Radikale Visionen? Warum die Zukunftsdebatte mehr Praxistauglichkeit gebrauchen kann

Werden intelligente Maschinen menschliche Arbeit in Zukunft von sinnloser Plackerei befreien? Das ist eine der Ideen, die heute rege diskutiert werden. Analysen der politischen und wirtschaftlichen Misere der Gegenwart mischen sich dabei mit spekulativen Prognosen über die gesellschaftlichen und technologischen Möglichkeiten und Gefahren der Zukunft. Der Übersetzer und Berliner Gazette-Autor Edward Viesel plädiert für mehr Praxistauglichkeit in dieser Debatte.

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Es ist zugegeben nicht die unvoreingenommenste Art, über ein Buch zu sprechen: aber hier hat mich bereits der Titel Klare, lichte Zukunft – Eine radikale Verteidigung des Humanismus gestört. Warum? Dazu möchte ich eine kleine Geschichte erzählen: Im Jahre 1996 hatte ich nach dem Studium einen schlecht bezahlten, befristeten Job als Fremdsprachenassistent in Birmingham in England. Ich wohnte – standesgemäß – im alternativen und linken Szenestadtteil Moseley. Es war die Zeit von die ganze Nacht dauernden Raves; eine stark ökolinks und von prekärer Call-Center-Arbeit geprägte Szene mit Rastahaaren und veganen Restaurants war im Aufkommen. Die Innenstadt Birminghams war für mich schon ein Schock: krasse 1960er-Jahre-Autostadt mit vierspurigen Straßen und Fußgängerüberwegen, dazwischen geisterhaft verlassene rote Ziegelbaufabrikgebäude mit Bauzäunen drumherum, ein paar urige alte Pubs wie kleine exotische, vergessene Inseln dazwischen.

Es war eine verwirrende Zeit, die nicht klarer wurde, als ich den „Centenary Square“ im Herzen der Stadt betrat, der 1991 komplett und edel – neoliberal – neu gestaltet worden war (mit internationalem Konferenzzentrum, privatisierten städtischen Räumen etc.). Dort in der Mitte des Platzes stieß ich auf ein Monstrum (oder war es ein Gespenst, Monsieur Derrida?): Es sah aus wie aus billigstem Gips oder Plastik (es war tatsächlich aus Fiberglas) und hörte auf den Namen „Forward“ („Vorwärts“; man könnte auch sagen „Fortschritt“ oder „(auf in die gute) Zukunft“).

Die linke Faust zum sozialistischen Gruß erhoben zog mir eine Gruppe eigenartiger Norm-Proletarier mit Auto, Blasinstrumenten und einem Bücherstapel entgegen, die Frauen mit tiefem Ausschnitt oder einem Baby auf dem Arm. In einer Ecke der Statue qualmten die hohen Schornsteine niedlicher roter Ziegelbaufabriken. Wenn auf diesem Platz ein Ufo geparkt hätte, aus dem grüne Marsmenschen gestiegen wären, ich hätte nicht mehr gestaunt. Im Jahre 2003 zündeten übrigens drei delinquente Jugendliche die Statue, die die wirtschaftliche Renaissance der Stadt Birmingham in den 1990er-Jahren symbolisieren sollte, an. Sie verwandelte sich laut Augenzeugen „in eine einzige große Rauchwolke“ und brannte vollständig ab. Es gibt nur noch Fotos von ihr.

Industrialisierung und postmoderne Dienstleistungswelt

Was das jetzt mit Masons Buch zu tun hat? Nun, der Titel des Buches ist Programm: es geht um eine Zukunft, die klar und licht ist, also besser als unsere heutige verwirrende und dunkle Gegenwart. In diesem Buch geht es auch um den (marxistischen) Humanismus und um gesellschaftsverändernde linke Politik (im Englischen meint man seit der Französischen Revolution mit „radical“ oft „linksradikal-freiheitliche“ Politik). Aber: So wie die Plastikstatue auf dem „Centenary Square“ grotesk aus der Vergangenheit in das postindustrielle Vor-Brexit-England hineinragte, so wirkt Masons Buch auf mich; es wirkt, als habe er versucht, die Epoche der Industrialisierung in unsere postmoderne Dienstleistungswelt hinein zu „transfektionieren“ (wie der Genetiker sagt, wenn er über das Einbringen von Fremd-DNA in eine Zelle spricht). Das Ergebnis ist zwar nicht gerade Frankensteins Monster, aber doch irgendwie misslungen: Das Buch „lebt“ nicht, es hat mich nicht berührt.

