Signale aus NYC

Wer Gemeinsamkeit herstellen will, muss Differenz erfahren haben. Nur aus dem Bewusstsein von trennenden Unterschieden entsteht der Wunsch nach Gemeinsamkeit. Ich bereite gerade eine Anthologie mit literarischen Texten vor: Signale aus der Bleecker Street3. Dort wird junge Literatur aus New York versammelt, teils auf Deutsch, teils in amerikanischem Englisch. Die Zusammenstellung und Kommentierung dieser heterogenen Texte hat bei mir einen Rueckblick auf Erfahrungen mit Differenzen und Gemeinsamkeiten ausgeloest.

Wir werden seit dem 11. September 2001 von einer Rhetorik des Gemeinsamen ueberschuettet und mit dem gemeinsamen westlichen Erbe konfrontiert. Wie fragwuerdig diese Homogenisierung ist und wie tief greifend die Unterschiede im Denken und Weltbild sind, wird an der Basis offensichtlich. Bei mir im Unterricht mit meinen Studenten. Gemeinsamkeit entsteht nicht durch ihre rhetorische Beschwoerung in Reden von Politikern und Feuilletonartikeln, sondern nur, wenn Unterschiede nicht verschleiert oder bagatellisiert werden und als Ausgangspunkt fuer eine Suche dienen. Nur eine aktive Auseinandersetzung mit dem Trennenden, die sich zum Ziel setzt, das Gemeinsame zu schaffen, geht ueber die rhetorische Oberflaeche hinaus und vermeidet erheuchelte Uebereinstimmungen. Es gehoert zu meinen Erfahrungen, dass es wenige Bereiche des Lebens gibt, in denen so gern Illusionen genaehrt werden wie im Glauben an das Gemeinsame. Es ist schwer, mit dem Bewusstsein von trennenden Unterschieden zu leben.

Ich war etwa 30 Jahre alt und hatte einige Jahre an einer deutschen Universitaet gearbeitet, als mir unerwartet die Einladung ins Haus flatterte, ein Jahr an einer US-amerikanischen Universitaet zu unterrichten. Nach einigem Zoegern nahm ich das Angebot an und fand mich bald an einer Universitaet im Westen der USA wieder. Voller Entdeckerfreude bemerkte ich Unterschiede: ich hatte noch nie die geschlossene Anlage eines Campus gesehen, das Klima war mild, und so lagerten laessig gekleidete Studenten in Gruppen auf dem Rasen zwischen den Gebaeuden. Alles um mich herum wirkte entspannter, lockerer als bei uns, das Gesellige war bedeutender, das Verhaeltnis zwischen Studenten und Professoren weniger autoritaer, und in Gespraechen zeigten Studenten ein groesseres Selbstbewusstsein. All das war offensichtlich.

Aber ich spuerte bald, dass diese Unterschiede an der Oberflaeche lagen und es subtilere Unterschiede gab, die tiefer reichten. Sie waren schwer zu erkennen, und ich ahnte, dass ich wie durch eine Zerrbrille das wahrnahm, was ich kannte und sich das Andere, Nicht-Bekannte meiner Wahrnehmung entzog. Auch Gespraeche, die ueber Banalitaeten wie Wetter oder Partys hinausgingen aber das rein Professionelle vermieden, waren schwer. Es gab niemanden, der die Erfahrungen meiner Generation teilte, und so fehlte die gemeinsame Sprache, die es leicht macht, am Vertrauten anzuknuepfen und ein Wort auszusprechen, das beim Adressaten Identisches ausloest. Am Ende des Jahres wusste ich, dass ich die Touristenperspektive noch immer nicht ganz verloren hatte und im Fremden noch immer das Vertraute sah. Neugier war geweckt, und bei meiner Rueckkehr wusste ich, dass ich die Suche nach dieser Erfahrung des Anderen nicht abbrechen wollte. So suchte ich nach einer Position, die es erlaubte, meine berufliche Arbeit fortzusetzen und zugleich die persoenliche Erfahrung der Differenz zu machen.

