Willkommensbürgertum reloaded: “Ich helfe nicht. Ich mache einfach das, was notwendig ist.”

Im Sommer 2015 standen nicht nur Geflüchtete im Rampenlicht, sondern auch Ehrenamtliche: Sie packten an, als die Situation vorm Lageso unzumutbar wurde, sammelten Kleider und halfen in Notunterkünften. Ist ihre Arbeit politisch? Das Leben von Annika Seibt, Hebamme von Beruf und schon immer politisch aktiv, wurde durch ihr Engagement komplett verändert. Heute setzt sie sich für die Rechte von geflüchteten Frauen ein – gemeinsam mit den Menschen, um die es geht. Ein zweiteiliges Protokoll über ein Leben, in dem alle Prioritäten neu verhandelt werden.

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Es fing an, an einem Nachmittag im Görlitzer Park. Das muss 2012 gewesen sein. Wir saßen gemeinsam beim Grillen und wurden von ein paar Frauen angesprochen, ob wir etwas zu essen übrig hätten. Vom äußeren Erscheinungsbild her haben wir gedacht, dass das Menschen sind, die eine Zeit lang im Park gelebt haben. Dort gab es ein Matratzenlager. Die Frauen, die uns ansprachen, waren romnija. Irgendwann haben sie mich gefragt, was ich arbeite. Zu der Zeit habe ich in einer Bar gearbeitet und in der Staatsbibliothek als Aushilfe. Aber der Beruf, den ich erlernt hatte, war Hebamme.

Daraufhin haben sie gleich eine andere Frau dazugeholt, die hochschwanger war und Probleme hatte mit einer Pilzinfektion. Ein Mittel gegen Pilzinfektion kostet in der Apotheke drei oder vier Euro, das kannst du einfach so bekommen. Das geht auch ganz ohne Geld, aber du musst wissen, dass du das brauchst. So eine Infektion kann zu einer Frühgeburt führen, muss also unbedingt behandelt werden.

Durch diese Frau habe ich Kontakt zu anderen Frauen bekommen. Irgendwann stand ich dann in einer Wohnung in Kreuzberg. Da haben 30 Personen gelebt. Überall Matratzen, Klamotten. Da habe ich dann angefangen kleine Probleme zu behandeln. Und so haben sich Kontakte zu anderen ergeben. Da habe ich auch Sachen zu Gesicht bekommen, die mit Hebammenkunst nicht zu lösen sind. Beispielsweise ein Tumor im Vaginalbereich oder auch Brustkrebs.

Meine Privilegien

Das war für mich auch eine Phase, in der ich mich mit meinen eigenen Privilegien als weiße Frau auseinandergesetzt habe. Warum ist es mit meinem Pass gar kein Problem, in so viele Länder zu reisne, aber mit manchen meiner Freundinnen kann ich nicht mal einen anderen Landkreis innerhalb Deutschlands besuchen.

Damals, das war dann 2013, lernte ich eine Frau aus Äthiopien kennen. Sie war in der 36. bis 38. Schwangerschaftswoche damals. Sie war hochschwanger übers Mittelmeer gereist und in Berlin gelandet. Sie hatte keine Versicherung oder so. Ich bin dann mit ihr gemeinsam ins Lageso gegangen. Und auch damals, dass war vorm so genannten „Flüchtlingsstrom“ 2015, standen dort schon die Massen an. Das war aber noch alles im Gebäude. Die Menschen standen dicht an dicht. Es gab Absperrbänder.

Wir hatten damals eine Wartezeit von knapp über acht Stunden. Ich hatte am Anfang noch zu ihr gesagt: „Nein das kann nicht sein. Als Hochschwangere wirst du nicht so lange anstehen müssen, das ist nicht zulässig. Du bist schon im gesetzlich vorgeschriebenen Mutterschutz. Es gibt bei uns in Deutschland Richtlinien, die den Mutterschutz gewährleisten.“

Ich weiß es nicht besser

Und da habe ich zum ersten Mal erkennen müssen, dass ich mich nicht besser auskenne als jemand, der konkret betroffen ist von der Situation. Und dann sind wir bei dem ersten Termin sogar ohne Ergebnis rausgegangen. Ich glaube wir hatten nicht mal eine Notunterkunft zugewiesen bekommen. Dann mussten wir noch mal hin, dieses Mal nur sechs Stunden warten. Und bei dem Termin wurde dann eine Notunterkunft zugewiesen, eine Sporthalle. 250 Personen, Feldbetten.

Die Frau stand kurz vor Entbindung. Ich konnte das gar nicht glauben. Ich konnte nicht glauben, dass in Deutschland eine schwangere Frau in eine Notunterkunft gesteckt wird. Und dann hatte ich gefragt, was denn sei, wenn sie das Baby bekommt. Ja dann wird hier einfach ein neues Feldbett daneben gestellt. Und ein Schrank? Und wo ist die Badewanne? Oder wo soll sie ihr Kind waschen? Die Toiletten und das Badezimmer. Das war so unbenutzbar. Wir haben uns dann im einen anderen Platz bemüht und das hat zum Glück geklappt. Durch diese Begegnung bin ich mit anderen Engagierten zusammengekommen. Meistens waren das Frauen.

