Schallplatte revisited

Meine Kindheit in den 1960er Jahren war zunaechst von Radio und Schallplatten gepraegt. Das war das uebliche Mediensetting im Haushalt, Fernsehen wurde ab und zu bei Nachbarn geschaut, da diese ein Fernsehgeraet hatten. Erst Ende der 1960er Jahre hatten wir dann ein eigenes. Tonbandgeraet und spaeter der Kassettenrecorder wurden fuer Musikaufnahmen genutzt, an Computer und Internet war ueberhaupt noch nicht zu denken.

Im Laufe der Jahre wuchs dann die Medienausstattung und die Beschaeftigung mit der Medienentwicklung wurde bei mir zum Beruf. Heute beschaeftige ich mich als Medienwissenschaftler mit Fragen der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen. Wobei mich seit Jahren die Hoermedien besonders interessieren.

Natuerlich interessiert mich auch das Internet. Es bietet gerade fuer Jugendliche vielfaeltige Moeglichkeiten, sich in Mediendiskurse einzubringen. Wobei es natuerlich die Jugendlichen nicht gibt und deren Medienhandeln sehr unterschiedlich ist. Im Rahmen von Videoplattformen wie YouTube, von Podcasts oder von Blogs, auf Kommunikationsplattformen wie Twitter usw. lassen sich fuer Jugendliche eigene Positionierungen vornehmen, wobei die Qualitaet sehr unterschiedlich ist. Die vielfaeltigen Optionen liefern aber auch gleichzeitig die Gefahr, dass das kommunikative Experimentieren schnell zum Problem werden kann.

Das ist der Fall, wenn Daten abgegriffen oder missbraucht werden, wenn die Kommunikation kommerzialisiert und vereinnahmt wird oder wenn Informationen >wie in Stein gemeisselt< im virtuellen Netz kaum noch zu loeschen sind, auch wenn man seine Sichtweisen aendert. So erhaelt jugendliches Experimentieren schnell einen Ernstcharakter, der fuer viele jugendliche Nutzer - natuerlich auch fuer erwachsene - kaum in seiner vollen Tragweite eingeschaetzt werden kann. Hier bedarf es zunehmender Orientierungsarbeit, die auch im WWW verortet sein sollte - was in einigen spezifischen Blogs auch schon passiert.

Vielleicht gibt es insgesamt zuviel vom Gleichen und kaum noch Bereiche jugendlicher Existenz, die nicht im Netz verhandelt werden. Es gibt keine Geheimnisse mehr und kaum etwas Neues zu entdecken. Mir fehlen (Phantasie-)raeume, die noch nicht vom Internet belegt sind. Das Netz ist der Igel, der immer schon da ist, und die Jugendlichen erfahren kaum noch das Gefuehl von Einzigartigkeit, hoechstens in extremen Medienrepraesentationen.

Auch frueher gab es immer schon welche, die etwas schon gemacht hatten, aber man war eher selten damit konfrontiert. Jugendliche Subkulturen konnten sich entwickeln ohne in kuerzester Zeit kulturell und kommerziell vereinnahmt zu werden. Heute laeuft das fast schon parallel: Eine jugendliche Subkultur entwickelt sich und die Trendforscher machen diese gleich kommerzialisier- und vermarktbar. So wird individuelle jugendliche Selbstfindung zu einem permanenten Wettlauf mit den durchgestylten Selbstfindungsangeboten der Medien. Das synthetisierte Abbild ist laengst zum Vorbild geworden.

Doch koennen junge Menschen bei der Gestaltung von Medien dennoch eine Rolle spielen? Das Drama ist, dass die Jugendlichen auf der einen Seite permanent die Weiterentwicklung der Medien mitgestalten und sich dadurch auf der anderen Seite ihre Optionsraeume, die eigene Biographie eigenwillig zu gestalten, einschraenken. Der Grad zwischen Avantgarde und Mainstream wird immer schmaler. Das fuehrt dann zu Gegenbewegungen, wie sie sich heute z.B. an der Renaissance der Vinylschallplatte zu zeigen beginnen.

Der digitalen Einheitsstruktur der Bits wird die analoge Vielfalt der Schwingungen entgegengesetzt. So wird das Nicht-Digitale zur Avantgarde und zum Freiraum, waehrend das Digitale den Alltag und den Mainstream bestimmt. Welche Entwicklungen hier noch zu erwarten sind, bleibt offen. Hier scheinen sich allerdings wieder mehr Optionsraeume fuer Eigenwilligkeit jenseits einer durchgestylten synthetisierten Medienkultur zu eroeffnen – und dies nicht nur fuer Jugendliche.

[Die Redaktion der Berliner Gazette fuehrt im Rahmen ihres Seminarangebots eine Umfrage unter Online-Experten durch und laesst diese ueber ihre persoenlichen Erfahrungen mit Medien sprechen.]

[Anm. d. Red. Der Verfasser des Textes ist Professor fuer Medienwissenschaft an der Hochschule der Medien in Stuttgart und leitet dort das Institut fuer angewandte Kindermedienforschung.]

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