Schicht fuer Schicht

Seit 2001 leite ich die Abteilung >Istanbul< des seit 1829 bestehenden Deutschen Archaeologischen Instituts, das seinen Hauptsitz in Berlin hat. Von meiner Ausbildung her bin ich Architekt und Bauforscher und habe mich wissenschaftlich vor allem mit historischer Architektur der hellenistischen und roemisch-kaiserzeitlichen Epochen beschaeftigt. Bis zu meinem Wechsel nach Istanbul habe ich an der Architekturfakultaet der Brandenburgischen Technischen Universitaet in Cottbus allgemeine Baugeschichte gelehrt - was kann man sich Interessanteres vorstellen, als in einer Stadt wie Byzanz-Konstantinopel-Istanbul zu leben und zu forschen, die hervorragende Bauwerke aus fast allen Phasen ihrer Existenz in grosser Zahl zu bieten hat. Das Forschungsfeld des Instituts reicht freilich weit ueber Istanbul hinaus und umfasst Gesamtanatolien sowie den europaeischen Teil der Tuerkei.

Als die Abteilung >Istanbul< des Deutschen Archaeologischen Instituts 1929 als dritte Auslandsabteilung dieser traditionsreichen Forschungsinstitution gegruendet wurde - wir feiern in diesem Jahr unser 75-jaehriges Bestehen - geschah dies mit Genehmigung der jungen tuerkischen Republik. Und zwar unter der Bedingung, dass die Arbeit des Instituts in enger Kooperation mit den tuerkischen Wissenschaftseinrichtungen durchzufuehren sei, und mit dem Auftrag, dass alle historischen Epochen der Tuerkei von der Fruehzeit bis zum Osmanischen Reich Beruecksichtigung finden sollten. Dieses Konzept hat sich ausserordentlich bewaehrt und ist noch heute uneingeschraenkt tragfaehig. Ich wuerde dies als ueber viele Jahrzehnte erfolgreich praktizierten Kulturaustausch bezeichnen. In unzaehligen Faellen haben sich ausfreundschaftlichen Kontakten mit den tuerkischen Kollegen gemeinsame Forschungsprojekte mit ergebnisreichen und bedeutenden Publikationen im Rahmen der Zeitschriften, Reihenwerke und Monographien des Instituts entwickelt. Vor allem in der Foerderung des tuerkischen Archaeologennachwuchses sehen wir dabei ein wichtiges Ziel unserer Taetigkeit. Nicht zuletzt besteht dies etwa in der Bereitstellung unserer archaeologischen Fachbibliothek, der groessten des Landes, oder auch unserer grossen Photothek fuer die Studenten und Kollegen aus Istanbul und weit darueber hinaus. Die guten Beziehungen werden durch Forschungsaufenthalte in Istanbul und die Vergabe von Forschungsstipendien an der Institutszentrale in Berlin oder auch durch die Wahl tuerkischer Kolleginnen und Kollegen zu Mitgliedern des Instituts weiter gefoerdert. Dieser Kulturaustausch ist vor allem deshalb moeglich, weil die Methoden und Standards der Altertumsforschung laengst allgemeingueltig geworden sind. Tuerkische und deutsche Forscher koennen mit gleichen Instrumenten und derselben Zielrichtung arbeiten: naemlich einer umfassenden Erkundung des kulturellen Erbes der Tuerkei beziehungsweise der Menschheit ueberhaupt. Und gerade fuer die Fruehzeit unserer Geschichte hat die Tuerkei Unendliches zu bieten. Wenn ueberhaupt, bestehen hoechstens bei Fragestellungen im Detail oder den Schwerpunkten wissenschaftlicher Taetigkeit geringfuegige Unterschiede. Zurueck zu Istanbul, dem Sitz unserer Abteilung, das die Vielfalt der Moeglichkeiten historischer Forschung exemplarisch verdeutlichen kann. Mit seinem Ursprung in archaischer Zeit hat die Stadt viele Gruendungsvaeter: Den mythischen Byzas, einen Griechen aus Megara, Kaiser Konstantin, der im 4. Jh. n. Chr. das Zentrum des Roemischen Reiches von Rom nach Byzans verlegte, das jetzt Konstantinopel genannt wurde, und schliesslich Sultan Mehmet, der 1453 die Stadt eroberte und sie als Istanbul zur Hauptstadt des Osmanischen Reiches machte. Einen Rang, den sie nach der Republikgruendung durch Atatuerk erst 1923 an Ankara verloren hat - nicht ohne nach wie vor als heimliche Hauptstadt, allemal im kulturellen Bereich, gesehen zu werden. Aus vorbyzantinischer Zeit gibt es in Istanbul leider aeusserst wenig Baureste. Nur das aus dem 3. Jh. n. Chr. stammende Hippodrom wurde nach stadtroemischem Vorbild Kern des byzantinischen Kaiserpalastes und hat als staedtischer Platz bis heute seine wichtige Funktion erhalten. Darueber hinaus sind nur vereinzelte Grabanlagen aus der aelteren Zeit bekannt geworden. Das byzantinische Erbe dagegen bestimmt noch heute in vielerlei Hinsicht das Bild der Kernstadt, die mit ihren geschaetzten 15 Millionen Einwohnern natuerlich laengst weit ueber die alten Mauern hinausgewachsen ist. In der Altstadt hat sich sowohl das Grundprinzip des urbanistischen Layouts aus byzantinischer Zeit erhalten und auch die Architektur der Monumentalbauten vor allem aus der klassischen Zeit des Osmanischen Reiches unter Sueleyman dem Praechtigen, im 16. Jh. spiegelt in vielen Faellen eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Erbe wider. Konstantinopel-Istanbul ist Hauptstadt zweier Weltreiche gewesen, des byzantinischen und des osmanischen. Und in beiden Epochen hat es Europa wichtige Impulse gegeben sei es in kriegerischer Auseinandersetzung oder ebenso in friedlichem Austausch. Als Kulturhauptstadt Europas wuerde ich Istanbul zwar nicht bezeichnen, doch koennte ich mir fuer die Zukunft sehr wohl vorstellen, dass die Stadt diesen wechselnd fuer zwoelf Monate verliehenen Ehrentitel im Rahmen der Europaeischen Union eines Tages tatsaechlich zuerkannt bekommt.

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