Tektonik des Fragens: Kämpfe um das kollektive Bewusstsein im Archiv des „grünen“ Extraktivismus

Ist der aktuelle Hype um Post-Karbon-Kapitalismus (auch als “green capitalism” bekannt) nicht zuletzt ein Kampf um die gesellschaftspolitische Wahrnehmung der laufenden Klimakatastrophe? Die Berliner Gazette-Herausgeber*innen Magdalena Taube und Krystian Woznicki unternehmen eine Bestandsaufnahme.

*

Das Archiv liefert Antworten. Auf Knopfdruck und auf mein Profil zugeschnitten. Die Verfügbarkeit des Archivs als solches ist genauso selbstverständlich wie die Antworten, die es ausspielt. So, grob gesagt, funktioniert das Archiv in der populären Vorstellung der Internet-Ära. Jetzt, da offline und online verschmelzen, also alle ‚Inhalte der Welt‘ zu digitalen Archivinhalten werden: dauerhaft gespeichert, verschlagwortet, über Suchmaschinen auffindbar und mit personalisierten Autocomplete-Vorschlägen aufbereitet.

Doch was passiert, wenn nicht auf alles Antworten zu haben sind? Ganz einfach: Was jenseits der Verfügbarkeit liegt, nährt Verschwörungstheorien, die – statt konstruktive Fragestellungen zu entwickeln – im Grunde nichts anderes als unterkomplexe Antworten auf komplexe Herausforderungen bieten. So werden in der culture of instant answers letztlich doch Antworten auf alles produziert. Und verfügbar gemacht. Wenn nicht auf Knopfdruck, so doch per Abkürzung (lies auch: Kurzschluss im Kopf) und bleiben dabei meistens just a couple of clicks away.

Hier ist das Fragen offensichtlich aus der Mode gekommen, insbesondere das Fragen nach Dingen, auf die es (noch) keine (einfachen) Antworten gibt. Der „grüne“ Extraktivismus wäre so ein Gegenstand. Warum? Zunächst einen Schritt zurück. Umreißen wir erstmal den Gegenstand.

Was ist „grüner“ Extraktivismus?

Seitdem die Klimakatastrophe stärker ins politische Bewusstsein gerückt ist, wird, von Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen angeregt, über einen Übergang von umweltzerstörerischen hin zu nachhaltigen Ökonomien diskutiert. Nicht alle Regierungen und Konzerne zeigen sich in dieser Sache ansprechbar. Jene, die sich als woke präsentieren, propagieren den Übergang und erklären die Umstellung der Wirtschaftsweise, speziell im Energiesektor, in Richtung einer grundlegenden Abkehr von fossilen Energieträgern (Öl, Kohle, etc.) und somit eines niedrigeren Umsatzes von Kohlenstoff (Stichwort: Dekarbonisierung) als Kernstück der nachhaltigen Klimapolitik. Das Motto der Post-Karbon-Lobby lautet: Eine Wirtschaftsweise, die, wie die die Tech-Industrie, den Karbon-Kapitalismus hinter sich lässt, kann als „grün“ und „nachhaltig“ eingestuft werden und gilt daher als förderungswürdig. Entsprechend hat die Tech-Industrie – als Aushängeschild des grünenKapitalismus einen klimaneutralen Ruf. Rohstoff-Extraktivismus, der in diesem Kontext betrieben wird, etwa von so genannten „Seltenerdmetallen“, wirkt wie ‚befreit‘ von allem, was diese räuberische Praxis in Verruf gebracht hat. Greenwashing macht‘s möglich.

Zugespitzt formuliert, ließe sich sagen: Angesichts der Klimakatastrophe, mit ihren erratischen Ausbrüchen und ihrer slow violence, konnte das Overton-Fenster geöffnet und unter dem Vorwand einer nachhaltigen Klimapolitik das Feld für schier unbegrenzte Akkumulation erweitert werden. Das Banner des „Grünen“ schwenkend, möchten Konzerne und Staaten praktisch ungestört und unreguliert Profite erwirtschaften können (Guillaume Pitron, 2020). Und sie dürfen, denn: Post-Karbon-Extraktivismus gilt als „grünerExtraktivismus.

Wie ist das Archiv des „grünen“ Extraktivismus beschaffen?

