Phantasma und Politik: Zwischen Rhetoriken der Angst und “Supreme Fictions” der Linken

Politiken der Angst und des Begehrens bestimmen die offiziellen medialen Inszenierungsweisen des Politischen. Andererseits prägt das Phantasmatische die unterschiedlichen Konzeptionen linker Politik – von der Forderung, die “Phantasie an die Macht” zu bringen bis hin zur “Supreme Fiction”, die über das schlechte Gegebene hinweghilft. Die Kulturtheoretiker und Berliner Gazette-Autor Helmut Draxler unternimmt in seinem Essay eine Bestandsaufnahme über den Konnex von Phantasma und Politik.

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Ausgangspunkt des Projekts ist ein vages Unbehagen an den Formen in und den Umständen unter denen Politik innerhalb der unterschiedlichen Produktionsbereiche von Kunst, Theater, Film oder Musik verhandelt wird. In vielen Großausstellungen und Festivals fungiert Politik heute als eine Art von Etikett, das gesellschaftliche Relevanz und ein spezifisches Differenzierungspotential zu einem als etabliert vorgestellten Kulturbetrieb ankündet. Dass sich die verschiedenen Kunstbereiche der reinen Funktionsweisen am Markt oder einer selbstgenügsamen Repräsentation zu entziehen suchen, daran wäre grundsätzlich auch nichts auszusetzen.

Und dennoch stellt sich die Frage, ob diese Differenz zwischen dem Etablierten und dem Nicht-Etablierten gerade an Hand des Etiketts der Politik überhaupt aufrecht erhalten werden kann. Denn nicht nur wird der Begriff der Politik für viele Zwecke eingesetzt, auch die konkreten kulturellen Praktiken der Bezugnahme auf Politik wirken häufig zumindest ambivalent.

Die nahtlose Einverleibung sozialer Bewegungen (Occupy in den Kunstwerken etwa) oder die Beschwörung einer Realität außerhalb der eigenen Realität („Was draußen wartet“) – dies alles läuft auf eine progressiv verstandene Verwischung der Differenz zwischen Kultur und Politik hinaus. Aber auch die darin sich ausdrückende Verhältnisform zu einem wie auch immer imaginierten Anderen, auch die Zuspitzungslogiken von einem Ereignis zum nächsten und schließlich die performativen Widersprüche – wenn etwa die Kritik an neoliberalen Zeitökonomien mit deren Überbietung in noch brutaleren Zeitökonomien (etwa tagelangen Programm-Marathons) beantwortet wir.

Doch nur allzu sehr scheinen sich die darin artikulierten Rhetoriken der Dringlichkeit und der Krise mit einem nahtlosen Funktionieren innerhalb des Terminplans des Festivalbetriebs zu vertragen. Am Ende der Ausstellungsdauer verlässt Occupy wieder die Kunstwerke und die Kurator_innen der nächsten Biennale sind an der Reihe, die darauf nur entweder mit einer weiteren Radikalisierung oder mit einer backlash-Rhetorik antworten können. Wir haben es hier also mit einer inhaltlichen Überschreitung bei gleichzeitig formaler bzw. institutioneller Reproduktion der Verhältnisse zu tun.

Revisionen der Moderne, von Kapitalismus, Wissenschaftsbetrieb und Kolonialismus

Das Problem zeigt sich vor allem in der Wiederholung, wenn der Habitus der Überschreitung immer wieder von neuem aufgerufen wird, ohne dass sich an den institutionellen Verhältnissen irgendetwas geändert hätte. Innerhalb der unterschiedlichen Projektkulturen, in denen sich Politik, Theorie und Kunst in besonderer Weise miteinander verschränken, haben wir dementsprechend in den letzten Jahren eine ganze Reihe solcher inhaltlichen Überschreitungen angeboten bekommen. Das passierte meist als ganz grundsätzlich ansetzende Revisionen der Moderne, von Kapitalismus, Wissenschaftsbetrieb und Kolonialismus, die alle für sich genommen ungemein anspruchsvoll und tatsächlich relevant waren, die jedoch hinsichtlich ihrer institutionellen Performanz jeweils vollkommen folgenlos blieben. So wurden und werden sie im nächsten Ereignis durch neue, ebenso grundlegende Thesen ersetzt. Gerade in Berlin führt das zu einer Art von „Festivalisierung“ des Politischen.

