Rentner, Kampfhunde und Foucault

Am Donnerstag war ich in Friedrichshain, dem Stadtteil mit den grossen Hunden und dem ersten seniorenfreundlichen Supermarkt. Kampfhunde haben wir bei mir in Neukoelln ebenfalls und wachsame aeltere Mitbuerger sind wichtig. Vorgestern wurde mein Vertrauen in die Mechanismen sozialer Kontrolle jedoch erschuettert. Ich war mit einer Bekannten verabredet, die im hippen, studentischen Teil Friedrichshains wohnt. >Ich will dir dein Fahrrad zurueckgeben, ich gehe zurueck nach Schweden<, hatte sie am Telefon angekuendigt. Das Rad war in Topform, es sah besser aus, als ich es ihr ueberlassen hatte. Keine zehn Minuten nach der Uebergabe passierte das Unglueck. Vor einem Laden versenkte ich den Schluessel des abgeschlossenen Fahrrads in einem Luftschacht. Was tun? Ein fast neues, blaues, abgeschlossenes Herrenrad durch halb Berlin schleifen? Ein Rad, das garantiert nicht so aussah, als gehoerte es einer Frau unter Einssiebzig? Sie werden mich festsetzen, dachte ich. Mindestens drei Rentner werden sich auf mich stuerzen und nachfragen. Ich hatte keine andere Wahl. Es war bereits dunkel und einen Ersatzschluessel hatte ich nicht dabei. Ich beruhigte mich: Betrachte es einfach als Selbstversuch, sagte ich mir und teste einfach mal die Mechanismen sozialer Kontrolle als vermeintliche Fahrraddiebin. Die Hypothese, dass man mir bereits in Friedrichshain Schwierigkeiten machen wuerde, bestaetigte sich nicht. Niemand interessierte sich fuer mich. Spaeter in der U-Bahn in Kreuzberg, wurden ein paar Kids auf mich aufmerksam, aber die fanden das Rad wohl einfach nur uncool. Am Bahnhof Schoenleinstrasse stiegen Kontrolleure ein. Fuer die Frau ohne Fahrschein neben mir ein Problem, fuer mich nicht. In Neukoelln ist die Welt noch in Ordnung, dachte ich mir, da werde ich garantiert in eine Polizeistreife hineinlaufen. Nichts. Der Abend endete dann nicht auf der Polizeiwache, sondern auf dem Sofa mit Foucaults Abhandlung >Ueberwachen und Strafen< ueber die Geburt des Gefaengnisses. Die musste ich beim ersten Lesen voellig falsch verstanden haben.

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