Oh, body! Pornofizierung setzt Normen für Schönheit

Wer bestimmt, was schön und sexy ist? Die medial vermittelten Vorstellungen von Schönheit prägen ein Ideal, nach dem so einige trachten, als hätten sie nichts zu verlieren. Zur Ablichtung in vermeintlich erotische Posen verrenkte Promikörper werden dabei zur Musterware. Berliner Gazette-Autorin Anne Hetke schaut hinter den schönen Schein der Pornodarsteller/-innen, deren Körper Inbegriff einer neuen Ästhetik sein sollen.

 *

Mutmaßliche Luxuskörper springen uns von sämtlichen Bildflächen entgegen. Die Bilder werden uns vor den Kopf geknallt, bis wir sie verinnerlicht haben und beginnen, dem neuen Standard durch Hungern, exzessives Sporttreiben oder Schönheits-OPs gerecht werden zu wollen.

Laut einer aktuellen Studie der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie ist der Anteil der Patienten, die sich einem kosmetischen Eingriff unterzogen, in der Altersgruppe 41 bis 50 auffallend gestiegen – um 4,7 Prozent. Ebenso in der Altersgruppe über 60 entschieden sich deutlich mehr Patienten für eine chirurgische Korrektur. Hier ist ein Anstieg des Patientenanteils um 3,8 Prozent zu verzeichnen.

Der Schönheitswahn kennt keine Altersgrenze mehr

Insbesondere junge Menschen der Unterschicht seien nach Einschätzungen von Psychologen hinsichtlich ihres Körpergefühls verstärkt von pornografischen Bildern beeinflusst, schreibt die Berliner Morgenpost. Diese Bilder mit ihrer Darstellung idealisierter ästhetischer Körper beherrschen zunehmend unser Alltagsleben. Sie untergraben das Selbstwertgefühl vieler Frauen.

Von Individualität kann kaum noch die Rede sein. Wir schwimmen mit dem Strom und gegen die Zeit. Hauptsache die Brüste stehen auch im fortgeschrittenen Alter noch stramm wie zwei Zinnsoldaten.

Laurie Penny auf dem „Fleischmarkt“

Zeitmangel, Stress oder Schwangerschaft sind keine Gründe, dem äußeren Erscheinungsbild weniger Aufmerksamkeit zu widmen. Kümmere dich nach der Entbindung nicht nur um dein Baby, sondern auch um deine Figur! Der Imperativ ersetzt in Sachen Schönheit gern den Konjunktiv, ist bereits der britischen Bloggerin und Journalistin Laurie Penny aufgefallen.

Um dem Schönheitsideal zu entsprechen, nehmen vor allem Frauen vieles auf sich und gefährden damit bisweilen sogar ihre Gesundheit. In ihrem Buch „Fleischmarkt: Weibliche Körper im Kapitalismus“ stellt Penny heraus, dass „die Anzahl der an Essstörungen leidenden Frauen […] weiterhin zu[nimmt]. […] Dazu kommen auch die vielen tausend Frauen mittleren Alters, die jahrzehntelang hungern, weil der Imperativ, ihre wunderbar älter werdenden Körper zu hassen, immer lauter wurde.“

Vom Streben nach Glück

Das irrationale Streben nach Perfektion scheint erfolgversprechend. Wer schön ist, erhält Bestätigung und entwickelt Selbstbewusstsein. Auf dem Arbeitsmarkt haben schöne Menschen nachweislich bessere Chancen.

Bereits 1994 veröffentlichte das American Economic Review eine Studie von Daniel Hamermesh und Jeff Biddle unter dem Titel Beauty and the Labor Market, nach der überdurchschnittlich gut aussehende Menschen in den USA um zehn bis fünfzehn Prozent höhere Löhne erhalten als Menschen mit einem Attraktivitätsgrad unter dem Durchschnitt.

Markus Mobius und Tanya Rosenblat gingen diesen Ergebnissen in einer weiteren Studie – Why Beauty Matter – 2006 auf den Grund. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Arbeitgeber hübschen Menschen bessere Leistungen zutrauen. Die damit verdeutlichten Auswirkungen guten Aussehens auf die eigene Persönlichkeit sind beachtlich.

Mit dem Skalpell zur Porno-Optik

Führen Menschen, die sich aufwendigen Torturen zur Verbesserung ihres Äußeren unterziehen, ein glücklicheres Leben? Schönheit bedingt nicht zwangsläufig Erfüllung.

Problematisch ist jedoch, dass uns solche Ansichten eingehämmert werden, und mit jedem Menschen, der sich dieser verqueren Sinnesrichtung beugt, wächst der Druck auf weitere von Minderwertigkeitskomplexen Geplagte. Noch immer sind es besonders Frauen, die diesen Druck zu spüren bekommen – ein Druck, der zudem über die Grenzen des Schönheitskults hinausgeht und sich ebenso auf den sexuellen Auftritt von Frauen auswirkt.