Vor allem, was die medizinische Versorgung angeht, kommt es immer wieder zu extremen Situationen. Die Menschen haben Angst in ein Krankenhaus zu gehen. Wegen ihres prekären Status und auch aus Geldsorgen. Für eine Geburt kann das Krankenhaus eine Rechnung ausstellen, 3000 Euro oder mehr. Die hast du dann als Schulden und wenn dein Mann Gastarbeiter-Status hat, kann er den verlieren.

Aber das Krankenhaus braucht immer eine Andresse. Das ist eine Vorgabe für das System und das muss irgendjemand machen. So ist es schon öfter passiert, dass ich dann gesagt habe: „Egal, ich geb einfach meine Adresse. Egal, ich unterschreibe. Keine Sorge. Wir müssen keine Angst haben.“ Ich bin dann einfach mitgegangen. Auch weil ich wusste, wenn ich nicht mitgegangen wäre, hätte es für das Kind sehr schlecht ausgehen können.

Alle haben Angst

Bei mir war das irgendwie schon seit frühester Kindheit so. Wenn es irgendeine außergewöhnliche Situation gibt, dann erstarrte ich nicht. Ich fange dann an zu handeln. Mir passiert es auch ständig, dass ich in solche Situationen gerate: Irgendwelche Unfälle oder jemand klappt zusammen.

Also ist schnelle Hilfe gefragt. Ich denke mittlerweile gar nicht mehr darüber nach, sondern ich mache einfach. Und genauso ist es in den Fällen gewesen, in denen ich Geflüchteten geholfen habe. Also wenn du in dieser Situation bist, da reicht Nachdenken auch gar nicht.

Aber die Leute, die haben ja oft so viel Angst. Die Geflüchteten haben Angst, die Deutschen haben Angst. Das überträgt sich oft. Bei mir gibt es trotzdem diesen Enthusiasmus. Ich habe mal irgendwann festgestellt: Wenn ich etwas wirklich will, dann schaffe ich es eigentlich.

Wird schon irgendwie gut gehen

Daraus ist meine Herangehensweise geworden: Alles klar. Nicht drüber nachdenken. Machen. Wird schon irgendwie gut gehen. Das ist schon auch meine Einstellung. Das kommt auch von der Hebammenarbeit her: Da kann auch jederzeit etwas passieren. Ich habe ganz viele Lebensbereiche, in denen einfach was schiefgehen kann, in denen eine Situation eben nicht gut ausgeht.

Aber trotzdem ist es wichtig, da zu sein und es ist wichtig mit dem ganzen Herzen da zu sein. Und ganz viel auch auf seine Intuition zu hören und diese Intuition ist auch der Geist der einen irgendwie leitet. Wenn ich nach dieser Maxime handle, dann ist es auch nicht so anstrengend für mich.

Also wenn ich viele Entscheidungen treffen muss und ich treffe die gegen meine eigene Meinung und gegen mein eigenes Weltbild und gegen meine persönliche Einstellung, dann strengt mich meine Arbeit an. Aber wenn ich nach meinen eigenen Prinzipien handeln kann, wenn ich denke: „Okay es ist richtig, dass die Frau ins Krankenhaus geht.“

Also unterschreibe ich. Es würde mich mehr Energie kosten, es nicht zu machen. Die Konsequenzen kriege ich schon getragen.

Die Situation am Lageso

Durch dieses Machen, wurde meine politische Arbeit plötzlich ganz real. Es ging nicht darum, irgendwas zu diskutieren, sondern da anzupacken, wo es nötig war. Ich arbeitete mit Geflüchteten. Wir gingen gemeinsam zu Demos, organisierten uns. Ich war dabei immer mit Menschen zusammen, um die sich der Staat nicht wirklich kümmern wollte.

Nach und nach änderte sich die Situation am Lageso. Der „Flüchtlingsstrom“ wurde konkret sichtbar. Auf einmal waren die ganzen Menschen draußen, sie standen auch vor dem Lageso. Und dann wurden irgendwann Zelte aufgestellt. In den Nachrichten sprach man auf einmal vom Flüchtlingsstrom und auch in Pankow, wo ich lebe, wurden Notunterkünfte eröffnet.

Für mich wurde das im Stadtbild Pankow erst aktuell, als die Notunterkünfte aufgemacht haben. Und dann hat eine Notunterkunft aufgemacht, von meiner Haustür fußläufig, nur fünf Minuten. Und ich dachte: „Okay, ich geh einfach mal vorbei.“ Und dann bin ich in der Wichertstraße vorbeigegangen und am ersten Tag waren alle dort krank.

