Die Open-Source-Stadt: Lasst uns das Prinzip “Gemeingut” auf die Stadtplanung übertragen!

Wann können wir unsere Umgebung endlich gemeinsam gestalten? Peer-to-peer-Urbanismus antwortet auf diese dringende Frage. Hier werden Ideen im Zeichen menschlicher Bedürfnisse vereint: Einerseits aus der Open-Source-Bewegung, andererseits aus der Stadtplanung. Gründer und Theoretiker Michel Bauwens zeichnet das große Bild einer im Entstehen begriffenen Komplizenschaft.

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Die allgemeinen Formen des Urbanismus während des 20. Jahrhunderts und auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren groß angelegte, zentral geplante Projekte. Die bekanntesten Moralvorbilder aus Architektur und Urbanismus waren die „Starchitekten“: weithin bekannte Designer, deren Gebäude notorisch visuelle Eigenschaften haben und die vorrangig aufgrund ihrer Neuartigkeit vermarktet werden. Die verschiedenen Designmethoden dieser Zeit vermieden ganz bewusst Jahrhunderte alte, traditionelle Gebäudeformen und Techniken.

Die Stadtplaner der Nachkriegszeit implementierten Ideen der „Stadt als Maschine“ und legten damit den Grundstein für die Veränderung der Städte in der Moderne. Die Massenindustrialisierung des 20. Jahrhunderts führte zu einer Auto-zentrischen Entwicklung, bei der es nicht mehr möglich ist, zu Fuß von einem Ort zum nächsten zu gelangen. Uneingeschränkte finanzorientierte Entwicklungen produzierten Gebäudeformen, deren Nachteile weithin diskutiert wurden: Wolkenkratzer mit einer Vielzahl an verkäuflicher Fläche, deren Form aber die Struktur der Stadt zerstört, Wohnsiedlungen, die keine der menschlichen Bedürfnisse bedienen und Bürogebäude, die fernab der Wohnorte von Mitarbeitern sind.

Der Neue Urbanismus begann 1993 in den USA als ein Weg bessere Umgebungen und Gebäude zu bauen. Diese neue Richtung ist eine auf das menschliche Maß reduzierte Alternative zur modernistischen Stadtplanung: statt eine Planung auf Entfernung, Räume und Geschwindigkeiten aufzubauen, und damit nur die Maschinen und die Bedürfnisse der Industrie zu befriedigen, orientiert sich der Neue Urbanismus an den sehr unterschiedlichen menschlichen Bedürfnissen. Unter anderem propagiert er Fußgängersiedlungen, in denen Menschen leben, arbeiten und Kontakte aufrecht erhalten können, ohne abhängig von einem Auto zu sein, sowie flexible Gebäudeeinteilungen, die es ermöglichen, eine ausgewogene Mischung an Arbeit, Industrie und Wohnungen herzustellen.

In Europa ist eine ähnliche Bewegung unter dem Namen „Traditioneller Urbanismus“ bekannt. Beide Gruppen teilen den Willen die Gemeinschaft in die Planung ihrer Nachbarschaften mit einzubeziehen. Ihre Abhängigkeit von zentraler Planung und Finanzierung ist allerdings überhaupt nicht ideal. Aus diesem Grund versuchen die Neuen Urbanisten dezentrale Planung zu fördnern, hauptsächlich mit der Veröffentlichung des kostenlosen SmartCode von der Arbeitsgemeinschaft Duany-Plater-Zyberk (DPZ) im Jahr 2003.

Peer-to-peer Gemeinschaften und Urbanismus

Es gibt Hinweise darauf, dass Menschen in verschiedenen Orten der Welt die Dominanz der modernistischen Denkweise beenden wollen. Politische Bewegungen in Europa haben eine aktive Rolle bei der urbanen Erneuerung gespielt. Monströse Gebäudeblöcke wurden gesprengt und durch urbane Strukturen ersetzt, die von lokalen Gruppen gestaltet wurden. Vielerorts gibt es aber Gesetze, die genau diese Gebäudeblöcke als „Monumente“ klassifizieren und daher diese Symbole künstlich lange am Leben erhalten.

