Angriff auf die Bikinizone: Wie die Pornoindustrie versucht unser Leben zu verwalten

Schlanker Körper, lange Beine und lange Haare – aber nur auf dem Kopf! Was als schön und sexy gilt, wird uns von den Medien, TV-Serien und Filmen eingetrichtert. Dieser Einfluss hört auch bei den privaten Genüssen nicht auf: Pornos bestimmen äußere und sexuelle Erwartungen enorm. Germanistin und Journalistin Sarah Emminghaus über veränderte Realitäten in der Pornoindustrie.

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Dass Werbung und Filme die Schönheitsnorm bestimmen, ist klar. Und Pornos? Die meisten Menschen sehen sie sich an und unterwerfen sich fast ebenso dort transportierten Schönheitsidealen – meist sogar unterbewusst.

Medien beeinflussen das vorherrschende Schönheitsideal. So ist es und so wird es wahrscheinlich für immer bleiben. Werbung kann toxisch sein für Frauen und Männer jeden Alters: Die Größe, das Gewicht, die Haar- und sogar Hautfarbe der in Werbung präsenten Menschen sind normsetzend. Viele TV-Serien und Filme ziehen mit: Große, dünne, weiße, heterosexuelle Frauen und muskulöse Männer sind omnipräsent. Das binäre Geschlechterbild wird ebenso konsequent transportiert wie die Tatsache, dass Frauen an Beinen und Achseln bitte haarlos, dafür auf dem Kopf mit einer langen und voluminösen Haarpracht gesegnet sein sollen.

Pornographie und Realität

Praktische Änderungen wie jene des Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksparlaments, das beschlossen hat, dass „die Präsentation von diskriminierender, frauenfeindlicher und sexistischer Außenwerbung auf bezirkseigenen Flächen nicht mehr zulässig ist“, sind selten – allzu oft werden Schönheitsideale zwar kritisiert, aber doch hingenommen und sich angeeignet. Dass dies fatale Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein nicht nur junger Menschen hat, ist selbstredend. Es stellt sich jedoch die Frage, wie es mit Schönheitsidealen jenseits der alltäglichen und öffentlichen Medien aussieht – woher kommen die? Weder in den meisten Serien oder Filmen, noch in Plakat- oder Fernsehwerbung werden nackte Menschen gezeigt; sehr wohl jedoch in Pornofilmen, die im Privaten und meist heimlich konsumiert werden. Haben diese den gleichen Einfluss auf die Wahrnehmung und Bewertung von Schönheit im Alltag oder können Pornonutzer unterscheiden, dass sich die Pornographie nicht auf reale Menschen und realen Sex übertragen lassen sollte?

Laut einer aktuellen Umfrage der Zeitschrift „NEON“ geben 76% der Männer zu, Pornos zu schauen; bei den Frauen sind es 32%. Die gleiche Umfrage ergibt, dass 80% der Frauen zwischen 18 und 35 Jahren ihren Intimbereich teilweise (30%) oder ganz (50%) rasieren oder sich waxen lassen. Außerdem lässt sich mühelos feststellen, dass die beliebtesten Pornos immer noch diejenigen sind, in denen der Intimbereich der Frau aussieht wie der eines Kindes – so, als sei er nie behaart gewesen. Besteht ein Zusammenhang zwischen diesen Tatsachen? Interessanterweise müsste sich der offensichtlich höhere Pornokonsum der Männer auf den Umgang der Frauen mit ihrer Intimbehaarung auswirken, falls Pornos tatsächlich einen derart hohen Einfluss haben.

Mehr Pornos – höhere Toleranzschwelle

Wie hoch der Einfluss von Pornokonsum auf das Gehirn ist, erläutern zwei Studien, die dieses Jahr veröffentlicht wurden. Eine Studie der Cambridge University zeigt signifikante Ähnlichkeiten zwischen den Hirnaktivitäten von Drogenabhängigen und dem von starken Pornokonsumenten. Außerdem wurde bewiesen, dass es für Pornonutzer deutlich schwieriger ist, mit einem Partner zum Orgasmus zu gelangen, das beim Ansehen von Pornofilmen allerdings möglich ist – das Max-Planck-Institut fand heraus, dass Sexpraktiken in Pornofilmen für den Betrachter allerdings häufig von Film zu Film extremer werden müssen, um erfolgreich masturbieren zu können.

Die Toleranzschwelle erhöht sich also immer weiter, was der Grund dafür ist, dass von echten Partnern – wenn auch unbewusst – immer mehr erwartet wird. Noch 1994 bestreitet Werner Faulstich in seinem Buch „Die Kultur der Pornographie“ all diese Vorwürfe, die es auch damals schon gab; zum Beispiel äußerte sich Alice Schwarzer und wollte Pornographie durch einen Gesetzesentwurf deutlich regulieren und einschränken – erfolglos.

Dabei kann angezweifelt werden, dass die Ergebnisse der genannten Studien damals tatsächlich schon hätten festgestellt werden können; durch das Internet hat sich Pornokonsum wesentlich verändert. Gruppensex, extreme Praktiken, hunderte verschiedene Frauen – darauf kann jeder heutzutage innerhalb eines Abends zugreifen und sein Gehirn zunehmend desensibilisieren. Mit Pornoheftchen oder Filmen, die man erstmal ausleihen muss, ist die Art der Stimulation grundlegend anders. „New is always better“ beschreibt die Veränderung des Pornokonsums: Das männliche Hirn sieht in jeder neuen Frau eine weitere Möglichkeit, Gene weiterzugeben und das Internet macht es leicht, dem nachzugeben.