Der Post-Karbon-Kapitalismus – mit dem „grünen“ Extraktivismus als Vorzeigemodell und Katalysator – ist, wie auch der Karbon-Kapitalismus, immer noch eine Wachstumswirtschaft, die die natürliche Umwelt zerstört, die Arbeiter*innen entfremdet und den Reichtum ungerecht verteilt. Wer unter diesen Bedingungen ungestört und unreguliert Profite erwirtschaften möchte, muss das Archiv des „grünen“ Extraktivismus für die demokratische Kontrolle unzugänglich machen und vom Zugriff zivilgesellschaftlicher watch dogs, Gewerkschaften oder ‚lokaler Gemeinschaften‘ abkoppeln. Anders gesagt: Das Archiv des „grünen“ Extraktivismus, das Verträge, Haushaltsbücher, Gerichtsbeschlüsse, Messdaten, Studien, Gutachten, kritische Literatur und vieles mehr bündelt, muss geschlossen bleiben oder wenigstens so unzuverlässig, partiell und folgenlos informieren, dass die Bereicherung der herrschenden Klasse weitgehend reibungslos vonstatten gehen kann. Was bedeutet es, ein solches Archiv zu befragen? Differenzieren wir zunächst weiter den Gegenstand.

Dass der Zugang zum Archiv des „grünen“ Extraktivismus verbaut ist, kann als Grundbedingung für Fehlentwicklungen gelten, beispielsweise schier unbegrenzte Bereicherung und Wirtschaftskriminalität. Derweil können die Profiteure die Erzählung vom „grünen“ Übergang aufrecht erhalten. All dies torpediert jedoch den Übergang in eine wahrhaft nachhaltige Welt, welche für viele Grasswurzelbewegungen, die diesen Übergang unterstützen, auch eine gerechte Welt werden soll (Magdalena Taube und Krystian Woznicki, 2022) – eine Welt, in der Umweltzerstörung jeglicher Art abgeschafft worden ist, weil deren Ursachen erkannt und erfolgreich bekämpft werden konnten: kapitalistische und proto-kapitalistische Systeme, die auf resourcenverschlingendem Extraktivismus, energieverschwendendem Profitzwang und exzessivem Streben nach endlosem Wachstum beruhen.

In dieser besseren Welt hat das Archiv des „grünen“ Extraktivismus das Wissen über diese Ursachen der Klimakatastrophe gespeichert und ist öffentlich zugänglich. Wir könnten das Archiv also aus der imaginierten Zukunft mit Blick auf unsere Gegenwart befragen – insbesondere nach (unterdrückten und ausgeblendeten) Klassenkämpfen. Denn: Wenn die großen, dringend notwendigen Veränderungen für die herrschende Klasse vor allem einen Kampf um die Sicherung von Klassenverhältnissen und damit verbundenen Privilegien einerseits und die Verteidigung bzw. den Ausbau von Bereicherungsoptionen andererseits darstellen, nach außen hin aber als gemeinsames und gemeinnütziges Projekt im Zeichen der „grünen“ Energiewende verkauft werden, haben wir es dann gegenwärtig nicht mit einer Spielart eines eigentlich altbekannten ökonomischen Umbruchs zu tun? – frei nach dem Motto: während Kapitalist*innen untereinander um Vormachtstellungen kämpfen, findet eine Umverteilung von unten nach oben statt. Wenn das so ist, sollten wir dann nicht darum bemüht sein, das aus der möglichen Zukunft perspektivierte Befragen der gegenwärtigen Klassenkämpfe um eine zusätzliche Blickachse aus der Vergangenheit (Katarina Kušić, 2022) zu ergänzen?

Grüner“ Imperialismus

Um die Blickachse aus der Vergangenheit zu justieren, kann exemplarisch für den globalen Süden (und den globalen Osten) en gros der Fall Lateinamerikas herangezogen werden. Die weitgehend uneingestandenen, unentschuldigten und unkompensierten Auswirkungen der europäischen Besiedlung, des Imperialismus und der Sklaverei hat über Jahrhunderte hinweg nicht nur den Weg für die wirtschaftliche Ausbeutung und die politische Vorherrschaft der Europäer*innen und später der Vereinigten Staaten in der Region geebnet (Eduardo Galeano, 1971). Sie haben auch den Boden für den aktuellen Neokolonialismus und Neoimperialismus schier unersättlich Energieverbrauchender Staaten und Konzerne geschaffen.