Was in Putins Moskau – wenn wir etwa an die Aktionen im Umfeld der Voina-Group denken, genau die richtige Strategie zu sein scheint, läuft hier allzu leicht ins Leere. Die Frage wird also sein, wie sich die Inhalte und die jeweiligen politischen Ansprüche auf die Formen und Formate ihres Erscheinens beziehen lassen. Wie in diesem Bezug die Differenz der Aussagepositionen und der ökonomischen, institutionellen, kulturellen Bedingungen im globalen Maßstab berücksichtigt werden können. Diese scheinen mir zunehmend im Konflikt zueinander zu stehen und keine vereinheitlichende und harmonisierende Perspektive, eine universell richtige Position zuzulassen.

Wir finden uns hier mitten in jenem Problem wieder, wie es in den Debatten zwischen Benjamin, Brecht und Eisenstein in den 1930er Jahren unter dem Stichwort eines „linken Inhaltismus“ aufgeworfen und kritisiert wurde. Schon damals schien dieser sich wunderbar mit dem klaglosen Funktionieren innerhalb des Kulturbetriebs zu vertragen. Unser Problem heute besteht meiner Meinung nach darin, dass auch die Lösungen, die Benjamin, Brecht und Eisenstein vorschlugen nicht mehr so einfach zum Maßstab genommen werden können. Lösungen, denen das Projekt einer Institutionskritik die entscheidenden Anregungen verdankt, nämlich „den Produktionsapparat nicht zu beliefern, ohne ihn zugleich zu verändern“ – so die berühmte Definition Brechts.

Veränderungen der Verhältnisse

Nicht nur, weil heute die Perspektiven einer Veränderung des Produktionsapparats ziemlich diffus geworden sind und weil eine Reaktivierung gerade Brechts ohnehin seit den 1960er Jahren in allen Sparten von Theater, Kunst, Film und Musik versucht wurde. Hinzukommt, dass sich die Bedingungen und Verhältnisse der Produktion, der Produktionsapparate und des Publikums zum Teil tatsächlich drastisch verändert haben. Wir leben – so meine These – im Zeitalter der Nachträglichkeit von Veränderung. Damit meine ich, nicht innerhalb eines Horizonts des Erwartbaren, sondern innerhalb eines kategorisch Transitorischen, das wir erst zu fassen suchen und das uns genau darin als immer schon verspätet positioniert. Das Ereignis, von dem die politische Theorie mit solcher Emphase spricht, scheint mir deshalb kein kommendes sondern konstitutiv ein immer schon vergangenes zu sein.

Verändert haben sich die Bedingungen und Verhältnisse hinsichtlich der politischen Konstellationen, der ökonomischen und technologischen Gegebenheiten, aber auch hinsichtlich der sozialen Verhältnisse. Was können Produktion und dementsprechend Produktivismus im Sinne Benjamins heute überhaupt heißen? Wie sehr kleben diese Begriffe an jenen industriellen Paradigmen, denen sie entstammen? Welche Funktionsweise haben die kulturellen Produktionsapparate: lassen sie sich immer noch als „Mikrokosmos der Gesellschaft“ (Darko Suvin) begreifen, an denen die tiefliegenden Funktionalitäten der gesellschaftlichen Verhältnisse im Ganzen aufgezeigt werden können?

Bei Borges kann man über jene arabischen Aristoteles-Übersetzer des Mittelalters nachlesen, die sich darüber den Kopf zerbrochen haben, wovon Aristoteles eigentlich spricht, wenn er die Begriffe Komödie und Tragödie erwähnt und sich auf jenen seltsamen Ort bezieht, wo Menschen mit Masken herum springen und so tun, als wären sie nicht sie selbst. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon seit Jahrhunderten kein Theater mehr. Das macht nur klar, wie historisch spezifisch diese Institution eigentlich ist, und wie problematisch es wäre, sie als Modell der Gesellschaft schlechthin zu totalisieren und zu universalisieren.