Lebe deine Rolle

Das Auftreten der modernen Frau als leidenschaftliche Verführerin hat neben den ihr gesellschaftlich zugeschriebenen Rollen der ambitionierten Karrierefrau und der fürsorglichen Mutter an Bedeutung gewonnen. Als sexuell aufgeklärtes Wesen versteht sie es, sich zu nehmen, was sie braucht und zu geben, was dazu gehört.

Bitch ist nicht mehr nur Schimpfwort, sondern auch Kompliment, eine Auszeichnung, die es auf T-Shirts zu drucken und stolz zu präsentieren lohnt. Kein Wunder also, dass wir uns inzwischen an den Sexobjekten schlechthin messen.

Pornodarstellerinnen strotzen nicht nur vor in Szene gesetzter Schönheit, sondern auch vor nach außen gekehrtem Selbstbewusstsein à la Sasha Grey. Den Spaß an ihrer Arbeit stets betonend und dabei den Bogen der Glaubwürdigkeit überspannend gaukeln sie uns ein euphemistisches Bild der Pornoindustrie vor.

Verdrehte Tatsachen

Diese scheinbar glamouröse Welt gerät ins Wanken, wenn eine ehemalige Pornodarstellerin über ihre Erfahrungen mit der Branche spricht, wie am Beispiel von Linda Lovelace geschehen.

Lovelace, die sich mit diversen Hardcorepornos und Deep Throat, dem erfolgreichsten Pornofilm überhaupt, einen Namen machte, begann Ende der 70er die Pornoindustrie und ihre repressiven Methoden öffentlich anzuprangern. Aktive Pornodarsteller/-innen schweigen hingegen in der Öffentlichkeit über die negativen Seiten der Sexarbeit. Details über physische und psychische Auswirkungen der Porno-Jobs sowie über Komplikationen, die sich im Privatleben der Darsteller/-innen ergeben, bleiben unserer Spekulation überlassen.

Diese Spekulation gehört untrennbar zum verdächtig glamourösen Bild der Porno-Diva dazu. Können wir ihr glauben, dieser Frau, die zur grotesken Perfektion treibt, was für die Alltagsfrau ein unerreichbarer Imperativ bleibt?

Medienmaschinerie und Körper-Bilder

Hinter den umworbenen Körpern der Lust steckt eine Medienmaschinerie, die uns zu beeinflussen sucht – oft erfolgreich, wie die Statistiken über chirurgische Eingriffe zeigen. Schlussendlich sind nicht wir die Gewinner, weil wir einen operierten, durchtrainierten, fettarmen Körper besitzen, sondern der Markt.

Wir geben Geld aus für Dinge, die eine Kritik an unserem Erscheinungsbild voraussetzen, indem sie versprechen, uns schöner zu machen. Wäre es nicht wunderbar, dem trotzen zu können?

Leichter gesagt als getan. Im dichten Bilderwald der Schönheitsideale fällt es schwer, noch auszumachen, was man selbst als schön bezeichnen würde. Wir sind den Bildern entsprechend sozialisiert und glauben daran, dass große Brüste uns attraktiver machen, die Taille möglichst schmal sein sollte und Beine eine gewisse Länge haben müssen.

Vom Maß zum eigenen Ermessen

Ein wichtiger Schritt in Richtung allgemeiner Selbstakzeptanz ist die Frauenporno-Bewegung. Hier geht es weniger um Klischees und mehr um Authentizität. Die Darsteller/-innen dürfen ihren Körper so präsentieren, wie er ist, einschließlich Spuren der Zeit.

Eine der bekanntesten deutschen Vertreterinnen dieses Genres ist Filmproduzentin Petra Joy. Mit ihren preisgekrönten feministischen Pornos (u. a. Female Fantasies) möchte sie Frauen dazu ermutigen, ihre eigenen Vorlieben abseits des Mainstream-Pornos und seiner stereotypen Vermittlung weiblicher Sexualität auszuleben.

Weibliche Bekenntnisse zum realen Sex

Indem Frauenpornos nicht ausschließlich makellose Leiber präsentieren, bekennen sie sich zur Realität. Sie glorifizieren nicht den Körper, sondern die Art, wie er zum Einsatz kommt. Damit weichen sie vom Pfad determinierender Ästhetik ab, den Maistream-Pornos so oft verfolgen.

Ein Ende der Selbstkritik kann nur einhergehen mit dem Ende des Imperativs des Schönheitskults. Wir sollten weg von der Annahme, Menschen Leitbilder aufdrängen zu müssen.

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema in unserem Dossier Pornorama. Die Autorin nahm an einem vorbereitenden Seminar zu der internationalen Konferenz Explicit! Coming to terms with pornography teil, die am 25. und 26. Januar in der FH Potsdam stattfindet.

10 Kommentare zu “Oh, body! Pornofizierung setzt Normen für Schönheit

  1. großartig! spritzig geschrieben (“zinnsoldaten” ahoi!) und mutig nach vorn gedacht. mehr davon!