Ich hatte Glueck mit Bewerbungen, und es schlossen sich 16 Jahre an einer Universitaet in Sydney und danach 13 Jahre an einer Universitaet in New York an. In beiden Laendern wird Englisch gesprochen, aber viel weiter reichen die Gemeinsamkeiten nicht. In einer Hinsicht war meine Lage an beiden Universitaeten jedoch vergleichbar. Meine Themen: Deutsche Literatur und Geistesgeschichte waren marginal und hatten, besonders in Australien, einen Hauch des Exotischen, etwa wie Sinologie in Deutschland, bevor China sich anschickte, zur Weltmacht zu werden. Australische Studenten wussten nicht viel ueber Deutschland, fuer die meisten gehoerte es irgendwie zum Osten, ein Nachbar von Russland eher als von Frankreich.

Was tun, um ihnen, deren Neugier auf Deutschland nicht uebermaessig gross war, selbst wenn sie sich fuer Germanistik einschrieben, ein attraktives Programm anzubieten? Gemeinsam mit australischen Kollegen auch anderer Faecher entwickelten wir das Programm einer kontrastiven Kulturgeschichte. Anknuepfend an eigenen Erfahrungen der Studenten und ihren Kenntnissen englischer und australischer Literatur, versuchten wir, ihre Neugier auf das Andere einer irgendwie verwandten aber doch fremden geistigen Welt zu wecken. Die Reaktion war oft unglaeubiges Staunen, das jedoch leicht in Neugier ueberging.

1993 ging ich nach New York, wo die Unterschiede zu Deutschland weniger spuerbar waren. Diese Stadt hat, trotz Arroganz und Solipsismus, enge Bindungen zu Europa, in erster Linie zu Paris, aber auch zu Deutschland. Deutsche Immigranten haben seit dem 19. Jahrhundert deutliche Spuren hinterlassen, die gelegentlich die Unterschiede ueberdecken. Dennoch: die Differenzen sind tief greifend.

In New York bin ich viele Jahre fuer das Programm eines kleinen Kulturinstituts verantwortlich gewesen. Schon die Kombination von Deutsch und Englisch im Namen ist symptomatisch fuer das spannungsreiche Verhaeltnis von Trennendem und Gemeinsamem: Deutsches Haus at New York University. Dem Programm des Hauses setzte ich das Ziel, ein Ort des Austausches, der Begegnung und des Ideentransfers zu sein. Das spezifisch Deutsche im Denken und in der Kultur der Gegenwart und juengeren Vergangenheit sollte im Kontext einer amerikanischen Universitaet repraesentiert werden. Zugleich war es ein Ziel, die Einbahnstrasse zu vermeiden und fuer Gegenverkehr zu sorgen, also die deutschen Gaeste mit dem Amerikanischen in Beruehrung zu bringen.

Nichts ist dazu so geeignet wie Literatur und Kunst: Gespraeche ueber das Ausgedachte, die Bilder im Kopf, ihre Hoffungen, Aengste und heimlichen Begehren, die moeglichen Welten, das Imaginierte und Phantasierte. Zum Programm des Hauses gehoerte daher ein Literaturprogramm mit Stipendiaten aus deutschsprachigen Laendern, regelmaessigen Lesungen und Begegnungen mit amerikanischen Autoren. Zu den Hoehepunkten dieses Programms gehoeren seit 1999 Lesungen im Mai, unter Baeumen und dem meist blauen Himmel im Innenhof des Hauses. Aus Texten solcher Lesungen entsteht der oben erwaehnte Sammelband. Gewiss: fuer das Herstellen von Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Kulturen leistet dieser kleine Band nur einen winzigen Beitrag. Aber meine Erfahrung lehrt: nur mit kleinen Schritten, mit Ausdauer und auf der Ebene konkreter Handlungen lassen sich Gemeinsamkeiten, die Bestand haben sollen, herstellen.

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