Ein dominant bildungsbürgerliches Publikum

Und schließlich haben wir es auch nicht mehr mit einem dominant bildungsbürgerlichen Publikum zu tun, dass in seinen Erbauungserwartungen provoziert und seiner angepassten Sozialisation entfremdet werden könnte. Vielmehr erwartet, fordert und genießt dieses Publikum etwas, das man in den 1980er Jahren einen „Entfremdungsgewinn“ genannt hatte, d.h. es will in seinem Differenzbedürfnis bestätigt werden, sich darin engagiert, emanzipiert, herausgefordert und erfahrungshungrig fühlen dürfen. Zumindest hier in Berlin und in vielen anderen Metropolen.

Und mit einem solchen Publikum ist einfach nichts mehr anzufangen. „Ihr“ wisst immer schon zu viel, ihr lacht und klatscht an den richtigen Stellen, ihr durchschaut noch die raffinierteste Dramaturgien, ihr erkennt die Zitate und Anspielungen. Wie sollte man euch also noch entfremden? „Ihr“ seid wie „wir“, ihr seid doch selbst alle kritische Produzent_innen, wir wechseln nur gelegentlich die Plätze, und das heißt nichts anderes als dass es einfach kein Publikum im klassischen Sinn als monolithischen, die Öffentlichkeit im Gesamten repräsentierenden Block mehr gibt.

Und gerade deshalb scheint es auch so naheliegend, die „Realität“ hereinzuholen, ein „anderes“ Publikum zu suchen und nach draußen zu gehen, wo die „Realität wartet“: nach Kreuzberg, zumindest wenn man aus Mitte kommt, oder nach Neukölln, von hier aus, nach Kabul, Beirut, Lagos oder andere „Krisen“gebiete. Doch zweifelsohne hat man auf diesen Reisen die sozialen und institutionellen Bedingungen der eigenen Aussageposition immer schon mit im Gepäck. Hier wird, in den Worten von bell hooks, das Privileg nicht aufgehoben sondern ausgeübt.

Funktionsweisen der Produktionsapparate im Visier

Hal Foster hat diese Verschiebung vom Artist as Producer zum Artist as Ethnographer bereits in den 1990er Jahren hellsichtig beschrieben. Der Artist as Ethnographer ist jene Figur, die ausschwirrt, um die Realität heimzuholen, dabei sicherlich wichtige inhaltliche Akzente zu setzen in der Lage ist, aber auch einem grundsätzlichen Othering, einer Logik der Zuschreibung von Eigen- und Andersheit verhaftet bleibt.

Das heißt, der entscheidende Punkt wird sein, die Funktionsweisen der Produktionsapparate selbst ins Blickfeld zu rücken. Inhalte, Formen und Formate, institutionelle Bedingungen und soziale Kontexte aufeinander zu beziehen. Insbesondere gilt dies für jene Praktiken des Produktivismus, des Dokumentarismus, Realismus, Aktivismus, die sich als anti-ästhetisch im weitesten Sinn verstehen. Woran lassen sich deren politische Ansprüche messen? Und worin besteht ihr ästhetischer Einsatz? Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Wie verhalten sie sich zu den institutionellen Gegebenheiten, zur Frage ihrer Form- und Genretraditionen, und schließlich sowohl zu den sozialen Verhältnissen, die sie beschreiben als auch zu denen, die sie innerhalb der Produktionsapparate selbst mit herstellen?

Es kann also weder um reine Inhalts- noch um eine reine Formfragen gehen. Es geht vielmehr um die Beziehungen zwischen den Inhalten und den unterschiedlichen Bedingungen ihrer Produktion, ihrer Repräsentation und den möglichen Rezeptionsweisen, ja durch wen eigentlich?
Auch hier gilt, dass dies weder in einem Rückzug auf ein verlässliches Publikum, das sich in symbolischer Selbstgewissheit einigelt, noch im globalen Ausschwärmen zum imaginären Anderen gefunden werden kann. Die unhintergehbaren sozialen Differenzen stellen sich vielmehr selbst als Thema. Diese Differenzen lassen sich nicht einfach überwinden oder aufheben; zwischen ihnen lassen sich jedoch „transversale Dynamiken“ entwickeln, wie Félix Guattari das im Rahmen seiner „institutionellen Analyse“ in den 1960er Jahren genannt hat.