Wir machten Zitronen- und Ingwertee. Es war irgendwie total schockierend zu sehen, dass es einfach nur eine Turnhalle war, die mit Betten bestückt wird. Dann ein paar Matratzen, Kissen und Decken und eine Cateringfirma wird organisiert und ein paar Sozialarbeiter werden eingestellt und das ist dann das Zuhause bzw. die Auffangsituation für ganz viele Menschen.

Ich habe mich mit dem Betreiber der Notunterkunft von Anfang an total gut verstanden und da ich ja auch an eine pädagogische Ausbildung habe, hat er mich schon direkt am Anfang gefragt, ob ich nicht dort arbeiten möchte.

Die Bezahlung in den Notunterkünften war aber total schlecht und die voraussichtliche Einsatzdauer wurde damals angegeben mit vier Monaten. Damals hatte ich woanders einen unbefristeten Arbeitsvertrag gehabt und eine gute Bezahlung, eine ganze Stufe höher. Mit viel besseren Arbeitsbedingungen.

Am Ende habe ich mich entschieden, in der Notunterkunft einen Mini-Job zu machen. Und mein Leben hat sich dann mal wieder komplett geändert.

Anm. d. Red.: Die Fotos zeigen den Alltag in der Notunterkunft Wichertstraße in Berlin Prenzlauer Berg, sie wurden von Krystian Woznicki gemacht und stehen unter einer Creative-Commons-Lizenz. Das Protokoll basiert auf Fragen, die die Redaktion der Autorin gestellt hat. Lesen Sie kommende Woche im zweiten Teil, wie sich die Situation in der Notunterkunft entwickelt hat und wie sich ein BewohnerInnenrat bildete.

2 Kommentare zu “Willkommensbürgertum reloaded: “Ich helfe nicht. Ich mache einfach das, was notwendig ist.”

  1. Bald, können wir uns dann wieder um unsere kaputten Kinder kümmern, die keinen Sportunterricht zum Abreagieren haben, weil Schwangere aus Äthiopien sich nach Deutschland eingeladen haben und zig sichere Drittstaaten mit krimineller Hilfe gequert haben.

    Die neoliberale Grenzeöffnung geht solange weiter bis uns der Sozialstaat dank nicht nachhaltiger Ströme in die Sozialsysteme um die Ohren fliegt und wir Verhältnisse bei uns wie in den USA haben. Die Entsolidarisierung und der Druck auf den unteren Plätzen der Einkommenspyramide ist ja schon da. Es werden neue Arbeitsplätze geschaffen, für mies bezahlte Notunterkunftspadagogen und Wachleute, die dann Agiprop für noch mehr Einwanderung machen, noch mehr Menschen einladen, noch mehr kulturelle Diversität, noch mehr Kulturdistanz, noch mehr sozial, bis uns der ganze Laden um die Ohren fliegt und die hässlichen Rechten übernehmen.

    Wer sich dann freut ist der Neoliberalismus mit seinem grenzenlosen Kapitalverkehr, seinen Rohstoffkriegen, seinen offenen Grenzen für Waren und Menschen, der den guten Willen und die Menschlichkeit an die Wand klatscht. Hauptsache am Ende geht der Sozialstaat vor die Hunde und das Kapital kann wieder schalten und walten wie es will.

    Die Kräfte hinter Vernichtung und Krieg in Afrika und bei uns sind alles die gleichen. Welche Polemik hat es gegen unsere Grenztruppen aus dem kapitalistischen Westen gegeben. Aber damals war dies Land sicher. Unser Land.

  2. Flüchtling lebt in der Notunterkunft . Jede Person ist möglich, Flüchtlinge zu sein und niemand möchte das sein. sagt:

    Es war total neu für alle ,wenn wir hier angekommen waren “wegen des tödlichen Krieg “.Jetzt wie fangen unsere Leben an .obwohl Wir schmerzhafte Erinnerungen hatten, heilte Ihr Einfühlungsvermögen unser leben. und ich bin sicher die( wirkliche)Flüchtlinge werden nie vergessen ,die Hilfe von euch .
    Meine Familie und ich sind dankbar.
    Ich weiß, dass viele haben Angst von uns.Die Situation wird nicht wie war,aber ich glaube es gibt gute und schlechte Menschen in jedem Land. und es gibt Gruppen sind nur für verbrechen.
    Die politik und Medien die Taktik,die Schwindler und auch die länder……, die wünschen Europe kapput machen ,spielen alle zusammen Große Rolle.
    Schließlich ich möchte euch sagen in meinem sprache,weil wenn meine Ahnen (urgroßeltern ) Gäste (Flüchtlings) geholfen haben ,hat ein von ihr meinen Urgroßvater den selben Satz in seiner Sprache gesagt”
    Möge Gott God Allah Dios Dieu.. euch mit gutem belohnen”.

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