Mason, der Zeit seines Lebens weltweit als hochrangiger Journalist und Akademiker gearbeitet hat, trifft am Anfang seines Buches in Washington D.C. am Abend vor Präsident Trumps Vereidigung einen 72-jährigen Bauern aus Tennessee (in der Liste der zehn ärmsten kontinentalen US-Bundesstaaten übrigens auf Platz 9; die Top Ten – alles „Trump-Staaten“ – besteht fast nur aus im Südosten gelegenen, deindustrialisierten Bundesstaaten). Dieser lehnt die Anti-Trump-Demonstranten ab und unterstellt den jungen Menschen allerlei abstruse Dinge, beispielsweise dass sie sündhaft teure Markenturnschuhe tragen, obwohl das offensichtlich nicht der Fall ist. Er glaubt auch, dass die Klimawandeldiskussion nur ein Trick ist, um ihm für seine Kühe eine dicke Klimasteuer aufzubrummen. Mason reflektiert diesen Menschen als Sinnbild der Trump-Anhänger und der „alternativen Rechten“ schlechthin: ein Mensch, dessen stärkstes Gefühl der Hass ist, ein „von Selbstmitleid erfüllter Rassist“, ein Mensch, der seine „Fähigkeit zum logischen Denken verloren“ hat und der „alle Ungerechtigkeiten und Widrigkeiten“ seines Lebens auf eine „Bedrohung durch Schwarze, Homosexuelle und befreite Frauen“ projiziert.

Techno-Optimismus nach Marx?

„Progressive Kommentatoren“, so Mason, würden ja raten, diese Menschen zu verstehen, also zu verstehen, dass sie sich wirtschaftlich abgehängt und vom Wandel überfordert fühlten und ein „enttäuschendes Leben“ führten. Mason dagegen bevorzugt eine „harschere Form des Verständnisses, beruhend auf Vernunft, Logik und Wissenschaft“. Er will diese Menschen für „Rationalität, Mäßigung und die Normen des demokratischen Verhaltens“ begeistern. Wenn diese Menschen dagegen nicht für eine „auf Tatsachen beruhende Politik, [das] wissenschaftliche Denken und [für ein] auf Regeln […] beruhende[s] globale[s] System“ zu begeistern sind, dann müssten „wir“ eben Widerstand gegen sie leisten.

Nachdem er am Beispiel der alternativen Rechten in den USA ein äußerst pessimistisches Tableau der zeitgenössischen Gesellschaften gezeichnet hat, analysiert Mason den Marxismus aus dem Blickwinkel der Marxschen „Pariser Manuskripte“ (1844), die vor allem über die Entfremdung des Menschen sprechen (für den „marxistischen Humanismus“ sind das Basistexte). Masons Analyse ist aber wenig erhellend. Es ist schwer nachvollziehbar, wie er heute noch unkritisch vortragen kann, Marx hätte ja erkannt, dass vor allem mit „noch besserer Technologie“ das Geld und die Arbeit (als Erscheinungen der Entfremdung) in Zukunft abgeschafft werden könnten und dass die Zivilisationsschübe vom mesopotamischen Altertum bis zum Manchesterkapitalismus „der einzige Weg zur Überwindung der menschlichen Selbstentfremdung“ seien.

Ein solcher Optimismus passt schon gar nicht zu Masons Beschreibung von Trumps Amerika (das derzeit technisch am weitesten entwickelte Land) als einer Welt aus Autobahn-Pornokinos und dumpfer, primitiver Rassisten und Frauenfeinde mit Schnellfeuergewehren. Auf welche Weise sollte die Technologie, also Computer, das Internet und „smarte“ Roboter diese Menschen befreien? Mit noch mehr Apps, Onlineforen und „intelligenten persönlichen Assistenten“ (vulgo „Alexa“; ich finde es übrigens interessant, dass er/sie/es von Amazon einen Frauennamen verpasst bekommen hat)?

Paradiesische Maschinen-Zukunft

Laut Mason ist eine solche Befreiung per Technik möglich (allerdings – leider wenig überraschend – nur in der „Zukunft“). Falls wir mit kollektivem Willen und Kampfkraft die Herrschaft über die Maschinen („künstliche Intelligenz“, Computer, Roboter) zurückgewinnen würden, würden wir, so Mason, gemeinsam in eine Art paradiesische Zukunft marschieren, in der fast die gesamte Arbeit von den immer „intelligenter“ werdenden Maschinen gemacht würde. Ist das realistisch?

Bereits 1967 hatte der Pariser „Situationist“ Guy Debord, der mit führenden humanistischen Marxisten befreundet war, zur Frage des Überflusses an Waren und über die diesen Überfluss ermöglichende technische Rationalisierung und „Kybernetik“, wie man damals „künstliche Intelligenz“ nannte, geschrieben: „Diese unaufhörliche Entfaltung der wirtschaftlichen Macht […] führ[t] kumulativ zu einem Überfluss, in dem die Grundfrage des Überlebens zweifelsohne gelöst wird, aber so dass sie immer wiederkehren muss; sie wird jedesmal wieder auf einer höheren Stufe gestellt.“

Die gesellschaftliche und seelische Armut des Menschen inmitten eines Überflusses an Waren, Dienstleistungen und Informationen ist – für mich überraschend – dann doch eines der gut recherchierten Hauptthemen Masons, dem er den am besten gelungenen Teil II „Das Selbst“ widmet. Er beschreibt die wirtschaftliche Entwicklung des Neoliberalismus über staatliche Schuldenkrisen, Privatisierungswellen und die Kriege der USA hin zu einer dauerkrisengeschüttelten Monopol- und Rentierwirtschaft ohne funktionierende politische Institutionen.