Peer-to-peer-Gemeinschaften entstehen im Internet, wenn Menschen Information schnell und einfach teilen wollen. Dieser Prozess ist aber nicht auf das Internet festgelegt, sondern kann auch abseits der virtuellen Welt Welt Anwendung finden. Beim P2P-Urbanismus können Menschen mit Hilfe kostenloser Informationen und Techniken ihre eigene Umgebung gestalten. Wie bei der OpenSource-Bewegung basiert die Gestaltung einer Stadt, der eigenen Wohnung oder Arbeitsumgebung auf frei verfügbaren Designregeln und ist offen für Modifikationen und Anpassungen an die lokalen Gegebenheiten und individuellen Bedürfnisse.

Der P2P-Urbanismus ist eine neue Bewegung und zieht Stadtgestalter und Planer an, die über Jahre unabhängig gearbeitet haben und meist nicht von ähnlichen Bemühungen in anderen Regionen oder gar ihrer Nähe wussten. Die Befürworter und Teilhaber des P2P-Urbanismus sind eine heterogene Gruppe, die gemeinschaftliches Design und die Einbeziehung des Nutzers bei der Planung befürworten: Neue Urbanisten, urbane Aktivisten und weitere. Zukünftig werden weitere Bereiche dazukommen und ihr Wissen einbringen: Permakulturisten, die produktive Ecosysteme gestalten, in denen Menschen in Harmonie mit Pflanzen und Tieren leben, Vertreter für energiesparendes Bauen und verschiedene unabhängige Gruppen.

Dieses neue Denken über die Stadt ist auch der Anstoß für die Rückgewinnung gemeinschaftlichen öffentlichen Raumes in der städtischen Umgebung. Ein signifikantes Phänomen des 20. Jahrhunderts ist die gezielte Eliminierung geteilten öffentlichen Raums. Attraktive öffentliche Orte wurden andernorts wiederhergestellt unter dem Deckmantel eines privaten, kontrollierten Raumes innerhalb von kommerziellen Centern. Auf diese Art und Weise ist gemeinsamer Raum, der für die Interaktionen von Bürgern wichtig ist und die Basis für geteilte soziale Werte darstellt, privatisiert, umgeformt und dann an die Menschen zurück verkauft worden.

Mitbestimmung im peer-to-peer Urbanismus

Zentral geplante Umgebungen oder Gebäude werden meistens nur auf dem Papier entworfen und danach genau nach diesen Spezifikationen gebaut, ohne Raum für Anpassungen oder Hinweise der zukünftigen Nutzer zu lassen. Es gibt aber eine kleine und noch nicht sehr genutzte Gruppe von peer-to-peer Vorreitern,die Ereignisse mit Beteiligungsmöglichkeiten außerhalb des offiziellen Planungssystems ermöglicht haben. Diese urbanen Eingriffe sind tendenziell nur temporär, da es schwierig ist Veränderungen in den gebauten Strukturen zu schaffen. Projekte wie diese definieren explizit einen gemeinschaftlichen Besitz einer virtuellen Region oder eines städtischen Raumes.

Nach Jahrzehnten von zentraler Planung, haben die Menschen die grundsätzlichen geometrischen Strukturen vergessen, die in unserer Geschichte die erfolgreichsten städtischen Räume hervorgerufen haben. Es gab einen enormen Verlust an geteiltem Wissen, mit dem Menschen einst menschenfreundliche Umgebungen ohne große formale Planung gebaut haben. Erfolgreiche Stadtgestaltung orientiert sich an Qualität und Nachhaltigkeit. Bei der aktuell vorherrschenden (post-)modernistischen Denkweise ist die wichtigste Betrachtung für den Bau der visuelle Faktor des fertigen Produktes. Peer-to-peer Urbanismus hat im Gegensatz dazu genau so viel über den Prozess der Planung zu sagen wie über das finale, angepasste, bedürfnisorientierte Ergebnis. Es repräsentiert Qualitäten und Ziele, die weithin geteilt werden und die weit über Architektur und Stadtdesign hinaus gehen.

