­Warum die Snowden Dokumente in eine öffentliche Bibliothek gehören. Ein Positionspapier.

Snowdens Enthüllungen haben eine weltweite Debatte ausgelöst. Doch wie kann ein verantwortungsvoller Umgang mit den Dokumenten aussehen? Wie können sie aufbewahrt werden, damit sie allgemein zugänglich sind und langfristig erhalten bleiben? Wie werden die enthüllten Dokumente zum Staatsarchiv? Die Berliner Gazette-Redakteurin Sabrina Apitz präsentiert ein Positionspapier, das einen kollaborativen Ansatz für den Transfer der Snowden-Dokumente in die öffentliche Bibliothek vorstellt.

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Problemstellung

Die Snowden-Dokumente haben eine globale Bedrohung demokratischer Freiheiten aufgedeckt und weltweit öffentliche Diskussionen ausgelöst. Daher hat die Öffentlichkeit das Recht, sich mit diesen Dokumenten auseinanderzusetzen, und auch eine gewisse Verpflichtung dazu, damit sie zur Verteidigung der Demokratie beitragen kann.

Schließlich sind die Verbreitung, das Verständnis und die Mobilisierung dieses Wissens eine Vorbedingung demokratischer Teilhabe. Aber können wir die geleakten Snowden-Dokumente tatsächlich schon als Commons, also Gemeingüter ansehen?

Damit die Snowden-Dokumente Commons werden können, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein:

1. Sie müssen für alle Mitglieder einer Gesellschaft zugänglich sein.

2. Sie müssen sich in kollektiver Trägerschaft befinden, wie das Wissen auf Wikipedia und Commons-basierten Plattformen.

Zu 1: Obwohl der veröffentlichte Teil der Leaks online zur Verfügung gestellt wird, sind die Dokumente nicht umfassend zugänglich, weil sie über verschiedene Plattformen in der ganzen Welt verstreut sind. Außerdem haben sie bislang, vielleicht wegen ihrer Komplexität, keine besonders große öffentliche Aufmerksamkeit erfahren.

Zu 2: Erst dann, wenn die Dokumente für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich, sind Communities darum herum bilden und zusammenarbeiten, werden die Snowden-Dokumente wirklich Commons sein. Das bedeutet, dass nicht nur die Zugänglichkeit der Dokumente erhöht werden muss, sondern auch Interpretationen erarbeitet sowie Schnittstellen und Plattformen entwickelt werden müssen, die den Diskurs in der breiten Bevölkerung, und nicht nur unter Spezialisten oder Experten anstoßen.

Lösungsansätze

1. Snowden Files in öffentliche Bibliotheken!

1.1 Öffentliche Institutionen wie Bibliotheken sollten die Snowden Files hosten und so ihre politische Aufgabe als Demokratieforen erfüllen. Die Bibliotheken und ihre Mitarbeiter, Bibliothekare und Informationsprofis, können die allgemeine Zugänglichkeit der Dokumente sicher stellen, sich für die Öffentlichkeit engagieren und ihre Fähigkeiten und Talente zur Verfügung stellen um dies zu ermöglichen.

1.2 In einer ersten Phase sollten öffentliche Bibliotheken als demokratische Foren für Akteure wie Journalisten, Akademiker und (Netz)aktivisten fungieren. Diese Akteure können wichtige Informationen für ein breiteres Publikum aufbereiten und so die Basis dafür schaffen, dass diese zu Commons werden. Sie sind, so könnte man sagen, in der Lage das Fundament für die „Snowden Commons“ zu legen.

2. Die veröffentlichten Dokumente sollten in Bibliotheken aufgenommen werden, und der Öffentlichkeit analog und digital zugänglich gemacht werden!

2.1 digital
Erstellung von Mirror-Seiten folgender bereits existierender Projekte: Snowden Digital Surveillance Archive, Snowden Document Search und The Tally Update.

2.2 analog/digital
Aufbau und Pflege eines Katalogs/Indices von Forschungsliteratur, die die Snowden Files untersucht oder auf ihrer Veröffentlichung basiert.