Ichfixierung vs. gemeinsames Handeln

Wie geht es dem individuellen Menschen in dieser Welt? Was fühlt er oder sie dabei? „Die Rückkoppelungssschleifen zwischen erzwungenem Wettbewerbsverhalten, Kreditabhängigkeit [der armen Menschen von Hochzins-Verbraucherkrediten] und kurzfristigem Wohlstand verstärkten den Glauben [des Individuums an die neoliberale Ideologie].“ Der Neoliberalismus funktionierte laut Mason nur (man beachte die Vergangenheitsform), weil „wir unsere Emotionen, Ideale und jeden Rest an Ethik von unserem Leben im Kapitalismus trennten – sie durften die für das Funktionieren des Systems erforderlichen Aktivitäten von Arbeit, Handel und Wettbewerb nicht stören“.

Mason erwähnt in dem Zusammenhang das bekannte britische Theaterstück “Shoppen und Ficken”, das 1996 erschien, und folgert, dass wir durch eine ausschließliche Orientierung an den Werten des Marktes einen Teil unserer Menschlichkeit einbüßen. „Wir werden ichfixiert, und diese Ichfixierung ist nicht auf den von rechten Ökonomen propagierten konsumistischen Lebensstil beschränkt, sondern wirkt sich auch auf einer tiefen psychologischen Ebene aus.“ Die Menschen seien dauernd mit dem „Design“ ihrer Persönlichkeit beschäftigt, wobei sie versuchten, ihre vorgebliche Einzigartigkeit mit Marken und Mitteln der Popkultur zur Schau zu stellen. Ein gemeinsames Handeln, eine gemeinschaftliche Veränderung der Gesellschaft sei da leider nicht mehr möglich.

Was schlägt Mason zur Überwindung dieser Ichfixierung, zu einer Heilung des Individuums und der Gesellschaft, wie man vielleicht sagen könnte, vor? Masons Fazit am Ende seines Buches: Wir müssen die Zukunft wiederherstellen, reflexartige Reaktionen auf die Gefahr entwickeln, den Maschinen nicht die Kontrolle überlassen, uns den Ideen von Xi Jinping widersetzen, uns nie geschlagen geben und das antifaschistische Leben führen (Kapitelüberschriften von Teil V zusammengefasst).

Was bleibt zu tun?

Das klingt für mich seltsam, eher praxisfern. Das ganze Buch hat auch irgendwie keinen roten Faden – bei der Erläuterung von Zusammenhängen ist es oft eher unklar und unnachvollziehbar als „klar und licht“ –, daher ist das Ende auch unzufriedenstellend. Die Pariser Kommune (1871) und der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939) taugen heute einfach nicht mehr als Vorbild. Das neoliberale Zeitalter hat die Menschen atomisiert, vereinzelt – zumindest stark verändert. Der von Mason verehrte George Orwell schrieb übrigens im Januar 1936, bevor er Ende des Jahres als Kämpfer nach Spanien reiste, das Buch The Road to Wigan Pier, eine auch heute noch lesenswerte Vor-Ort-Reportage über rechtsgerichtete Arbeiter, das in seinem Essayteil teilweise so wirkt, als sei es heute geschrieben worden.

Wie wäre es dagegen gewesen, wenn Mason den eingangs erwähnten Bauern gefragt hätte (ich nenne ihn mal Bob)?: „Bob, die Situation bei dir zuhause hört sich ja furchtbar an, deine finanzielle Lage scheint angespannt. Dass du die Demonstranten so beurteilst, kann ich nicht verstehen, denn du kennst sie ja gar nicht; sie tragen auch gar keine Markenturnschuhe. Aber mich würde mal interessieren, warum du so sauer bist. Ich komme mal zu euch aufs Dorf. Ich würde gerne mit dir und deinen Nachbarn reden und mir ein wirklich umfassendes Bild machen. Mich interessieren alle Menschen, und ich möchte eine Gesellschaft, die friedlich ist und in der es allen – auch seelisch – gut geht. Dazu gehörst natürlich auch du.“

Ist das eine Illusion? Vielleicht. Wenn man aber – zurecht – die heutige politische Entwicklung mit Besorgnis betrachtet, ist ein solches Verhalten für mich sinnvoller und realistischer als mein Leben an „Fortschritt“, „Vernunft, Logik und Wissenschaft“, der durch die Informationstechnologie gebotenen „Möglichkeit der Freiheit“ und am „Reflex des utopischen Denkens“ auszurichten.

Anm. d. Red.: Das Buch Klare, lichte Zukunft (übersetzt aus dem Englischen von Stephan Gebauer) ist bei Suhrkamp erschienen. Das Foto oben stammt von Mario Sixtus und steht unter einer CC-Lizenz (CC BY NC SA 3.0).

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