, sie ist zweifellos vorhanden. Andererseits gibt es aber auch starke Korrektive durch die zunehmende Vernetzung.

    Was leider so gut wie gar nicht vorkommt, und wo es wirklich Warner bräuchte: Die saumäßige Bildungspolitik. Erst, wenn die Halb- und Ungebildeten in der Mehrzahl sind, wird die latente Bedrohung von rechts zu einer akuten Gefahr. “Wir sind auf einem guten Weg”. (Merkel)

  2. @Magdalena, @Krystian
    Krystian betont den Angstaspekt und die verhältnismäßige Ratlosigkeit, ohne die vielen positiven Entwicklungen dagegen zu setzen.

  3. Übrigens fand ich sehr treffend, was Schirrmacher in Alternativlos 20 zu dem Thema gesagt hat. Diese unterschwellige Beeinflussung ist weitaus schlimmer als offene Äußerungen, auf die man draufhauen kann.

  4. @vera#1, 5: ja, es gibt positive entwicklungen. aber ich habe in diesem text nicht das ziel, jene aufzuzeigen. vielmehr geht es mir einzig und allein um den (digitalen) populismus. zu verstehen, was das ist und wie das funktioniert — mein text kann nur einen kleinen beitrag dazu leisten; es tut sich soviel in diesem Bereich, vieles davon wird nicht weiter in der presse berücksichtigt. anders als beispielsweise die sozialen bewegungen am anderen ende, die du erwähnst: occupy und s21.

    die fragen, die ich in diesem zusammenhang sehe:

    — was für soziale Bewegungen reagieren auf die euro-krise und die griechenland-krise anders als die rechtspopulistischen bewegungen? welche Größenordnung haben sie? wie gehen sie auf diese Krise ein?

    — können occupy und s21 tatsächlich in einem engeren sinne als damit verknüpft gesehen werden?

    — ist es strategisch sinnvoll diese beiden sozialen bewegungen in einen topf zu werfen? sinnvoll 1) in bezug auf die besagte krise 2) in Bezug auf den rechtspopulismus und seine macht.

  5. @vera: also mir macht dieser artikel KEINE ANGST. er ist nüchtern genug, zumindest für meinen geschmack, um als “aufzeigender journalismus” durchzugehen, das wort “wahrheit” ist in diesem kontext wohl dennoch ein wenig zu pathetisch

  6. @krystian: occupy geht gegen die globale finanz-/banken-/wirtschaftskrise und deren ursachen vor. das hat nur am rande etwas mit griechenland und der aktuellen eurokrise zu tun. es handelt sich hier um eine staatskrise. hier hat die politik versagt. nicht die wirtschaft. oder irgendeine bank.

  7. gefällt mir gar nicht, diese Politik der Angst…

    Ich erlaube mir daher einen Hinweis auf ein engagiertes Symposium in Berlin (diese Woche), da ich es nicht werde besuchen können, kommen auf diesem Wege vielleicht Nachrichten darüber in die Berliner Gazette, hier nun der Hinweis:

    “How should Europe be considered? The answer to this question lies in the middle: as a region of unity and diversity. Therefore, in order to answer this question successfully, Europe needs to be looked at from different perspectives. Five German-British research teams will develop these perspectives as the main themes of their panels and presentations.”

    http://www.dahrendorf-symposium.eu/

  8. “Aoch auch Europa als Gemeinschaft ist überfordert. Ökonomisch und vor allem politisch. Was tun? Politiker appelieren an die europäische Identität. „Wo wollen wir mit Europa in 20 Jahren stehen?“
    Das ist in der Tat die Frage, die wir uns stellen müssen: Was für eine Idee, Vision verkörpert Europa? Der Euro reicht da nicht als identitätsstiftendes Band. Der Euro ist kein Kitt, wie Kohl, Waigl und Mitterand einmal gedacht haben.

  9. @Krystian
    Hm, es passiert ja eine Menge, aber eine wirkliche Bewegung sehe ich in Deutschland nicht. Vielleicht ist das aber auch ein Trend, dass es viele kleine Interessengruppen gibt, die sich um Dinge in ihrem direkten Umfeld kümmern. Die Unzufriedenheit ist sehr groß und allgemein, und die Menschen wollen etwas tun. Ich sehe gesteigerte Bereitschaft, sich überhaupt zu engagieren, selbst bei Menschen, die das nie für möglich gehalten hätten.

    Rechtspopulismus ist kein Thema, leider. Er wird schlicht nicht wahrgenommen, das macht ihn so gefährlich. Mittel für Initiativen gegen rechts werden gestrichen, die politische Marschrichtung geht nach wie vor klar gegen Links. Auf dem rechten Auge ist die Politik blind. Unterstützt wird sie von BLÖD, wo sich eine regelrechte
    “das wird man doch noch sagen dürfen”-Kultur entwickelt hat. Der Luftraum über den Stammtischen ist gesichert.

  10. “Rechtspopulismus” kann man auch ohne Probleme mit “Linkspopulismus” ersetzen. Das Ergebnis ist dasselbe (abgesehen von Nazikostümierungen).
    Angst wird auf beiden Seiten des politischen Spektrums zum Durchdrücken von Entscheidungen genutzt

  11. @anon: neiiiiiin! rechtspopulismus und linkspopulismus lässt sich niemals vergleichen! das ist ganz schlimme, bürgerliche panikmache.

  12. auch die npd ist eine links-partei.

    der npd-mist ist braun. der “die linke”-mist ist rot. der gestank ist derselbe.

    es sind beides – wie alle anderen parteien auch – vereinigungen von etatisten, menschheitsbeglückern und weltverbesserern.

    besserwisser, die sich von finanzverbrechern an der nase herumführen lassen, wie alle pollittikker.

    keine macht für niemand scheint mir inzwischen ein gangbarer weg zu sein; denn schlechter, als so wies jetzt ist kann´s keiner.

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