Mein Roman des Jahres

Dietmar Daths neuer Roman >Die Abschaffung der Arten< setzt nach dem Ende der Menschheitsgeschichte ein. Eine Revolution hat stattgefunden und eine neue Zivilisation hervorgebracht. Tiere sind an der Macht, verteilt auf drei staatengrosse Staedte.

Sie haben eine Hochkultur errichtet, wie man sie noch nie gesehen hat. Die Sinne kommen auf neue Weise zum Einsatz: Es gibt verschluesselte Duftbotschaften, Eilmeldungen werden direkt in die Handflaechen hinein uebermittelt. Und das Beste: Die Kreaturen koennen ihre Identitaeten und ihre Koerper immer wieder neu erfinden. Immer wieder gibt es Verweise auf unsere Zeit – bis man kurz vor dem Ende des Romans tatsaechlich einen ganzen Passus lang von den nebuloesen Anfaengen der Revolution im Hier und Jetzt zu lesen bekommt.

Dieser Reality Check kommt ploetzlich, aber mit aller kompositorischen Unvermeidbarkeit. Ebenso wie Dath in der Mitte des Buches eine neue Geschichte anzufangen scheint, es aber souveraen schafft, seine Faeden zusammenzuhalten. Angesichts der spielerischen Leichtigkeit, mit welcher der Autor die betraechtlichen raeumlichen und zeitlichen Abstaende seiner Erzaehlung ueberwindet, darf man das schon als grosse Kunst bezeichnen. So abgefahren das alles erscheinen mag, gaenzlich ohne Verbindung zu den Literaturen der Gegenwart ist der Roman nicht: Cyberpunk und die grossen Epen ueber Niedergang und Wiedergeburt der Zivilisation von Schriftstellern wie H.G. Wells. Dath erweitert dieses Genre durch hochaktuelle Themen wie Biotechnik und Biopolitik.

Darwins Evolutionstheorie wird mit den Mitteln des Romans im Zeichen der Musik weitergedacht. Das Werk einer Komponistin, die zu viel Iannis Xenakis gehoert hat, liegt der neuen Weltordnung zu Grunde. Musik als soziale und aesthetische Partitur wohlgemerkt: >Musik kann die Funktion haben, die fundamentalen Strukturen des raumzeitlichen Erlebens explizit zu machen<, wie es an einer Stelle in dem Roman heisst. Muss man etwas von Evolutionstheorie und Neuer Musik verstehen, um diesen Roman zu moegen? Nicht unbedingt – aber vielleicht macht er Lust darauf. Und man koennte auch fragen: Waere weniger nicht mehr gewesen? Aber darauf gibt es eigentlich nur eine Antwort: Weniger ist einfach nicht Dietmar Daths Stil. Meine Top of the Pops 2008

Album:

Hurricane, Grace Jones
Vampire Weekend, Vampire Weekend
808s & Heartbreak, Kanye West
Made in the dark, Hot Chip
An Optimist Notes the Dusk, David Grubbs

Ausstellung:

Tornado, General Public
Political/Minimal, Kunst Werke
Fressen oder Fliegen, HAU 1-3
Review, Galerie Neu
Die Welt des Tourismus, Kunsthalle Schirn

Bildband:

Revolving Architecture, Chad Randl
State of Emergency, Noh Suntag
Waters in Between, Lukas Felzmann
Mappa, Alighiero Boetti
Iron Fists, Steven Heller

Blog:

Yutaka Yano
Brian Holmes
Mercedes Bunz
Martin Hufner
Geert Lovink

Film:

Lake Tahoe, Fernando Eimbcke
The Dark Knight, Christopher Nolan
Burn After Reading, Coen Brothers
There Will Be Blood, Paul Thomas Anderson
Tropic Thunder, Ben Stiller

Konzert:

Ives#1, Maria
Neujahrskonzert [Christian von Borries], Sophiensaele
Hot Chip, Postbahnhof
FSK, Volksbuehne
One Trick Pony, FEINKOST

Podium:

Thomas Meinecke/Richter, HAU2
Jan Philipp Reemtsma, Literaturhaus
Alain Badiou, Humbold Universitaet
Humberto Maturana, HKW
Hans Ulrich Obrist/Christoph Schlingensief, HAU 2

Prosa:

Die Abschaffung der Arten, Dietmar Dath
Ich werde hier sein…, Christian Kracht
Signale aus der Bleeker Street III, Bernd Huppauf (Hg.)
Klage, Rainald Goetz
Fuer immer in Honig, Dietmar Dath (Neuauflage)

Retrospektive:

Luis Bunuel, Berlinale
Yasuzo Masumura, Arsenal
Groupe Dziga Vertov, Arsenal
Richard Serra Filme, KW
Clint Eastwood, Arsenal

Single:

Hercules and Love Affair, Blind
TV on the Radio, DLZ
Cool Kids, Mikey Rocks
Tricky, Past Mistake
Madonna, Heartbeat

Theater / Oper:

The best and the worst of us, Simone Aughterlony
Matthaeuspassion, Sebastian Hartmann
Airport Kids, Rimini Protokoll
Speeddating/Speedhating, Johannes Kirsten
Jeanne d’Arc, Christoph Schlingensief

Theorie:

Generation Otaku, Hiroki Azuma
Bios, Roberto Esposito
Eigenblutdoping, Diedrich Diederichsen
Die Annaeherung, Jean-Luc Nancy
Die Politik der Gemeinschaft, Claas Morgenroth (Hg.)

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