Wenn Kritiker*innen des Neokolonialismus und Neoimperialismus vor dem „grünen“ Extraktivismus warnen, so verweisen sie unter anderem darauf, dass die steigende Nachfrage nach „grünen“ Technologien den Bedarf an den so genannten „Seltenerdmetallen“ erhöht. Das seltenste stabile Element der Seltenerdmetalle ist zwar immer noch häufiger vorhanden als Gold oder Platin. Aber sie sind selten insofern größere Lagerstätten von wirtschaftlich ausbeutbaren Mineralien dieser Kategorie tatsächlich rar sind. Da sie aber an und für sich praktisch überall verfügbar sind, hat dazu geführt, dass die unter Hochdruck betriebene Suche nach größeren Lagerstätten global stattfindet (Julie M. Klinger, 2018) und potentiell jeden Ort auf dem Planeten (und darüber hinaus) zu einem möglichen Schauplatz eines Rohstoffkriegs macht.

Als würden Imperialist*innen nicht schon seit viel zu langer Zeit die Erde zu einem Schlachtfeld degradieren und auf diese Weise die slow violence der Klimakatastrophe immer weiter schüren, hat der durch die Post-Karbon-Lobby entfachte Hype um „grünen“ Extraktivismus das Eskalationspotential nochmals gesteigert. Von den negativen Folgen dieses Hypes, auch wenn er global ist, sind gegenwärtig und wohl auch langfristig nicht alle Regionen gleichermaßen betroffen. Der Bedarf an Lithium etwa – bekanntlich ein wichtiger Bestandteil von Energiespeichertechnologien – übersteigt schon heute das derzeitige Angebot und die Produktionskapazitäten von Orten, an denen es nachweislich in großen Mengen in der Erdkruste gelagert ist. Ein unkontrollierter Lithium-Boom hat eingesetzt, der in Südamerika beispielsweise das sogenannte „Lithium-Dreieck“ im Norden Chiles, im Süden Boliviens und im Nordosten Argentiniens (Thea N. Riofrancos, 2021) und in Osteuropa verschiedene Regionen in Serbien (Aleksandar Matković, 2022) aber auch in der Ukraine (Naumenko Uliana und Svitlana Vasylenko, 2022) betrifft.

Hier tritt deutlich ein neuer, durch transnationale Konzerne und Staaten forcierter, grüner Imperialismus zu Tage, der nicht zuletzt daran erinnert: die Dekarbonisierungsmaßnahmen arbeiten der Ungleichheit zwischen dem globalen Norden und Süden bzw. zwischen dem Westen und Osten nicht entgegen. Meistens ist das Gegenteil der Fall. Dies stellt wiederum exemplarisch die Tragfähigkeit, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit des „grünen“ Übergangs in Frage. Es drängt sich auf zu fragen: Auf wessen Kosten soll der Übergang stattfinden? Und: Muss das Archiv des „grünen“ Extraktivismus vielleicht deshalb unzugänglich bleiben und Befragungen des Archivs demotiviert werden, weil verhindert werden soll, dass sich die Gegner*innen räuberischer Wirtschaftspraktiken sowie die Transitionsverlier*innen in spe auflehnen und organisieren?

Transparenz – Mittel oder Zweck?

Die Forderung nach Transparenz scheint eine logische Konsequenz. Wenn das Archiv geschlossen und unzugänglich ist, gilt es nach der Öffnung und der öffentlichen Zugänglichkeit des Archivs zu streben. Dass dies eine lohnende Sache ist, scheint auch der internationale Transparenzdiskurs im Rohstoffsektor zu bestätigen: Regierungen, die ihrer Rechenschaftspflicht nicht nachkommen, sozioökonomische Ungerechtigkeiten und durch Rohstoffunternehmen verursachte Umweltschäden konnten aufgedeckt werden. Doch es gibt ernstzunehmende Einwände.

Der Diskurs und die Praxis der Transparenz sind in Staaten des globalen Nordens, darunter Kanada, die USA und Großbritannien, durch Industrie-Interessen vereinnahmt worden (Anna Zalik und Isaac ‚Asume‘ Osuoka, 2020). Das gilt exemplarisch für die Öl- und Bergbauindustrie, strukturell aber auch für die Lithium-Industrie. Infolge der diskursiven Vereinnahmung werden Transparenzregelungen auf die „Gaststaaten“ angewendet – im globalen Süden im Ölsektor etwa auf Nigeria und im Lithiumsektor etwa auf Chile. Dies flankiert beispielsweise die Extractive Industries Transparency Initiative, eine internationale Initiative unter Beteiligung zahlreicher Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen und Staaten, die sich speziell der Transparenz der Einnahmen von Entwicklungsländern aus dem Abbau von Rohstoffen widmet. Derweil werden die profitsüchtigen Praktiken, die mit diesen Regelungen aufgedeckt werden sollen, nur selten mit dem Fehlverhalten von Unternehmen im Norden in Verbindung gebracht.