Um Beteiligung zu ermöglichen ist es wichtig, eine Kommunikation aufzubauen zwischen Nutzer, Baufirmen und Designern. Viele Regionen haben ähnliche Anforderungen, Peer-to-peer Urbanismus ermöglicht es diesen geographisch getrennten Menschen sich über ihre Erfahrungen auszutauschen und Fehlversuche zu minimieren. Gute Ideen können dann auf die lokalen Bedingungen angepasst werden, und das mit Hilfe des Wissens aller Menschen, die in der Peer-to-peer Gemeinschaft aktiv sind. Peer-to-peer Urbanismus unterstützt Menschen dabei ihre Umgebung zu gestalten und verändern und erlaubt explizit, dass sie ihre Umgebung auf ihre Bedürfnisse anpassen.

Ein zentrales Feature der Neuen Urbanisten sind „Charette“-Projekte, die Nutzer vor dem Bau mit einbeziehen, auch wenn das zum Teil nur auf sehr oberflächliche Weise geschieht. In den besten Beispielen ist „Charette“ aber nicht nur eine Umfrage, es ist auch ein undogmatischer Bildungsprozess, ein Dialog zwischen den Entscheidungsträgern, der in einer finalen Einigung gipfelt.

Chancen für Minderheiten und Randgruppen

Einige Befürworter des Peer-to-peer Urbanismus sehen die Bewegung als eine Möglichkeit Minderheiten durch die eigene Gestaltung ihrer Lebensumgebung mehr Macht zu geben. Ein Beispiel dafür sind die zahlreichen Eco-Dörfer in Mexico, die mit heimischen Materialien und von Hand ihre eigenen Gebäude errichten. Peer-to-peer Urbanismus liefert den Schlüssel, um zwei verschieden Arbeitsmethoden erfolgreich zu vereinen: großangelegte Planung, die allein in der Lage ist die notwendige Infrastruktur für eine gesunde Stadt zu liefern und informelle und oft illegale selbstgebaute Siedlungen, die in den Entwicklungsländern unkontrolliert wachsen.

Ein Peer-to-peer-Prozess muss aber die individualistischen und spontanen Präferenzen und Wünsche mit den praktischen gemeinschaftlichen Zielen verbinden. Es gibt einen großen Unterschied zwischen guter und schlechter städtischer Form: nur erstere sorgt für das Aufblühen von soziokulturellen Verbindungen; schlechte Form führt u.a. zu Nachbarn, die nie miteinander agieren. Ziel des peer-to-peer Urbanismus ist es auch, durch das gemeinsame Entwickeln von Bauten, durch sozialen Status voneinander getrennte Menschen zusammenbringen. Für Randgruppen können wir etwas Ähnliches erwarten wie durch die Nutzung von OpenSource-Software in Entwicklungsländern: es bildet sich lokales Expertentum aus, daraus folgt eine lokale Wirtschaft, und das ganze Land ist reicher, weil es in der Lage ist seine Probleme selbst zu lösen.

Peer-to-peer Urbanismus wird in der akademischen Bereich und in Architekturmagazinen bewusst vernachlässigt. Diese Stolpersteine können zum Glück durch das Internet und seine Informationsteilung umgangen werden. P2P-Urbanismus hat sich zum Ziel gesetzt architektonisches Wissen freizusetzen und es der gesamten Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Dadurch wird Macht von etablierten architektonischen Praktiken zu der allgemeinen Bevölkerung transferiert. Dieses Ziel steht nicht im Einklang mit den kurzfristigen finanziellen Interessen der aktuellen Machthaber. Auch aus diesem Grund wird das Thema im akademischen Bereich und in Hochglanz-Magazinen bewusst ignoriert.

Aber die Veränderung des Urbanismus hin zur Einbeziehung des Nutzers hat profunde soziopolitische Implikationen, die peer-to-peer Vordenkern über städtische Fragen hinaus weiter entwickeln. Das Ergebnis eines tiefen soziokulturellen Wandels werden Städte sein, die ein Bild sind einer harmonischen, teils mit Fußgängerbereichen versehenen, humanisierten Gemeinschaft.

Anm.d.Red.: Aus dem Englischen übersetzt von Anne-Christin Mook.

4 Kommentare zu “Die Open-Source-Stadt: Lasst uns das Prinzip “Gemeingut” auf die Stadtplanung übertragen!

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