2.3 analog
– Zusammenführung aller veröffentlichten Dokumente in einem Buch
– Zusammenführung aller Artikel über die Snowden-Dokumente (soweit sie sich auf die bereits von Medienhäusern veröffentlichten Dokumente beziehen) in einem Buch
– Erstellung von Mirror Sites des Portable Snowden Surveillance Archive

3. Für die Transformation der Dokumente in Commons ist die Zusammenarbeit vieler verschiedener Akteure notwendig!

3.1 Partner aus dem Feld der Bibliotheken sollten mit Akteuren anderer Bereiche des Informationsmanagements (Journalismus, Wissenschaft und (Netz-)Aktivisten) zusammen arbeiten, denn jeder einzelne dieser Akteure wäre mit dieser riesigen Aufgabe überfordert. Nur die Bündelung verschiedener Kompetenzen kann die notwendigen Synergien schaffen. (Im Anhang unten findet sich ein beispielhaftes Kollaborationsszenario für “Aktvisten und Bibliothekare”.)

3.2. Die Zusammenarbeit vieler verschiedener Akteure kann die Communities hervorbringen, die aus den Snowden Files Commons machen.

Anhang

zu 3.1. Welche Potentiale bringen unterschiedliche Akteursgruppen mit, und was brauchen sie von den anderen, um gemeinsam aus den Snowden Dokumenten so etwas wie Commons zu machen? Exemplarisch sei hier ein Szenario skizziert, wie Aktivisten und Bibliothekare zusammen arbeiten könnten.

Aktivisten könnten künstlerische Strategien anwenden, z. B. die verschlüsselten und daher unzugänglichen Dokumente so gestalten und inszenieren (in Ausstellungen, Lesungen etc.), dass sie eine “kulturelle Übersetzung” erfahren und in ihrer Bedeutung für demokratische Gesellschaften verständlicher und greifbarer werden. Veranstaltungsformate wie Storytelling oder andere künstlerische Interventionen könnten dazu beitragen, ein breites Publikum auf einer emotionalen Ebene anzusprechen und zugleich das Interesse der Medien zu wecken.

Der Beitrag von Bibliothekaren und Bibliotheken könnte darin bestehen, eine technische Infrastruktur, Erschließungsverfahren sowie einen Ort für die Zusammenarbeit der Aktivisten untereinander und mit anderen Akteursgruppen zur Verfügung zu stellen. Vorhandene digitale Plattformen könnten Bibliotheken auch zum Hosting der Snowden-Dokumente nutzen, und sie verfügen über qualifiziertes Personal für deren Archivierung und Erschließung. Außerdem sind Bibliotheken öffentliche und zugleich sichere Räume der Begegnung, der Forschung und der Diskussion. Sie bieten einen Rahmen für die Bildung von Communities und können dazu beitragen, die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft zu stärken.

Als Zentren nachbarschaftlicher Communities können sie lokale Erfahrungen zu übergreifenden historischen Entwicklungen in Beziehung setzen. Um jedoch noch besser mit anderen Akteuren kooperieren zu können, bräuchten sie (vor allem die Öffentlichen Bibliotheken) mehr technische Unterstützung, unbeschränkteren Zugang zu externen Akteuren und ihrer Expertise; sowie bessere Ressourcen, weniger enge organisatorische Rahmenbedingungen, und mehr Freiheit bei der Gestaltung ihrer Sammlungen und ihres Veranstaltungsprogramms.

Anmerkungen zur rechtlichen Dimension

Wenn in diesem Positionspapier von „geleakten Dokumenten“ die Rede ist, sind (wie bei den genannten archivalischen Projekten) ausschließlich die „geleakten Dokumente“ gemeint, „die bereits von Medienhäusern veröffentlicht worden sind.“ Während der rechtliche Status der Snowden-Dokumente nach wie vor umstritten ist, ist es wichtig festzuhalten, dass die bereits von Medienhäusern veröffentlichten Dokumente als öffentlich zugängliche Quellen gelten.