Angesichts dessen lassen sich die Einwände auf unsere Problemstellung hin zuspitzen: Das Befragen des Archivs des („grünen“) Extraktivismus hat die Transparenz zum Zweck erhoben, statt es als Mittel zu begreifen, um die (geo-)politischen, sozialen, menschlichen und letztlich auch ökologischen Kosten der Rohstoffgewinnung zum Politikum zu machen. Unter dem Strich ließe sich sagen, dass der Transparenzdiskurs und die damit verbundenen Regulierungssysteme dazu beigetragen haben, dass die Aufmerksamkeit auf falsche Fragen gelenkt worden ist. Fragen nämlich, die sich nur für Verfehlungen der Gaststaaten interessieren, also den Regelbrüchen an den Orten des Extraktivismus, nicht aber auch dafür, wer, wo auch immer, davon profitiert und wer die Kosten der verursachten Schäden, kurzfristig und langfristig, zu tragen hat.

Somit zeigt sich: so wichtig Transparenz als Zustand ist, die Praxis der Transparenz ist kein Selbstläufer. Diese Erkenntnis wirft uns auf uns selbst zurück – auf die Individuen und Kollektive (wie auch immer definiert), die das Archiv des „grünen“ Extraktivismus befragen. Und stellt uns somit vor die Herausforderung, die Lehren, die wir aus der jüngeren Geschichte des Whistleblowing und der Daten-Leaks gezogen haben, ernst zu nehmen und produktiv zu machen. Erstens, auf die Transparenzbewegung von unten folgt eine Transparenzbewegung von oben. Das ist die Dialektik gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Konkret hat das bislang beispielsweise so ausgesehen, dass staatliche und privatwirtschaftliche Institutionen, deren Macht sich immer auch über deren Black Box-Charakter konstituiert, angefangen haben, Transparenz-Washing zu betreiben – oder, wie eben ausgeführt, den Diskurs zu vereinnahmen und die Aufmerksamkeit auf falsche Fragen zu lenken. Zweitens, kommt es gar nicht so sehr darauf an, wie viele Dokumente an die Öffentlichkeit kommen, wie umfangreich das Archiv ist und wie ungefiltert und ungehindert der Zugang dazu ist. Vielmehr kommt es darauf an, dass wir verstehen, worin die Kompromittierung bzw. Limitierung des Archivs besteht und was wir letztlich mit dem, was bereits zugänglich ist, anstellen.

Um ein Beispiel aus der Tech-Industrie zu geben, das ein benachbartes Problem betrifft: Als die ersten geleakten Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden im Sommer 2013 durch Zeitungen zugänglich gemacht worden sind, war da eigentlich nicht schon alles Notwendige offengelegt worden, um den verbrecherischen Charakter der Zusammenarbeit zwischen der NSA und Telekommunikations- sowie IT-Konzernen und die kompromittierenden Folgen für digitale Infrastrukturen zu begreifen? Oder brauchten wir immer mehr, immer geheimere Dokumente? Der medial geschürte Hunger nach mehr Enthüllungen, neuen Dokumenten und nach einem vollumfänglichen Zugang zum Archiv stand und steht im krassen Widerspruch zu der kaum ausgeprägten Bereitschaft, diese Dokumente auch tatsächlich zu lesen sowie zu der deutlich unterentwickelten Fähigkeit, aus dem bereits erfolgten und potentiell erweiterbaren Wissenszuwachs gesellschaftspolitische Schlagkraft zu entwickeln.

Das heißt, eine gesellschaftliche, kollektive und kooperative Praxis, verfügbares Archivmaterial, wie auch immer beschränkt, in ein Gemeingut zu verwandeln und als solches zu kultivieren (Magdalena Taube und Krystian Woznicki, 2017), als Basis für neue Fragen, Erzählungen und Bewegungen – das fehlt. Insbesondere dahingehend, um subpolitische Anliegen rund um digitale Infrastrukturen mit Klima- und Umweltgerechtigkeitsanliegen zusammenzubringen (Elmar Altvater, 2014) und zu einem basisdemokratischen, transnationalen, dekolonialen und klassenkämpferischen Großprojekt zu machen. Ein Charakteristikum dieses Mangels? Nun, nennen wir es gesellschaftliche Trägheit.

