Post-Nationale Staaten

Seit der Gruendung der USA und der Franzoesischen Republik haben politische Analysten immer wieder eine gerechtfertigte und unvermeidbare Tendenz hin zu Institutionen der liberalen Demokratie proklamiert. Der Grundstein dieses Denksystems war die Ueberzeugung, dass Individuen eine maximale Freiheit ermoeglicht werden sollte, ihren Ambitionen nachzugehen und dass Regierungen nur solche Schranken installieren sollten, die die Ergebnisse eben solcher Bemuehungen schuetzen. Allen gesellschaftlichen Prinzipien, die auf diesem Denksystem aufbauen, ist gemeinsam, dass Menschen auf der Grundlage ihrer Leistungen und nicht des Geburtsrechts belohnt werden sollen.

Die heutigen Befuerworter der liberalen Demokratie verkennen jedoch, dass die Institutionen, die in ihrem Namen etabliert wurden, zwei Systeme bedrueckender Ungleichheit verstaerken, die eigentlich mit den Praemissen liberaler Demokratie unvereinbar sein sollten. Das erste ist, dass sehr wenige Individuen ihren Wohnort frei waehlen koennen, genauso wenig wie ihre Staatsbuergerschaft. Und das zweite ist, dass niemand den oekonomischen Status seiner Eltern waehlen kann. Beides, Staatsbuergerschaft und elterlicher Wohlstand beeinflussen heutzutage jedoch entscheidend unsere Chancen auf gute Jobs, Gesundheit, Ausbildung und auf Zugang zu den kulturellen Netzwerken, an denen wir teilnehmen moechten.

Nationalitaet kann mit >Geburt< uebersetzt werden. Wird sie jedoch damit determiniert, entstehen zwei Probleme. Erstens werden willkuerlich Privilegien eingeraeumt und Lasten auferlegt fuer Menschen, die in der Naehe einer Grenze situiert sind: Carlos, der in Tijuana geboren wurde, wird ein Jahreseinkommen von ca. 9000 USD haben, waehrend Charlie, der nur wenige Kilometer weiter auf der anderen Seite der Grenze in San Diego ist, mindestens 36 000 USD erwarten kann. Das zweite Problem, das sich ergibt, wenn man Staatsbuergerschaft von Geburt abhaengig macht, ist, dass der Eindruck einer natuerlichen Bindung unter den Landeseinwohnern entsteht. Meines Erachtens ist das die Quelle von alltaeglicher Diskriminierung und toedlicher Gewalt. Ein anderes Geburtsrecht, das von den Institutionen der liberalen Demokratie nicht hinterfragt wird, ist Wohlstand. Einer Studie zufolge entstammen ca. 70 Prozent des Wohlstands, der in den USA zwischen 1900 und 1974 angehaeuft wurde, nicht aus Lebensverdiensten, sondern aus Inter-Generationstransfers. Legale Instrumente, die Individuen erlauben Besitzrechte noch aus dem Grab heraus zu kontrollieren, ermoeglichen es einigen Wenigen, Zugang zu bekommen zu einer ungehoerigen Menge von unverdientem Wohlstand, waehrend andere, die das Pech hatten, von armen Eltern gezeugt zu werden, sich mit Hungersnot konfrontiert sehen. Was zu tun bleibt, ist die Etablierung neuer Rahmenbedingungen: 1. Staatsbuergerschaft sollte kein Geburtsrecht, sondern frei waehlbar sein. Staatsgrenzen sollten die Bewegung von Guetern und Menschen nicht beschraenken. 2. Nach dem Tod verliert eine Person alle Besitzrechte und ihr Wohlstand wird umverteilt durch zentralisierte Agenturen, die von etwas wie der UN verwaltet werden und die dafuer sorgen, dass Bildung, Gesundheit, sauberes Wasser und andere Grundbeduerfnisse auf der ganzen Welt gerecht verteilt werden. 3. Staaten besitzen Land mit Langzeit- und lebenslangen Pachtvertraegen mit Individuen, Unternehmen, nicht kommerziellen Organisationen usw. 4. Staaten koennen keine Regeln fuer Verwandschaftsverhaeltnisse etablieren. Kindererziehung und andere langfristige inter-personale Beziehungen werden durch individuelle Vertraege etabliert. Von diesen Aenderungen ist zu erwarten, dass sie der extremen Immiseration und Ausbeutung ein Ende bereiten, sowie den ethnischen, nationalen und religiosen Konflikten. Ich glaube, dass Probleme wie korrupte Diktaturen und Terrorismus aus schlechten Gesetzen innerhalb und zwischen den Staaten resultieren. Von Interesse ist daher weniger eine Welt-Regierung, die ethnischen Partikularismus unterdruecken, nicht aber eliminieren koennte. Stattdessen muessen Regierungsinstitutionen innerhalb der bestehenden souveraenen Grenzen dafuer genutzt werden, um zu veraendern, was als Natur des Menschen angenommen wird: ethnische Loyalitaeten, Nationalismus, Militarismus. Diese Inkarnationen von Egoismus und sogar des >Boesen< werden durch provisorische Einrichtungen politischer Strukturen hervorgebracht. Sie sind keine angeborenen Fehler des Menschen.

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