Als solche sind sie durch die Pressefreiheit verfassungsmäßig geschützt, in Deutschland durch Art. 5, Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), das auch die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung sowie die Informationsfreiheit regelt. Daher konzentriert sich unser Projekt auf die Snowden Files, die inzwischen öffentlich zugängliche Quellen sind. Die praktischen Leitlinien, die wir in diesem Projekt für Aktivisten, Forscher und Journalisten erkunden bergen also kein Risiko rechtlicher Konsequenzen.

Zitat aus Art. 5, Abs. 1 des Grundgesetz: “Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.”

Erfahrungen aus einem Pilotprojekt

Andrew Clement berichtete in der Berliner Gazette über die Erfahrungen mit den Snowden Dokumenten. Er ist Professor an der Fakultät für Informationswissenschaft der Universität von Toronto und Initiator des “Snowden Digital Surveillance Archive”.

Hier ein Auszug:

„Die Bibliothek meiner eigenen Universität hat mich kontaktiert und gefragt, ob und wie sie die Snowden-Dokumente (und die dazugehörigen Zeitungsberichte) archivieren könnte. Und wir arbeiten jetzt daran, einen vollständigen “Mirror” des Snowden Digital Surveillance Archive für die Universitätsbibliothek anzulegen. Solche Mirror-Webseiten zu bauen, ist in vielerlei Hinsicht wünschenswert. Man verbessert die Zugänglichkeit des Materials.

Aber auch die technische Stabilität. Darüber hinaus ermöglicht es lokalen Nutzern (sagen wir Studenten) mit dem Archiv zu arbeiten ohne dabei die eigenen Suchanfrage-Daten den Überwachern offenzulegen. Natürlich setzt man damit aber ein wichtiges Zeichen: Solidarität mit den Idealen von Open Access zu kontroversen Materialien.

Wir haben Gespräche mit anderen Universitäten aufgenommen über die Möglichkeit solche Mirror-Webseiten anzulegen. Doch der Prozess geht nur schleppend bis gar nicht voran, weil die Dokumente in den Augen vieler so etwas wie “Diebesgut” darstellen. Insofern stellt sich der Besitz dieser Dokumente (zumindest in Kanada) als Gesetzesbruch dar.

Obwohl die Gefahr tatsächlicher Strafverfolgung sehr gering ist, stellen sich die juristischen Vertreter einiger Universitäten deswegen quer. Es scheint angebrachter direkt zu den Bibliotheken zu gehen. Sie haben die technischen Voraussetzungen und (verglichen mit Uni-Verwaltungen) das richtige Mindset, um akademische Freiheiten rund um umstrittene Bestände zu bewahren.“

Weiterführende Links

* Snowden Files For All?, eine Initiative der Berliner Gazette.

* From the “Snowden Files” to the “Snowden Commons”: The Library as a Civic Hub., SLOW POLITICS. Berliner Gazette Conference 2014. Results: Projects & Documents.

* Inside Snowden’s Suitcase., ein Seminar an der Cambridge University.

Anm. d. Red.: Das Positionspapier wurde von der Berliner Gazette Redaktion entwickelt sowie mit TeilnehmerInnen des Workshops “Sowden Files For All” bei der Konferenz UN|COMMONS, die im Oktober 2015 in Berlin stattfand. Eine englischsprachige Version des Positionspapiers ist verfügbar. Wir setzen die Arbeit an diesem Thema bei einer Reihe von Talks fort, die die Berliner Gazette im Rahmen der transmediale 2016 kuratiert. Das Foto von Andrew Clement wurde von Norman Posselt im Berliner Gazette Redaktionsbüro aufgenommen. Die anderen Fotos stammen von Leo Hidalgo. Alle Bilder stehen unter einer Creative Commons Lizenz (CC BY-NC 2.0).

Ein Kommentar zu “­Warum die Snowden Dokumente in eine öffentliche Bibliothek gehören. Ein Positionspapier.

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