Transparenz

Mit dem Projekt „Phantasma und Politik“ wollen wir hierfür einen Theorierahmen entwerfen, d.h. Begrifflichkeiten und diskursive Zusammenhänge ins Spiel bringen, die über den Zeitraum von mehr als einem Jahr hinweg das konkrete Programm des HAU durch theoretische, politische und künstlerische Einschübe begleiten sollen. Im Wesentlichen geht es darum, ein reflexives Format einzuführen. Natürlich ist auch ein reflexives Format ein Format und hat somit immer schon Anteil am Betrieb. Und doch geht es darum, den Produktionsapparat nicht nur zu beliefern, sondern transparent zu halten. Zumindest soweit transparent, dass die Frage nach seinen Funktionsweisen als Voraussetzung begriffen werden kann, wie die Kategorie der Veränderung historisch, politisch und künstlerisch überhaupt zu denken wäre.

Es wird also keine großen Welterklärungsmodelle, keine Revision der gesamten Moderne aus dem Geiste des „Was auch immer“-Prinzips geben, keine Krisen-Diagnosen, keine aufgesetzte Dringlichkeit, die uns nur ins nächste Event führt, keine Frohbotschaft zur Rettung der Welt und vor allem keinen Sinn. Das alles soll erstmal ausgesetzt werden, um dem Unsinn: dem Unwillentlichen und Unheimlichen unseres Tuns innerhalb der Produktionsapparate eine Chance zur Sichtbarkeit zu geben.

Der Vorschlag besteht darin, am Begriff des Phantasmas anzusetzen, um einerseits die Phänomene und Funktionsweisen der real existierenden Produktionsapparate und ihrer imaginären Besetzungen besser zu verstehen. Vielleicht wirkt das an ihnen unheimlich oder löst zumindest ein Unbehagen aus. Zum anderen aber auch, um die produktiven Potenziale des Imaginären besser einschätzen zu können, ihre höchst ambivalente, aber eben durchaus konstruktive und konstitutive Funktion für das Politische. Phantasma und Politik sollen dabei nicht sofort ineinander geworfen werden im Sinne einer Politik des Phantasmas oder eines Phantasmas der Politik. Sie sollen in ihrer Differenz und doch in ihrem spannungsvollen Aufeinander-Bezogen-Sein verstanden werden. Wir hoffen, auch noch in einem Jahr sinnvoll über diese Konstellation sprechen zu können.

Lacan, Roland Barthes und Freud

Phantasma heißt im Griechischen eigentlich nur Bild, Erscheinung oder auch Vorstellung. Zunehmend hat sich jedoch das Bedeutungsspektrum in Richtung des Trugbildes oder der Halluzination verschoben. Innerhalb moderner Theoriezusammenhänge ist der Begriff vor allem durch seine Verwendung in Jacques Lacans Seminar 4 über die Objektbeziehung von 1956/57 bekannt geworden. Mitte der 1960er Jahre hat Lacan ein ganzes Seminar zur „Logik des Phantasmas“ gehalten, das noch nicht ins Deutsche übersetzt ist. Von dort aus strahlt der Begriff in den gesamten Fundus poststrukturalistischer Theorie hinein, etwa bei Roland Barthes, Gilles Deleuze und Jean Baudrillard.

Freud hatte bereits der Phantasie einen zentralen Stellenwert als Artikulationsform eines unbewussten Begehrens zugeschrieben. Im Kontext jener berühmt-berüchtigten „Aufgabe der Verführungstheorie“ von 1897, der zufolge die Neurose durch den realen Übergriff eines Anderen ausgelöst würde. Dies geschah zugunsten einer Theorie, die imaginäre Funktion der Erinnerung als wunschgemäße Konstruktion von Wirklichkeit auffasst. Die Phantasie weist den Weg zum Ödipus-Komplex. Lacan schließt unmittelbar daran an. Er betont jedoch stärker die Schutz- oder Abwehrfunktion des Phantasmas. Bei ihm gibt es unterschiedliche Phantasmen, diejenigen der Hysteriker und der Zwangsneurotiker etwa; es gibt allerdings auch ein „grundlegendes Phantasma“.

