Schwindende Beruehrungspunkte

Ich pendle zwischen Mexiko Stadt und Los Angeles hin und her. Wenn ich in Mexiko Stadt bin, dann lebe ich in einer sehr zentralen und belebten Nachbarschaft, in der ich auch aufgewachsen bin. In diesem Viertel findet man alles, was man zum Leben braucht, weshalb ich meistens zu Fuss oder mit dem Rad unterwegs bin. Manchmal benutze ich auch oeffentliche Verkehrsmittel, wenn ich weiter weg muss. Mein Leben in dieser Stadt ist ziemlich gesellig. In Los Angeles hingegen, lebe ich recht isoliert in einem Haus da ich, um mich fortzubewegen, vollkommen abhaengig vom Auto bin. Zum Glueck habe ich ein Studio, das nicht weit von meinem Haus entfernt ist. Wenn ich in Los Angeles bin, dann verbringe ich die meiste Zeit damit, zusammen mit meiner Frau im Garten herumzuhaengen oder im Studio zu arbeiten. Ich gehe dort nicht sehr viel aus.

Wenn man Jiddisch als einen Teil der deutschen Sprache betrachtet, dann habe ich schon seit meiner Geburt eine enge Verbindung mit dem Deutschen. Meine Grosseltern muetterlicherseits waren litauische Immigranten in Mexiko und Jiddisch war ihre Muttersprache. Sie sprachen untereinander Jiddisch, manchmal auch mit meiner Mutter oder mit mir. Trotz allem habe ich nie daran gedacht, Deutsch oder gar Jiddisch wirklich zu erlernen. Ich habe das juedische Ghetto in Mexiko Stadt irgendwie immer gemieden und Jiddisch oft als eine Moeglichkeit fuer Leute gesehen, sich nicht anpassen zu muessen. Deshalb wollte ich selbst nie Jiddisch lernen. Wenn meine Grossmutter oder manchmal auch meine Mutter etwas auf Jiddisch zu mir sagten, habe ich immer auf Spanisch geantwortet.

Als Kind hatte ich einen Nachbarn namens Franz. Er ging auf eine deutsche Schule, die ganz in der Naehe unserer Wohnung war. Wir wurden schnell gute Freunde, weil wir Hunde mochten – wir hatten beide Cocker Spaniel. Wir teilten noch eine zweite Leidenschaft, den Fussball. Manchmal spielten wir im Park zusammen oder Franz nahm mich mit zu seiner Schule. Dort kickten wir mit seinen Kumpels oder hingen einfach nur zusammen ab. Die Mutter von Franz war Mexikanerin und sein Vater Deutscher. Aber Franz und seine Schwester lebten bei der Mutter. Ich glaube, der Vater hatte die Familie einfach sitzen gelassen. Uebrigens fand meine Grossmutter es nie gut, dass ich deutsche Freunde hatte. Aber ich hab nie was darauf gegeben.

Heute ist es sehr schwierig fuer mich, die Praesenz der Deutschen in Mexiko auszumachen. Ich glaube vor allem deshalb, da sich die betreffenden Gruppen sehr oft vom Rest der Gesellschaft abkapseln und ihre Kultur nicht in der Oeffentlichkeit zeigen. Zum Beispiel gibt es in der Naehe von Mexiko Stadt einem kleinen Urlaubsort, eine Gated Community, in der es ausschliesslich Deutsche leben. Sie heisst Valle de Bravo. Die Eltern meiner Frau haben dort ein Haus. In der Stadt gibt es einen See, auf dem ich einmal mit meiner Frau segeln war. Sie zeigte auf ein ganzes Gebiet und meinte, dass das alles der deutsch-mexikanischen Gemeinde gehoere. Ich selbst bin jedoch niemals im Innern dieser Communty gewesen und kenne auch niemanden von dort.

Eine weitere Enklave des Deutschen beziehungsweise Jiddischen ist die >Ashkenazi Jewish Community<. Sie ist groesstenteils angepasst aber zugleich eine sehr geschlossene Gemeinde, die unter sich bleibt, ebenso wie die libanesische oder deutsche Gemeinde. Obwohl das Jiddische hier fast vollkommen verloren gegangen ist, gibt es eine sehr spezifische Art in einer Mischung aus Ashkenazi und Mexikanisch zu sprechen. Dieser Slang ist stark vom Jiddischen beeinflusst und enthaelt erfundene Woerter auf Spanisch und Jiddisch. Zum Beispiel gibt es das Wort >fastear< [fuer >fast< anstatt >ayunar<] oder auch das Wort >menchear< [anstelle von >hacer buenas acciones<, >gute Dinge tun<]. Kommunikation und vor allem Fehlkommunikation beziehungsweise soziale Missverstaendnisse sind ein wichtiger Teil meiner Arbeit als Kuenstler und Professor, jedoch nicht nur die deutsche Sprache betreffend. In Mexiko Stadt ist es ueblich, die Dinge nicht direkt auszusprechen. Ein gutes Beispiel dafuer ist die allgemeine Unfaehigkeit der Leute >Nein< oder >Ich weiss nicht< zu sagen. Die meisten wuerden eher luegen anstatt einfach zu sagen, dass sie >keine Ahnung< haben. Das beste Beispiel dafuer ist, wenn du jemanden auf der Strasse nach der Richtung fragst und der oder diejenige es einfach nicht weiss. Anstatt die Unwissenheit zuzugeben wird dir die Person lieber eine ausfuehrliche Wegbeschreibung geben, die natuerlich vollkommen ausgedacht ist. Eines meiner Werke, das mehr im Zusammenhang mit der Globalisierung der deutschen Kultur steht, ist aus dem Jahr 2005. Fuer diese Arbeit habe ich mit einer Gruppe von Mexikanern zusammengearbeitet, die besessen sind vom Dritten Reich. Das Werk heisst >Bocanegra< und ist eine Videoinstallation auf fuenf Kanaelen. In der Installation sieht man die Gruppe in Original-Naziuniformen, wie sie durch die Strassen marschieren und wie sie betrunken ueber die nationalsozialistische Ideologie diskutieren. Ab und an streiten sie sich darueber, ob die Azteken die wahren Arier waren oder nicht. Fuer mich handelt diese Arbeit von der euro-nationalistischen Ideologie und davon, wie jene maennlich orientierte autoritaere Ideologie in die ganze Welt exportiert wurde. Da Nationalismus ein wesentliches Merkmal des modernen Mexiko ist, handelt dieses Werk auch von bestimmten Erscheinungen in der mexikanischen Gesellschaft. Wenn man von diesen Aspekten der mexikanischen Gesellschaft spricht, impliziert man automatisch die Globalisierung der deutschen Kultur. >Bocanegra< handelt also unter anderem davon, dass es weitaus mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen den gegenwaertigen Staaten und der Nazi-Ideologie gibt.

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