  2. Guter Artikel!
    Ein Einwand – wenn sich ältere Leute, aus Gründen der Ästhetik operieren lassen, hat das nicht unbedingt etwas mit Pornovorbildern zu tun. Lebensgefühl und äußeres Erscheinungsbild gehen nicht mehr konform. Wie ich mich im Alter verhlten werde, weiß ich noch nicht – ganz ehrlich!

  3. Ich bin mir nicht ganz sicher was ich dann halten soll. Zum einem reden wir hier über Pornografie die es ja sich vorbehält meistens eine gewisse Schönheit und Vorfällen Sex zu vermitteln. Für mich macht es keinen Sinn Pornos zu schauen wenn er voll mit hässlichen Menschen ist. Dein Spektrum der Pornographie scheint mir eingeschränkt, den es wir doch jede erdenkliche Lust gestillt: Von BDSM, bis “Reife Frauen” oder dem Sachsen Paule. Jedem was jeder begehrt und der Rest ist Phantasie. Das andere ist Mode und das auferlegte Schönheitsideal. In erster Linie wollen ja alle verkaufen und das tut man per Strategie ,eben mit Retusche und einem Idealbild . In den 90 war es der Heroin chic und Marke Mark für Calvin Klein. Heute sehe ich kleine Jungs auf Werbefotos. Was ist Trend und was ist Ideal. Ist es nicht so das es nur einen Ansporn und/oder ein Vorschlag ist wie man aussehen könnte, wenn man will und vorallem wenn man es sich leisten kann. Jeder kann die Entscheidung treffen wie er aussieht und plastische Chirurgie hilft vielen sich besser zu fühlen, um Makel zu entfernen. Die Akzeptanz seiner selbst ist sicher wichtig, dennoch denke ich oft was ich verbessern würde. Du schreibst es ist bewiesen das schöne Menschen im Berufsleben mehr Chancen hat. Und das überrascht dich? Sex Sells oder hat irgendjemand schon mal gern von einer sogenannten ” hackfresse” etwas gekauft ohne zu denke Ui Ui Ui. Das will keiner aussprechen, aber es ist so. Es geht doch um Verkaufszahlen, den Ruf etc etc. Es ist doch viel wichtiger am Ansatz anzufangen, bei Kindern und Jugendlichen, um hier aufzuzeigen das alles in der medialen Welt bezüglich Schönheit, Klamotte Vorschläge, Anregungen sind und ihnen ein Selbstbewusstsein von Beginn an vermittelt. Meine Großmutter war immer eine sehr gepflegte und hübsche Frau und da ich bei ihr aufgewachsen bin, hat sie immer darauf geachtet, das ich das auch bin und siechst immer gesagt: You Never get a Second Chance to make a First Impression. Das hab ich nie vergessen, denn es stimmt.

  4. gut geschrieben ja, aber vielleicht kratzt der text doch nur an der oberfläche. wieviele münder werden post-op zu pseudo-botox-duck-faces geformt? wieviel körper spreizen sich im licht der facebook-öffentlichkeit in exhibitionistschen posen? diese perfirmativen schönheistoperationen wiegen in meinen augen genauso schwer wie die ganzen chirurgischen schönheistoperationen. da hilft das argument des frauenporno-realismus auch nicht wirklich weiter…

  5. @Patrick: “Sex Sells oder hat irgendjemand schon mal gern von einer sogenannten ” hackfresse” etwas gekauft ohne zu denke Ui Ui Ui. Das will keiner aussprechen, aber es ist so. Es geht doch um Verkaufszahlen, den Ruf etc etc.”

    was ist das für ein argument? es ist so wie es ist, deshalb ist es naturgesetz und deshalb können wir weder uns darüber aufregen noch es ändern?

    also das ist blödsinn.

  6. @Anne und Patrick: in pornos werden schöne menschen gezeigt? oder idealisierte menschen? oder menschen, die einem bestimmten bild von schönheit entsprechen? was denn nun?

    ich bin kein porno spezi, aber was ich weiß ist klar, dass da keine schönen menschen zu sehen sind, meistens nicht. die branche kann sich schöne menschen doch gar nicht leisten, die schönen gehen woanders hin ihr geld verdienen.

    also das interessante ist doch, dass da bestimmte normen aus dem porno für einige menschen zum maßstab werden, das hat nicht nur was mit dem aussehen zu tun, sondern auch mit so sachen wie acting, performing, sounding, etc. so tun WIE IM PORNO – also pornofizierung sehe ich nicht im bereich des schönheitsideals, sondern verhaltensstandards in einer sexualisierten gesellschaft und dann die sache mit den operationen, die aber nicht nur auf pornos zurückgeht. da gibt es ganz andere inspirationquellen für die massen, irgendwelche stars, starlets, irgendwelche promis, leute, die im rampenlicht stehen, was ja meistens nicht prono-schauspieler sind, denn die sind zu schmuddelig.

  7. in times of crisis ecomomica witness periodically to a commodification of sexuality is not new …. unfortunately the report is economic policy ..

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.