Alle diese Phantasmen sind auf etwas bezogen, dass sie verdecken und somit abwehren wollen; das kann das Trauma, die Kastration oder der Mangel schlechthin sein. Thanos Lipowatz sieht die Phantasmen sich rund um die Ängste und Wünsche der Individuen, die auf das Kollektiv projiziert werden, gruppieren. Bei allen Unterschieden dieser Definitionsversuche werden jeweils scheinbare Realitäten um ein Zentrum herum hochgefahren, das Lacan das Reale nennt. Das hat zum Ziel, dessen bedrohliches Potential zu bannen und zu verleugnen. Derart strukturiert das Phantasma das Begehren, indem es einen imaginären Rahmen ( ein „Szenario“) bildet, der mit Objekten der Begierde gefüllt wird und gleichzeitig das Reale verkennen lässt. Die imaginierte Realität und das nicht symbolisierbare Reale stehen hier, im Begriff des Phantasmas, also stets im Verhältnis zueinander.

Ideologie und Phantasma

Diesen Objekten des Begehrens, den Bildern und Imaginationen, in denen sich dieses ausdrückt, kommt kein inhaltlicher Stellenwert zu, sie machen bloß in Beziehung zur Struktur des Begehrens Sinn. Es handelt sich auch um keine rein phantastischen Vorstellungen; sie sind vielmehr fest Im Symbolischen verankert, das heißt das Imaginäre bildet realitätskonstitutive Elemente aus, die sich im intersubjektiven und sprachlich vermittelten Bezug der Subjekte aufeinander symbolisieren und damit konkretisieren.

Es soll hier weniger darum gehen, die einzig richtige Lesart zu explizieren, vielmehr soll der Begriff gerade in seiner Vielschichtigkeit und Vieldeutigkeit rekonstruiert und in unserem Zusammenhang fruchtbar gemacht werden. Interessant erscheint er mir vor allem deshalb, weil er einerseits phänomenologisch eine Reihe von ästhetischen Begriffen mit einschließt, etwa das Bild und das Trugbild, die Phantasie und die Phantasmagorie, das Phantom und die Fiktion. Jedoch andererseits sich als politischer Begriff, gleichsam als Alternative zum Begriff der Ideologie lesen lässt.

Ideologie und Phantasma haben ja eine ähnliche Bedeutungsverschiebung erlebt. Beide wurden von einer neutralen Lehre von Idee oder Bild hin zu einer Art von falschem Bild bzw. falschem Bewusstsein verschoben. Trotzdem ist der Begriff der Ideologie ist doch stark in der Weise symbolisiert bzw. diskursiviert worden, dass eine Aufhebung dieses falschen Bildes, seine Ersetzung durch ein richtiges Bild im Namen wissenschaftlicher Erkenntnis oder politischer Praxis möglich schien. Gerade dies ist beim Phantasma nicht der Fall – es öffnet sich stets nur einem anderen Phantasma. Es kann daher nicht aufgehoben, sondern nur durchquert („traverser“) werden, wie Lacan sagt. Was dieses Durchqueren allerdings heißen soll, darüber gibt es viele Meinungen. Unlängst gab es eine eigene Tagung in Wien genau zu dieser Frage.

Selbstkonstituierung als dominante westliche Subjekte

Eher klinisch orientierte Lacanianer befürworten etwa einen „Abbruch der Ideale“ zugunsten „gewisser Freiheiten des Subjekts“. Thanos Lipowatz schlägt eine „Bewältigung der Phantasmen“ vor, die sich seiner Meinung insofern lohnen könnte, weil damit gerade die „Verleugnung des Politischen“ in den Phantasmen gebannt werden könnte. Hier wird also genau ein Punkt des Umschlags benannt an dem die Phantasmen des Politischen, wie wir sie in den verschiedenen Kulturbereichen gedeihen sehen, sich in dessen Verleugnung transformieren können.