In Bewegung bleiben

Gesellschaftliche Trägheit, so liegt es nahe zu vermuten, hängt mit der cultureofinstant answers zusammen. Aber wie? Die Frage danach im Kontext des „grünen“ Extraktivismus zu stellen, dürfte ein zentrales Politikum unserer Zeit sein.

Versuchen wir es einmal so: Ist der Kampf um die Seltenerdmetalle, die für unsere „smarte“ Welt maßgeblich sind (ob für die Miniaturisierung der Elektronik, „grüne“ Energie- und Medizintechnik, Telekommunikations- und Verteidigungssysteme, Elektroautos oder für die Cloud-Infrastruktur, Künstliche Intelligenz und das Internet en gros) – ist dieser Kampf um die Seltenerdmetalle ein Kampf um die Vormachtstellung im grünen Kapitalismus und somit, ganz entscheidend, immer auch ein Kampf um die gesellschaftspolitische Wahrnehmung der laufenden Klimakatastrophe, erfährt dieser Kampf ein Echo in der culture of instant answers insofern er immer auch ein algorithmisch-unterstützter Klassenkampf von oben um unser Bewusstsein – als User*innen digitaler Technologien und des Internet im Speziellen, also immer auch: als Nutzer*innen des Archivs – und somit, last but not least, ein Kampf darum ist, wie wir miteinander, mit der Welt und den Schieflagen umgehen? Ist dieser Kampf um das kollektive Bewusstsein nicht darauf ausgerichtet, uns mit schnellen Antworten abzuspeisen und davon abzuhalten, die vorherrschende Wirtschaftsweise unnachgiebig und illusionslos in Frage zu stellen? Und ist dieser Kampf nicht zuletzt ein Kampf um die Kontrolle der Zukunft, dessen Spektakel – etwa der Showdown zwischen Karbon- und Post-Karbon-Kapitalist*innen – auf nichts anderes abzielt, als die Hegemonie des Kapitalismus auszubauen und auf unbestimmte Zeit zu verlängern?

Eines scheint gewiss: Das Archiv des „grünen“ Extraktivismus zu befragen bedeutet nicht nur Zugänge zu Wissen freizulegen, juristischem Wissen etwa, das helfen kann, Verbrechen aufzudecken und das auf diese Weise ein Ausgangspunkt für das Starkmachen von wahrhaften Alternativen sein kann – in diesem Fall vor allem alternativen Wirtschafts- und Lebensweisen. Es geht dabei auch darum, einen Resonanzraum für gemeinsames Denken und Reflektieren zu schaffen, in dem die Fragen und das damit verbundene gesellschaftliche Gespräch lebendig bleiben und über die Beschränkungen der Gegenwart hinausweisen, selbst dann, beziehungsweise, insbesondere dann, wenn, wie heutzutage, die Machtverhältnisse so drückend erscheinen, dass es unmöglich scheint, Auswege zu finden. Schließlich: So ausweglos die Gegenwart auch wirken mag, die Machtverhältnisse, die diesen Eindruck vermitteln, sind nicht totalitär. Es gibt Bruchstellen und Fluchtwege – Konstellationen, die Utopien und Bewegungen befördern (Avery F. Gordon, 2017), die, sofern sie eine kritische Masse erreichen und Vehemenz entfalten, die vorherrschende Wirtschaftsweise von den Füßen auf den Kopf stellen können, sprich: dort Grundlagen für die politische und ökonomische Teilhabe aller schaffen, wo diese Teilhabe nur „Auserwählten“ vorbehalten sein soll.

Anm.d.Red.: Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Berliner Gazette-Projekt „After Extractivism“ und dem HKW-Projekt „The Whole Life. An Archive Project“.

Ein Kommentar zu “Tektonik des Fragens: Kämpfe um das kollektive Bewusstsein im Archiv des „grünen“ Extraktivismus

  1. Danke für diesen Text! Auch wenn ich dem roten Faden ehrlich gesagt nicht ganz folgen konnte (Archiv…?), fand ich vor allem die erste Hälfte sehr eindrücklich und treffend. RSS direkt abonniert.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.