Spielen im semantischen Kompost

In meinem Wohnort Augsburg werben antifaschistische Gruppen mit Aufklebern. Darauf steht >Nazis stoppen – mit allen Mitteln< oder >Solange es Antisemitismus gibt, braucht Israel Waffen<. Mit allen Mitteln? Wie? Und solange es Antifaschisten gibt brauchen Faschisten Waffen? Nein, das kann so nicht gemeint sein. Vielmehr wird etwas vorausgesetzt, naemlich die Unterscheidung zwischen Antifaschisten und Faschisten, zwischen Guten und Boesen. Jedes Mittel und alle Gewalt ist gut und legitim, solange sie gegen Faschisten oder Antisemiten gerichtet ist. Das klingt richtig und einfach.

Und einfach ist es, solange Faschisten, Antisemiten und Rassisten zu erkennen sind oder sich gar zu erkennen geben. Problematisch allerdings wird das, wenn Faschisten nicht einfach von Nicht-Faschisten zu unterscheiden sind. Dann ist nicht mehr auszuschliessen, dass sich >alle Mittel< auch mal gegen die Falschen richten und dafuer dann die >Boesen< ungeschoren davonkommen. Nein. Wenn es unter dem riesigen semantischen Kompost einer beispielhaften Begriffsinflation ueberhaupt noch etwas zu finden gibt, das passend mit dem Wort >Faschismus< beschrieben werden kann, dann muss dieser Einfachheit etwas anderes als Einfachheit entgegengestellt werden.

Glatzen oder Springstiefel sind letztendlich Spuren einer tueckischeren und fluechtigeren Logik des Faschismus, naemlich einer Logik eindeutiger und dabei harter Unterscheidungen wie Wir/Die oder Befehlen/Gehorchen. Dagegen hilft nicht nur ein einfaches Dagegen, nicht nur eine andere unirritierbare Unterscheidung, sondern besser Moeglichkeiten des Ausprobierens und Spielens. Faschismus will ein Sinnmonopol sein, und dem kann man die Offenheit von Sinn entgegenhalten. Eine Handlungsanweisung kann all das nicht sein, hoechstens eine Kommunikationsanweisung.

8 Kommentare zu “Spielen im semantischen Kompost

  1. Also vielen Dank. Das sind anregende Gedanken.
    Darf ich fragen: Wessen Sinnoffenheit hält man dem Sinnmonopol des Faschismus entgegen?

  2. ich freue mich, wenn du fragst. “wessen sinnoffenheit”? ich würde sagen “die sinnoffenheit”. soll heißen: sinn als ganz allgemeine kategorie all dessen, was wir so denken und sagen können, lässt ja immer auch anderes zu und eben nicht nur sture schwarz-weiß-bilder. immer kann man auch auf etwas drittes ausweichen und von da aus sehen, was passiert.

    praktischer: hier in meinem blog hab ich ein bild zu dem text, das, glaube ich, ganz gut zeigt, was ich meine. nämlich eine irgendwie indirektere kritik am faschismus oder anderen an-aus-ideologien, eben ein verspielterer blick.

  3. Aber das Problem ist doch, dass Faschisten und Neonazis meist extrem platt vorgehen. Kommt man gegen deren Sinnangebote (zum Beispiel auch im Netz) denn mit spielerischer Auseinandersetzung an? Ich heiße überstürzte Gewalt nicht gut und kann meist auch nichts Gutes an den Aktionen der Antifa finden. Aber immerhin kriegen die den Mund auf. Oder?

  4. antifaschisten kriegen den mund auf. das stimmt und ist wichtig, weil sie das problem so sichtbar machen. langfristiger aber hoffe ich, dass gerade das “extrem platte vorgehen” der faschisten ihre schwäche sein wird. zu idealistisch?

  5. Nee, zu idealistisch ist das nicht. Aber die Plattheit der Faschos wird vermutlich nie ihre große Schwäche sein (Die Plattheit der BILD funktioniert ja auch prächtig). Und die Leute, die nicht platt in der Birne sind, die wissen das ja auch alles und die sind ja dann auch nicht rechts oder nazis oder was auch immer. Aber ich frage mich ob man gegen Paralen mit Gegenparolen ankommt, auch wenn sie auf einem anderen intellektuellen Level stattfinden. Ich weiß es nicht.

  6. hab gerade zufällig etwas passendes bei jacques ranciére gelesen:

    »der kritische künstler, der wie brecht zeigen will, dass der nazismus die ausdrucksform kapitalistischer interessen ist, weiß, dass seine beweisführung eine doppelte sein muss. dem prozess, der die zuschauer “in kenntnis setzt”, muss der gegensätzliche prozess folgen, der die zuschauer vom ersten distanziert. er muss ihnen fremd erscheinen, damit ihnen die lage der dinge fremd erscheint.«

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