Slavoj Zizek wiederum, der immer wieder zwischen der „Pest der Phantasmen“ und den sublimen Qualitäten des Ideologiebegriffs schwankt, will zunehmend mit dem späten Lacan im Gepäck die Phantasmen durchstoßen und zum „Kern des Genießens“ vordringen. Das scheint mir jedoch selbst ein ziemliches Phantasma zu sein.

Es gibt allerdings noch ganz andere Annäherungsweisen an den Begriff des Phantasmas, die ich hier nur kurz streifen will. Innerhalb der postkolonialen Theoriebildung etwa spielen die imaginären Vorstellungen über die Anderen in den Prozessen der Selbstkonstituierung als dominante westliche Subjekte eine entscheidende Rolle.

„Neuer Geist des Kapitalismus“

In diesem Sinne lassen sich Edward Saids „westliche Konzepte über den Orient“ als Phantasmen lesen. Daran anknüpfend hat Homi Bhabha die Ambivalenz dieser phantasmatischen Diskurse hervorgehoben: ihre Gespaltenheit in Phantasien über die edlen Wilden und die barbarischen Kannibalen, über die sexuelle Anziehungskraft und das bedrohlich Abstoßende, über leere Territorien, die nur auf Besiedelung warten und „überbevölkerte“ Kontinente, die dringendst reguliert werden müssen. Hier kommt es zu Aufteilungen des sozialen Raums, zur Zuschreibungen von Identitäten entlang unterschiedlicher, einander überlagernder sozialer Differenzen. Anne McClintock hat dabei auf den engen Zusammenhang sexueller, rassistischer und nationaler Stereotypen verwiesen.

Bhabha betont jedoch auch die Chancen in der produktiven Aneignung dieser Ambivalenz durch die von solchen Phantasmen Betroffenen. Diese erscheinen dann nicht als reine Opfer, sondern selbst als Akteure, die wiederum das grundlegende westliche Phantasma der universellen Zuständigkeit und Kompetenz herausfordern müssen: unter Umständen mit eigenen Phantasmen.

Schließlich wäre danach zu fragen, was eigentlich aus der Formulierung von 1968: „Die Phantasie an die Macht“ geworden ist, im Alltag der Kreativindustrien ebenso wie in der postmarxistischen Theoriebildung. Als „kreativer Imperativ“, entwachsen einem „neuen Geist des Kapitalismus“ ist dies im Anschluss von Luc Boltanski und Eve Chiapello vielfach beschrieben worden.

Phantasmen der Realität, des Anderen und der Macht

Es wäre jedoch auch noch einmal grundsätzlicher danach zu fragen, wie das Verhältnis von Phantasie und Macht überhaupt vorzustellen wäre. Ist das Imaginäre etwas, das der Macht von außen zukommt oder als Überbau über ihr schwebt? Gehört es dementsprechend ins Reich der Interpretation, das durch Praxis, die produktive Konstruktion von Wirklichkeit ersetzt werden könnte? Oder sind nicht viel mehr die Macht und die Praxis durchsetzt vom Imaginären, und ihre Wirkungsweisen zwischen dem Realen und der (imaginierten) Realität äußerst suggestiv.

Lässt sich die Macht an bestimmten sozialen Verhältnissen, an industriellen oder medialen Produktionsstandards und anderen, etwa militärischen Machtmitteln eindeutig festmachen? Oder sind nicht die wachsenden Herrschaftsapparate eher ein Zeichen schwindender Macht, wie der Karlsruher Philosoph Byung Chul Han nahezulegen scheint, und die Macht daher dort am stärksten, wo sie gar keine repressiven Mittel zu ihrer Reproduktion braucht. Was hieße das wiederum für die Vorstellungen von Ohnmacht oder einer Gegenmacht, von Macht, der man unterworfen ist und Macht, die man, etwa innerhalb der kulturellen Produktionsapparate, auch selbst ausübt?