Einfluss auf die Bikinizone

Was aber hat das alles mit dem Trend, sich die Intimbehaarung zu entfernen, zu tun? Pornos beeinflussen. Massiv. Und größtenteils wahrscheinlich sogar unbewusst – schließlich behaupten nur 5% der in der NEON-Studie befragten Männer, Pornos hätten ihre Erwartungen an Sex verändert. 50% der Cambridge-Studienteilnehmer mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren geben jedoch an, sie hätten Schwierigkeiten, beim Sex mit einem Partner eine Erektion zu bekommen.

Eine gegenseitige Sichtweise bietet eine Mitarbeiterin eines Berliner Enthaarungsstudios. Der Großteil der Frauen, die dort behandelt werden, möchten sich die Schamhaare entfernen lassen. Sexualität spiele dabei jedoch eine untergeordnete Rolle; vielmehr gehe es um ein angenehmeres Gefühl, eine zarte Haut. Überhaupt würden die Frauen das vor allem für sich machen, nicht für ihre Partner. Allerdings wird auch eingeräumt, dass das Entfernen aller Schamhaare vor allem bei jungen Frauen verbreitet ist; älteren Frauen sei das „nicht mehr so wichtig“, da würden vor allem die Haare in der Bikinizone entfernt werden.

Warum nicht mehr so wichtig? Hier bestätigt sich die Vermutung, dass es eben doch um Ideale und Attraktivität geht, denn älteren Frauen (und hier wird ein weiteres Klischee bedient) sei Sexualität ja nicht mehr so wichtig.

Pornos sind nicht grundsätzlich schlecht. Überhaupt nicht – unter der Voraussetzung, dass sie bewusst und nicht exzessiv konsumiert werden. Denn auch wenn Pornos privat, heimlich und manchmal mit Scham verbunden angesehen werden, haben sie einen massiven Einfluss auf die Wahrnehmung und Bewertung von Körpern und echtem Sex. Eventuell sogar gerade deswegen, denn es wird weniger darüber gesprochen.

Und wenn Pornos selbst sowie mit ihnen verbundene Themen – Erwartungen, Schambehaarung, Sexpraktiken – weniger tabuisiert wären, könnte ein Dialog eröffnet werden. Dieser könnte dazu führen, dass was auch immer man im Bett und mit seinem Intimbereich machen möchte, dort hinkommt, wo es hingehört: Ins Private. Höchstens mit dem Partner ausdiskutiert, aber nicht, wie schon genug Schönheitsnormen, von Medien bestimmt und gelenkt.

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema in unserem Dossier PORNORAMA.

4 Kommentare zu “Angriff auf die Bikinizone: Wie die Pornoindustrie versucht unser Leben zu verwalten

  1. Ist es nicht eher anders herum? Reagieren die verschiedenen Industrien nicht eher auf bestehende Schönheitsideale. Attraktivitätsmuster, welche sich in den letzten Jahrmillionen herausgebildet haben?

    Wieder einmal Wunschdenken und die Unfähigkeit sich mit der Realität auseinanderzusetzen. Ist die Autorin Soziologin (Feministin gar)? Diese speziellen Disziplinen disqualifiziert ja nun schon länger am laufenden Band…

    Sie können Biologie nicht reformieren, egal wie sehr ihr pervertierter Gerechtigkeitssinn das fordert. Massnahmen wie das Verbieten „sexistischer“ Werbung (Seit wann ist körperliche Anziehung sexistisch? o.O) erinnern eher an die Taliban. Beides hat den selben moralischen aufgeladenen und freiheitsfeindlichen Hintergrund.

  2. @m:

    Es ist gewiss nicht anders herum. Logischerweise setzt die allgegenwärtige Werbung die “Standards” und alle laufen hinterher. Es muss nicht unbedingt, beim Zeitunglesen im Internet, rechts und links ein Busen wippen. Wenn ich das sehen will, gibt es durchaus auch andere Möglichkeiten…

    Die Frage, oder eher die Unterstellung, die Autorin sei Feministin, wozu soll die dienen? Damit würden Sie, selbst wenn Sie gute Argumente hätten, diese diskreditieren. Meinen Sie ernsthaft, Frauen könnten so etwas kaum beurteilen oder keine guten Artikel schreiben?

    Ich finde den Artikel sehr gut und treffend, egal ob Soziologin oder Feministin. Argumente zählen.

  3. es wird zeit, dass man das alles wissenschaftlich untersucht. die pornoindustrie ist eine industrie mit biopolitischem anspruch. sie macht das personalisierte konzentrationslager salonfähig.

  4. Sind eigentlich nur die Männer Ziel biopolitischer Manipulation? Die Frauen nur passive Köder in diesem Machtspiel? Oder folgt diese wissenschaftliche Fragestellung selbst einem Klischee? (Mann aktiv, Frau passiv.)
    Was ist mit den Wahlkriterien von Frauen (die heute ja nicht verkauft oder verheiratet werden, sondern selber wählen können)? Wie werden die manipuliert?
    Was ist das Männerbild in entsprechenden Medienmechanismen?
    Und warum sieht die Genderforschung heute so aus, wie sie aussieht: halbblind?

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