Der Tag, an dem Performancekunst starb

Kann man HipHop als Performance-Kunst bezeichnen? Oder handelt es sich dabei doch eher und ausschließlich um Massenkultur? Sind die beiden Begriffe Kunst und HipHop nicht miteinander vereinbar, weil Kunst – im Gegensatz zu HipHop – “uneigennützig, bildungsorientiert, nicht kommerziell” ist? Michaela Wünsch, Mitherausgebern von FeMale Hip Hop, macht sich Gedanken.

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Am 10. Juli füllte sich meine Facebook-Seite mit Meldungen und einem Vine-Video, das zeigte, wie Jay-Z soeben oder vor ein paar Stunden mit Marina Abramović tanzt. Ich hätte dem keine weitere Beachtung geschenkt, denn so herausragend schien mir das Ereignis nicht, doch die Kommentare begannen mich zu interessieren. Einer handelte davon, dass eine junge Frau böse Kommentare von weißen Galleristinnen bekam, weil sie für ein HipHop-Video übliche, nämlich leichte, Bekleidung trug.

Ein Video als eine Hommage an die Retrospektive Abramović’ „The Artist is Present“

Diese junge Frau war eine von wenigen Afro-Amerikanerinnen, die man im Hintergrund des Tanzpaares sah. Einige andere Kommentare sahen darin das Ende der Performancekunst. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem Event tatsächlich um ein Videodreh für Jay-Z’s „Picasso Baby“, einer Single-Auskoppelung seines gerade erschienenen Albums Magna Carta Holy Grail, der in der Pace-Gallery in Chelsea stattfand. Eingeladen waren eine Assemblage von SchauspielerInnen, KünstlerInnen, Regisseuren, ProduzentInnen und DesignerInnen, darunter Laurence Weiner, Judd Apatow, RoseLee Goldberg, Diana Widmaier Picasso, Wale, Lyor Cohen, Jim Jarmusch, Michael K. Williams, Magazeen, Adam Driver, Wangechi Mutu und eben Marina Abramović, denn das Video ist eine Hommage an die Retrospektive Abramović’ „The Artist is Present“, die 2010 im MoMa stattfand.

Doch statt 750 Stunden, dauerte Jay-Z’s Präsenz nur 6, in denen die Gäste eingeladen waren ihm gegenüberzutreten, zu tanzen, seine Kette zu küssen oder nach was immer ihnen war. Ein Zusammenschnitt dieser sechs Stunden ist das unter der Regie von Mark Romanek entstandene Video, das wiederum zwei Wochen später auch auf Facebook. Doch warum soll es sich dabei nicht um Performancekunst handeln? Diese Kritik unterstellt, dass der Einbruch von HipHop in die Kunstwelt diese zerstört, denn HipHop sei keine Performancekunst, sondern Massenkultur, kommerziell oder muss das Gegenteil sein, aus dem Ghetto kommen und per se eine politische Aussage über den Zustand der afroamerikanischen Bevölkerung machen.

‘Echte’ KünstlerInnen sind wie HipHop-Stars

Aber Kunst ist etwas anderes, der White Cube der Galerie, uneigennützig, bildungsorientiert, nicht kommerziell und weiß. Dabei verkehren Marina Abramović und Jay-Z in denselben Kreisen, sie haben sich laut Abaramovic bei diversen Modenschauen kennengelernt. „Echte“ KünstlerInnen sind wie HipHop-Stars und andere Megareiche Celebrities, auch wenn gerade Performance-Kunst versucht, das Bild des brotlosen, radikalen und authentischen Künstlers aufrecht zu erhalten („Performance Art was synonymous with shock and danger“ )

Abramović gilt nicht nur als Erfinderin einer unvorhersehbaren, schockhaften Performance-Kunst, sondern auch als Figur, die diese domestiziert, musealisiert und kommerzialisiert hat. Abramović wurde zudem für ihre ausbeuterischen Praktiken kritisiert, zum Beispiel für ihren Beitrag zu einer Ehrengala des MOCA, der darin bestand, dass junge Frauen und Performerinnen nackt als Centerpieces auf dem Tisch liegend fungierten. Zu anderen Anlässen forderte Abramović strenge Diäten, bestehend aus grünem Tee und Wasser, die Herausgabe von Mobiltelefonen u.a. von jungen Performerinnen, die unter ihrem Namen glücklich über einen Auftritt im MOMA waren.

Das alles läuft aber unter dem Label Kunst, während Jay-Z oder auch noch Kanye West höchstens eine Annäherung an die Kunstwelt zugestanden wird, die ihre Arbeit selbst aber nicht als „Kunst“ bezeichnet. Im etwa einmütigen Intro zum fertigen Video erklärt Jay-Z nicht nur, dass er beide Welten wieder zusammenbringen will, sondern definiert sich auch selbst als Künstler: „We are artists, we are alike, we are cousins“. Im Song bezeichnet er sich selbst als den heutigen Jean Michel (Basquiat) und Picasso.

Autos, Goldschmuck und Champagner

Im Unterschied zu seiner sonstigen Praxis, Massenkonzerte, sagt er, dass in diesen die Energie einseitig vom Publikum kommt, während der Videodreh ein gegenseitiger Austausch darstellen sollte, in dem „passieren könne, was auch immer geschehe“. Dabei verfolgt er denselben Authentizitätsanspruch wie Abramović, wie auch Tanja Widmann in einem Austausch über das Video mit der Autorin kritisiert. „Abramović forciert gerade einen Moment der Präsenz, der überdies vor allem auf affektiven Aufladungen, Pathos, Expressiviät (der style!).“

Der Künstler ist präsent – er ist da zum Anfassen, zum kommunikativen Austausch, auf gleicher Ebene. Das blendet natürlich alle prekären und ausbeuterischen Praktiken im Kunst- wie im Musikmarkt aus und zwar noch intensiver als Musikvideos mit teuren Autos, viel Goldschmuck und Champagner. Aber während dies auch Insignien eines neureichen Lebensstils sind, ist der Kauf von teurer Kunst (wie ihn Jay-Z in den Raplyrics auch feiert), eine etwas gehobenere Klasse Neureichenhabitus’. Wie auch Kanye West’s Liaison mit Kim Kardashian zeigt, geht die Affinität zu Kunst und Geld nicht immer mit gutem Geschmack einher. Statt sich also mit Namen zu schmücken, täten beide Künstler vielleicht besser daran, (weiterhin) HipHop als eigene Kunstform zu verteidigen.

Anm.d.Red.: Das Foto stammt von Noritoshi Hirakawa.

2 Kommentare zu “Der Tag, an dem Performancekunst starb

  1. “Kunst (auch die performative …) ist die Ausdauer der Hinterbliebenen” hat ein unbekannt gebliebenen Kölner DADA Künstler einmal gesagt. Wir können also ganz beruhigt abwarten, was bleibt! Ich denke, die Kunst von Marina Abramovic wird bleiben, würde ich vorauszusagen behaupten, auch wenn auch sie “nach dem Gelde drängt”. Warum muss immer nur KünstlerInnen vorgeworfen werden, auch einmal materiellen Erfolg haben zu wollen?
    Auch Jay Z hat das Recht auf Anerkennung in der Zeit. Ob das aber länger anhält (siehe oben) ist für mich jedenfalls sehr fraglich!
    Warten wir es also ab!

    Thomas Deecke

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