Diesen unterschiedlichen theoretischen Ansätzen lassen sich drei grundlegende Formen des Phantasmas entnehmen. Als Phantasmen der Realität, des Anderen und der Macht sollen sie als Ausgangspunkte der Reflexion für das gesamte Projekt dienen. In eigenen Veranstaltungen soll dies fokussiert werden, um von hier aus möglichst konkrete Fragen hinsichtlich der Funktionsweisen kultureller Produktionen, ihrer institutionellen Verfasstheit und der sozialen Konstitutionsprozesse, die sie generieren, zu entwickeln. Für uns von Interesse ist vor allem die Spannung zwischen den positiven und den negativen Aspekten des Phantasmas. Außerdem die Spannung zwischen seinen ästhetischen und politischen Dimensionen. Der Auffassung, dass gerade die ermöglichenden Seiten des Politischen im Sinne einer „supreme fiction“, wie es Simon Critchley nennt, ein poetisches Moment brauchen steht dabei die Sichtweise der verkennenden und verhindernden Aspekte des Fiktiven im Verhältnis zwischen Realität und Realem entgegen.

„Durchqueren“ keineswegs als „Abbruch der Ideale“

Die Art und Weise, wie die Phantasmen politisch und ästhetisch adressiert werden können, erscheint daher grundlegend für eine Einschätzung der Möglichkeiten von Politik am Theater oder in der Kunst. Entscheidend hierfür wird sein, dass die Arbeit an diesen Phantasmen, ihr „Durchqueren“ keineswegs als „Abbruch der Ideale“ und als eine Rückkehr zur Realpolitik verstanden wird (vom Radikalismus zum Reformismus oder vom Anderen zum Eigenen, das wäre in der Tat fatal). Sie wird allerdings auch nicht als Rückkehr von den anti-ästhetischen Methoden zu einer auf das Formale beschränkten Vorstellung von Autonomie der Kunst definiert. So wie die Inhalte können nämlich auch die reinen Formen leicht phantasmatisch werden.

Vielmehr soll es um eine Arbeit an den Differenzen von imaginärer und realer Politik, von Kunst und Politik, Inhalt und Form, aber auch an der Differenz der geographischen und historischen Aussage- und Rezeptionsbedingungen kultureller Produktionen gehen. Denn die imaginären Dimensionen des Politischen scheinen mir unverzichtbar als wie auch immer phantasmatische, utopische Momente, etwa die Produktionsapparate oder die sozialen Verhältnisse auch anders denken und vorstellen zu können. Sie sind unverzichtbar eben als Imaginäres in all ihrer Ambivalenz als konstitutive Möglichkeiten und als konkrete Abwehr. Als Phantasmen müssen sie tatsächlich „bewältigt“ werden, wenn ihnen konkrete politische Bedeutung erwachsen soll.

In dieser Bewältigung liegt jedoch keine Fügung ins Schicksal der symbolischen Ordnung der gegebenen Produktionsapparate; deren Anerkennung kann jedoch als Voraussetzung verstanden werden, auch diese verschiedenen Differenzen anzuerkennen bzw. überhaupt erst zu denken. Das Theater wäre in diesem Sinn als jener, schließlich immer noch großartige Ort zu verstehen, an dem zwar linke Politik nur in begrenztem Maß möglich ist – diese muss wesentlich doch an anderen Orten stattfinden -, an dem aber deren grundlegendes Phantasma, das der Veränderung, bearbeitet werden kann.

Anm.d.Red.: Das Berliner Theater HAU hat in Zusammenarbeit mit Helmut Draxler “Phantasma und Politik” konzipiert. Die Veranstaltungsreihe erfährt am 22. und 23. November einen Höhepunkt mit einer auf zwei Tage angelegten Konferenz mit u.a. Sami Khatib, Frank Ruda, Jelica Šumič Riha, Felix Ensslin, Prof. Dr. Nikita Dhawan, María do Mar Castro Varela, Stephan Dillemuth, Dominiek Hoens, Boris Buden, Katja Diefenbach. Foto oben: Joachim Koester, Variations of Incomplete Open Cubes, 2011. Copyright: Joachim Koester.

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